Club Voltaire, Haaggasse 26b, 72070 Tübingen
Veranstalter: Club Voltaire
Workshop zum 50. Todestag Max Horkheimers am 7. Juli 1973
mit Dr. Michael Weingarten
Es scheint sich eine Stimmungs- und Problemlage zu wiederholen, die es von den 1960er Jahren bis zum Ende der 1980er Jahre dominierend schon einmal gegeben hat: Auf die drohende Gefahr eines Atomkrieges, die unkalkulierbaren Risiken der Kernkraftwerkstechnologien und die Zerstörung der menschheitlichen Lebensgrundlagen wurde in einer breiten politischen Öffentlichkeit auf die aus der Bibel bekannten apokalyptischen Bilder zurückgegriffen – im Unterschied aber zu den religiösen Texten nicht in der Erwartung einer durch Zerstörungen einer Apokalypse „neuen und besseren Welt“, sondern in der Befürchtung eines absoluten Endes der irdischen Welt, so wie sie bis dahin bekannt war.
Die Radikalisierung apokalyptischer Erwartungen losgelöst von der biblischen „Heilserwartung“ brachte Intellektuelle wie Günther Anders dazu, offen zu Gewalt gegen und die Ermordung von Politikern aufzufordern, die für den Untergang der Menschheit verantwortlich seien. Oder der Religionshistoriker Hans Jonas liebäugelte mit totalitären Diktaturen; denn nur diese hätten die Macht- und Gewaltmittel, vermeintliche Lösungen der Umweltprobleme durchzusetzen.
n diesem Sinne zeigt die Selbstbezeichnung „Letzte Generation“ auf die biblisch-apokalyptischen Bilder, leiten die Akteure dieser Bewegungen die Notwendigkeit immer radikalerer Protestformen ab und legitimieren diese als „Notwehr“. Die staatlichen Instanzen reagieren wie üblich mit ebenfalls zunehmend härterer Gewalt und strafrechtlichen Sanktionen – und gerade dieses Vorgehen des Staates gegen berechtigte Forderungen der Demonstrierenden findet in der Öffentlichkeit große Zustimmung.
Max Horkheimer scheint auf den ersten Blick eine ähnlich apokalyptische Position zu vertreten, wenn er sagt, man müsse theoretisch Pessimist sein und das Schlimmste erwarten. Aber, so fügt er sofort hinzu, um dann politisch und praktisch Optimist zu sein – was nichts anderes heißt, als „das Gute“ zu versuchen und das theoretisch erwartete Schlimmste in der Praxis zu verhindern und zu verändern. Unter dem Titel „Vielfachkrise“ soll diese von Horkheimer angebotene Alternative herausgearbeitet, auf ihre politische Relevanz hin überprüft und in ihrer Tragfähigkeit für unsere doch ganz andere Gegenwart diskutiert werden.
Ein Reader mit Texten von Max Horkheimer, Günther Anders und Hans Jonas sowie dem geplanten Ablauf des Workshops wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung an die angemeldeten Teilnehmer*innen verschickt.
Michael Weingarten, Philosoph mit den Arbeitsschwerpunkten Dialektik, Sozialphilosophie, politische Philosophie sowie Theorie und Geschichte gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Bis zur Verrentung 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Stuttgart sowie Honorarprofessor an der Universität Marburg.