Literaturhaus Stuttgart, Breitscheidstraße 4, 70174 Stuttgart
Veranstalter: Die AnStifter & Stadtmuseum
Ob ein Ministerpräsident über politische Pluralität oder die Sprecherin einer Protestbewegung über Spontaneität redet – Hannah Arendt wird gern bemüht, und das auffallend oft von Leuten, die sich vor geraumer Zeit noch eher auf Karl Marx beriefen. Woher diese Popularität Arendts? Als Totalitarismustheoretikerin wurde sie von der Linken der alten Bundesrepublik weitgehend ignoriert, heute scheint Hannah Arendt, wenn es um normatives Orientierungswissen geht, eine kaum mehr kritisierbare Autorität zu sein. Tatsächlich hat Arendt, wie niemand sonst, einen positiven Begriff des politischen Handelns entwickelt. In Zeiten einer weitgehenden Entpolitisierung der Gesellschaft, in denen offene politische Auseinandersetzungen schmerzhaft vermisst werden, liegt es nahe, auf ihr Denken zurückzugreifen. Politisierung war allerdings auch schon ein Begriff der alten Linken, und die heutigen, poststrukturalistisch geprägten Radikaldemokraten klagen ebenfalls „das Politische“ ein. Dass jeweils Unterschiedliches gemeint ist, bleibt dabei meist im Dunkeln. Der Vortrag wird sich vor dem Hintergrund aktueller Debatten zur Krise der Demokratie darauf konzentrieren, die Besonderheit des Arendtschen Denkens darzustellen und dabei zu begründen, weshalb ihr Begriff des politischen Handelns marxistischen und poststrukturalistischen Ansätzen vorzuziehen ist.
Winfried Thaa ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Trier. Er arbeitete über die Dissidenten und Oppositionsbewegungen Mittel- und Osteuropas, den Entfremdungsbegriff bei Marx und Arendt sowie zu Fragen der politischen Repräsentation.