Referendum in Katalonien (Süddeutsche, 1.10.2017)
Katalonien ist nicht einfach eine spanische Region. Das war es nie. Auch deshalb müssen wir wählen dürfen. Was gerade in Katalonien passiert, ist schrecklich, eine demokratische Verkümmerung, wie es sie im modernen Europa nie zuvor gegeben hat.
Am 20. September übernahm die nationale Polizei alle katalanischen Institutionen und verhaftete rund zwanzig Führungsmitglieder der katalanischen Regierung, was bedeutet, dass für Katalonien und dessen Bevölkerung der Ausnahmezustand gilt. Das demokratische Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens soll unter allen Umständen verhindert werden. Wie konnte es soweit kommen?
Katalonien ist nicht einfach eine spanische Region. Das war es nie. Es hatte schon im zehnten Jahrhundert eigene Landesfürsten und Institutionen. Was wir heute als Spanien kennen, war bis ins 18. Jahrhundert nur ein Zusammenschluss verschiedener Nationen, deren einzige Gemeinsamkeit der König und die Religion waren. An der Conquista oder an den flandrischen Kriegen des 16. Jahrhunderts haben keine Katalanen teilgenommen.
Die Einheit Spaniens wurde nur mithilfe militärischen Terrors erzwungen. Am 11. September 1714, nach einem langen und verheerenden Krieg, fiel Barcelona den kastilischen Truppen in die Hände. Die Katalanen haben die neue Herrschaft nie akzeptiert. Wie drückte es doch ein spanischer General im 19. Jahrhundert aus: „Barcelona muss alle 50 Jahre zerbombt werden.“ (In Wahrheit haben sie die Stadt in noch kürzeren Abständen bombardiert.)
Die Generäle, die 1936 den Bürgerkrieg begannen, führten dafür drei Gründe an: die katholische Kirche verteidigen, den Kommunismus und den Separatismus bekämpfen. Der Kommunismus liegt auf dem Müllhaufen der Geschichte, die Kirche hat ihre einstige Macht verloren. Die katalanische Einmaligkeit aber bleibt trotz aller Angriffe und Repressionen bestehen. mehr…