Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, Ludwigstraße 73a, 70176 Stuttgart
Veranstalter: Rosa Luxemburg Stiftung BW
Vortrag/Diskussion mit Dr. Thomas Klein (linker Oppositioneller in der DDR und Historiker)
1989 kulminierte die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger der DDR mit dem politischen System, mit der Einschränkung demokratischer Mitgestaltungsmöglichkeiten, dem Fehlen individueller Freiheitsrechte, ökonomischer Stagnation und ökologischer Krisen in Massenprotesten, die in kurzer Zeit zum Verlust des Machtmonopols der SED, zur Neuwahl der Volkskammer der DDR und schließlich zur Vereinigung der DDR mit der BRD führten.
In der Mehrheit der Rückschauen wird die Aufgabe der DDR durch ihre Bürgerinnen und Bürger vor allem als Bekenntnis zur alt-bundesdeutschen Ordnung interpretiert. Zweifellos wahr ist, dass 1989 die Bürgerinnen und Bürger der DDR ein politisches System stürzten, das zu lange ihre Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche übergangen, missachtet, enttäuscht, verraten, auch gewaltsam unterdrückt hatte. Dies ist jedoch nicht die ganze Geschichte.
Die Aufbruchstimmung und der Zukunftsoptimismus schlossen durchaus Alternativen jenseits der Realitäten der alten BRD und der DDR ein. Neue linke und soziale Bewegungen und Parteien entstanden. Viele Menschen, die vorher mehr oder weniger passiv politische Entwicklungen beobachtet hatten, wurden politisch aktiv. Visionen einer anderen, demokratischen DDR, eines demokratischen Sozialismus wurden diskutiert.
Thomas Klein war selbst Akteur in den dramtischen Ereignissen 1989/90 in der DDR. Ab 1973 am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig, schloss sich Klein in den 1970er Jahren oppositionellen Zirkeln an. 1979/80 musste er deswegen eine Haftstrafe verbüßen. Er erhielt Publikationsverbot bis 1989 und verlor seine Arbeit im wissenschaftlichen Bereich und wurde stattdessen in das VEB Möbelkombinat versetzt. Im Jahre 1987 gründete er mit Gleichgesinnten die Gruppe Gegenstimmen, eine Vereinigung explizit sozialistischer Oppositioneller. Klein gehörte 1989 zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigten Linken (VL), wurde für diese im März 1990 in die Volkskammer gewählt und vertrat die Vereinigte Linke bis Dezember 1990 im Bundestag. Von 1996 bis 2009 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam tätig, wo er zur Geschichte der DDR und der DDR-Opposition forschte. Klein ist Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE.
Mit Thomas Klein wollen wir darüber sprechen, wie er die «Wendezeit» erlebt hat, welche Diskussionen in den oppositionellen Gruppen über eine «andere DDR» geführt wurde, warum es den sozialistischen Oppositionsgruppen letztlich nicht gelang, die Bevölkerung von ihren Vorschlägen zu überzeugen, warum der «alternative Verfassungsnetwurf des Runden Tisches» in der neu gewählten Volkskammer der DDR nicht einmal diskutiert wurde – und schließlich wollen wir darüber sprechen, wie sich die unterschiedlichen Gruppen der Bürgerrechtsbewegung der bundesrepublikanischen Realität einer um das Gebiet der DDR vergrößerten BRD nach 1990 gestellt haben.