AnStifter Jour fixe zur Verständigung aktiver Menschen in Stuttgart
„Miteinander streiten ohne zu spalten“

Sa, 26. Februar 2022, 14:00 Uhr - 17:00 Uhr
Evangelisches Gemeindezentrum Stuttgart-Sonnenberg, Johannes-Krämer-Str. 2-4, 70597 Stuttgart
Veranstalter: Die AnStifter
Wichtiges:

Diskussion mit Oliver Stenzel und Minh Schredle (KONTEXT:WOCHENZEITUNG) über den Umgang mit „Querdenkern“ … und was wir AnStifter daraus lernen können

Anmeldung erforderlich

Miteinander streiten ohne zu spalten

„Die Corona-Pandemie stellt den Staat und seine zuständigen Organe vor die schwierige Aufgabe, einen angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Grundrechte sind in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheit des Einzelnen vor ungerechtfertigten und unverhältnismäßigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen: Sie sind Abwehr- oder Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen den Staat. Die zweite Schutzfunktion der Grundrechte besteht darin, dass sie als objektive Verfassungsprinzipien staatliche Schutzpflichten den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber begründen und dadurch die prinzipielle Geltungskraft der Grundrechte in der Gesellschaft verstärken“. (Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts).

Nicht alle staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie, die zudem mannigfache Wendungen genommen haben, sind leicht zu verstehen gewesen. Kritik am Regierungshandeln wird von demokratischen und linken Kräften vielfach formuliert, wird aber öffentlich kaum beachtet. Die deutschsprachigen Proteste gegen die Coronamaßnahmen sind in besonderem Maße von der radikalen Rechten getragen, progressive Akteur*innen wollen sich damit verständlicherweise nicht gemein machen.

„Warum hat der absurde Protest so viele Fans?“ Auch wenn viele Proteste noch so „verquer“ anmuten, sie signalisieren deutlich, dass die bisher für selbstverständlich gehaltenen Grundlagen der Ordnung unseres Gemeinwesens in Bewegung geraten sind und gleichsam nach einer Neu-Entwicklung schreien, die bisher zumindest noch zu keiner wirklich politischen Bewegung geführt hat. Der Artikel von Minh Schredle und Anna Hunger „Wissensstände unter Vorbehalt“ in Kontext 565 vom 26.1.2022 gibt dazu einen Diskussionsanstoß.

Wer beteiligt sich an den Querdenker-Demos? Die Basler SoziologInnen Oliver Nachtwey und Nadine Klein kommen in ihrer explorativen Studie für die Heinrich-Böll Stiftung Ba-Wü zum Schluss, dass vor allem das Alternativmilieu und das anthroposophische Milieu „zentrale, wenngleich nicht die ausschließlichen, Quellen von Querdenken in Baden-Württemberg darstellen. Die beiden Milieus weisen strukturelle und ideelle Gemeinsamkeiten und Überschneidungen auf. Unter anderem Ganzheitlichkeit, Individualität, Selbstbestimmung und Naturverbundenheit stellen geteilte Bezugspunkte des Alternativmilieus und des anthroposophischen Milieus dar“. Nicht nur Josef-Otto Freudenreich („Die Auserwählten“, Kontext 556 vom 24.11.2021) widerspricht heftig: „Erstaunlich unbestimmt bleiben die Soziologen bei einem Thema, das geradezu stiefmütterlich behandelt wird, obwohl es immer mit den „Querdenkern“ verbunden ist: die Nähe zum Rechtsextremismus“. Bezogen auf die Berliner Situation stellen auch Grande et al. (Wissenschaftszentrum Berlin) fest: „Dieses Mobilisierungspotenzial (der Corona-Proteste) wird nicht nur aus radikalen-rechten Randgruppen gebildet. Es besteht zu einem großen Teil aus einer von den etablierten Parteien nicht repräsentierten politischen Mitte, die der staatlichen Politik insgesamt misstrauisch gegenübersteht. Dieses Mobilisierungspotential tendiert über Zeit zunehmend nach rechts und es besitzt aufgrund seiner Anfälligkeit für Verschwörungstheorien ein erhebliches Radikalisierungspotenzial“.

Insgesamt ist die politische Beurteilung der Querdenken-Demonstranten schwierig und strittig. Denn die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Akteuren, Akteursgruppen und politischen Institutionen sind mittlerweile moralisch so stark aufgeladen, dass das Politische des Meinungsstreites verschwunden ist und durch Glaubensbekenntnisse und fast schon, gerade wenn man die zunehmende Gewaltbereitschaft beachtet, durch Glaubenskriege ersetzt wird.

Michael Weingarten

 

Verschlagwortet mit: Corona, Querdenkende
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