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Kundgebung
„Schluss mit dem Kaputtsparen Griechenlands – für ein solidarisches Europa!“

Am vergangenen Freitag haben die Neue Hellenische Gemeinde, Attac Stuttgart und die AnStifter eine Kundgebung mit dem Titel „Schluss mit dem Kaputtsparen Griechenlands – für ein solidarisches Europa!“ auf dem Stuttgarter Schillerplatz veranstaltet. Die Initiativen verfolgten mit dieser Kundgebung vor allem das Ziel, eine solidarische Haltung gegenüber dem griechischen Volk zu demonstrieren. Die deutschen Massenmedien hatten sich in den vergangenen Wochen immer schärfer gegen Griechenland gewandt und immer wieder suggeriert, dass es eine solidarische Haltung in Deutschland nicht gäbe. 500 Menschen kamen bei fast 40 Grad Hitze auf dem weitestgehend schattenlosen Schillerplatz. Sie hörten Reden von Anna Ioannidou (Neue Hellenische Gemeinde), Bernhard Löffler (DGB Nordwürttemberg) und Elke Schenk (Attac Stuttgart). Stefanos Psomas und Nikolaos Kalatidis bereicherten die Kundgebung mit Musik, die Moderation übernahm Fritz Mieler (Die AnStifter).

Die Rechtsanwältin und Übersetzerin Anna Ioannidou gab in ihrer Rede vor allem einen Einblick in die Lage innerhalb der griechischen Bevölkerung. Das Wirtschafts-, das Bildungs- und das Gesundheitssystem seien zusammengebrochen, die Arbeitslosenquote liege bei 30 %, unter jungen Menschen sogar doppelt so hoch. Doch die Probleme in der Arbeitswelt hörten bei den Arbeitslosenzahlen lange nicht auf, so Ioannidou. Der Durchschnittsverdienst von arbeitenden Akademikern liege bei ca. 500 €. Das habe den Effekt, dass gut ausgebildete junge Griechen auswandern, vor allem nach Deutschland. Anna Ioannidou konstatierte: „So kann man sein demografisches Problem auch losen, ohne nur einen Cent für die Ausbildung der Arbeitskräfte ausgegeben zu haben.“ Im Weiteren beschrieb die Vertreterin der Neuen Hellenischen Gemeinde die traurige Situation der neuen griechischen Einwanderer in Deutschland, welche ihre Kinder oft zunächst in Griechenland zurücklassen müssten. Bei all diesem Elend gab sich Frau Ioannidou dennoch kämpferisch, ihre Trauer sei dem Kampfgeist gewichen. Und so verkündete sie abschließend: „Wir sagen Nein zur Demütigung der griechischen Bevölkerung! Wir sagen Ja zur Solidarität, denn die Grenze läuft nicht zwischen den Griechen auf der einen, und Deutschen und Resteuropa auf der anderen Seite! Ja zu Europa! Anders!“

Im Anschluss nahm Bernhard Löffler vom Deutschen Gewerkschaftsbund diejenigen ins Visier, welche in den vergangenen Wochen und Monaten kein gutes Haar an den Griechen gelassen hatten. Er stellte eingangs fest: „Bis vor einigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ein Mitglied der Europäischen Union derart international an den Pranger gestellt wird wie Griechenland jetzt.“ Dabei sei der Kern gar nicht ein Konflikt zwischen Ländern, sondern ein Konflikt zwischen Arm und Reich. Die Institutionen verträten die Interessen der Reichen und somit sei es nun wichtig als Zivilgesellschaft einen Kontrapunkt zu setzen. Löffler lieferte einen weiteren wichtigen Faktor in Bezug auf die Krise. Verursacht sei diese vor allem auch durch Lohndumping in Deutschland worden. Nur durch stark ansteigende Löhne in der Bundesrepublik sei das wirtschaftliche Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Union zu beseitigen.

Elke Schenk bekannte zu Beginn ihrer Rede „Ich schäme mich als deutsche Staatsbürgerin für die Ignoranz der Bundesregierung und weiter Teile des politischen Establishments, die sich seit Jahren als besserwisserischer Zuchtmeister Europas aufwerfen“. Sie kritisierte die Bundesregierung scharf für das erpresserische Festhalten am Schuldendienst südeuropäischer Länder und wies darauf hin, dass Deutschland selbst nie seine Schulden bezahlte habe. Es werde darüber hinaus oft unterschlagen, dass Griechenland heutzutage bei weitem nicht das einzige europäische Land mit kaum zu überwindenden Schulden-Problemen sei. In Spanien habe sich der Schuldenstand beispielsweise in den letzten Jahren verdoppelt, in Irland vervierfacht. Auch kritisierte Schenk die Medien, welche den Kurs der Bundesregierung großteils unterstützen oder sogar fordern würden. Sie skizzierte im Folgenden die Entdemokratisierung Europas. Die Entscheidungsträger der Institutionen, welche nicht demokratisch legitimiert seien und sich darüber hinaus weder politisch noch juristisch für ihre Taten verantworten müssten, kontrollierten die Regierungsarbeit in den Krisenländern durch ihre Vorgaben gänzlich. Um diesen Kurs weiterhin zu gewährleisten, sei nun der Sturz der griechischen Regierung unter deutscher Regie geplant worden. Schenk zitierte ein Interview mit Gesine Schwan, in welchem diese aussagt, dass Wolfgang Schäuble die griechische Regierung von Anfang an die Wand fahren lassen wollte, um „Ansteckungsgefahr“ in anderen europäischen Ländern zu verhindern. Das Angebot, welches Griechenland gemacht wurde, sei absichtlich unannehmbar gewesen. Doch Schenk unterstrich „Griechenland ist überall“. Der irreversible Kurs der Austeritätspolitik bringe Verschärfungen für alle Euro-Länder mit sich.

Alle drei Reden sind an dieser Stelle auch in Gänze zu lesen oder zu sehen.

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Anna Ioannidou: PDF der Rede

Bernhard Löffler: PDF der Rede

Elke Schenk:

Elke SCHENK, Rede OXI Solidarität 20150703

Hat die Politik noch Gestaltungsfreiheit?

Am Sonntag lief im Deutschlandfunk eine sehr gute Sendung unter dem Titel „Politische Gestaltung zulasten künftiger Generationen“, in der Dieter Rulff (war Redakteur der „taz“ und der Zeitschrift „Vorgänge“. Heute Redaktionsteam des von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen Magazins „Böll“) die Folgen von Schulden und Schuldenabbau auf die Gestaltungsspielräume erläutert. Die Sendung gibt’s als Text und als mp3.

BürgerInnenbrief 151

Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
Des Abends in der Schenke:
Das fördert die Verdauungskraft
Und würzet die Getränke.

Heinrich Heine

Liebe Bürgerinnen und Bürger:
gestern, am Sonntag, war ich wie von der Muffe gepufft, als ich las, daß die Hälfte der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM 96 in England offenbar gedopt war. Auch bei der Olympiade 72 waren westdeutsche Sportler gedopt, Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 erhielten Anabolika. Warum? Weiter, schneller, höher, besser müssen wir sein es geht – es geht um Ehre, Prestige, Ruhm, Einfluss, Bedeutung und Macht, alles Begriffe, die auch um Stuttgart 21 kreisen. Löscher bei Siemens hat zehn Milliarden in den Sand gesetzt, Thomas de Maiziere ist dagegen mit den 650-Mio-EU-Drohnen ein Waisenknabe. Zig Milliarden wurden für überdimensionierte Fernstraßen zum Fenster rausgeworfen (Ramsauer!), rund 10 Milliarden geh’n dem Bund wg. schlechter Haushaltsführung jährlich verloren. Es werden Milliarden verschleudert, die man gar nicht hat. Die Staatsverschuldung in Deutschland nimmt um 1.335 Euro pro Sekunde zu, so der Bund der Steuerzahler. Volker Hauff (SPD): In der 3. Welt bricht das ganze Finanzsystem zusammen. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass aufgrund der Finanzkrise Millionen Menschen in die Armut rutschen, Hunderttausende Kinder werden sterben. Das, was momentan noch an Entwicklungshilfe geleistet wird, ist ein Bruchteil dessen, was dort an Geldern abfließt. Die Entwicklung in diesen Regionen wird um bis zu 20 Jahre zurückgeworfen… Im Bankenbereich hat eine hohe Professionalisierung bei völliger sozialer Verantwortungslosigkeit und eiserner Habgier stattgefunden.“ Gut gebrüllt, Löwe! Habgier auf der einen Seite von Stuttgart 21,die Angst vor der größten Blamage des Nachkriegszeit auf der anderen hindert der Befürworter, der besseren Einsicht zu folgen. Sie warten, bis der Zug im Tunnel stecken bleibt oder ein hohes Gericht den Stopp21 verkündet. Ob Peter Grottian, Professor in Berlin und AnStifter in Stuttgart, Recht hat mit der Prophezeiung, nach der Wahl könnte die CDU Stuttgart 21 als Brautgeschenk opfern, um die Grünen ins Bett zu kriegen, weiß ich nicht, neu sind solche Gedanken nicht. Wir aber haben ja längst den Blick vom Bahnhof gelöst und schauen verblüfft auf jene vielgelobten Utensilien, die uns der Widerstand gegen das Milliardengrab beschert hat: Eine Schlichtung, deren Ergebnisse wir als „Machtlose“ schlucken mußten, um die sich aber die Projektpartner wie Bahn, Stadt, Land, Bund einen Scheiß scheren. Das gilt aus für die heitere Fragerunde, die sich Volkabstimmung nannte – beides wurde nahezu weltweit als Sieg der Straße gegen die Arroganz der Macht gefeiert. Also, was bleibt vom „Sieg“? Eine selbstbewußte, kritische Bürgerschaft. Und Menschen, die oben bleiben und auf der Straße. Für mich ist weder eine Lautsprecheranlage, die durch Dauerregen ihren Geist fast aufgibt, noch der Ort der Kundgebung eine Glaubensfrage. Ich würd’ so manchem Oberaufgeregten unter uns gern sagen: Macht’s halblang! Denken wir lieber gemeinsam darüber nach, wie wir wieder mehr werden, wie wir Nachbarn, Passanten, Kollegen für unsere Sache gewinnen.Wie wir Stuttgart 21 zum Wahlkampfthema machen können, ohne gleich sämtliche möglichen Bündnispartner zu vergrätzen. Weil wir ausgezeichnete Argumente haben, weil alle, alle Fakten für uns sprechen, können wir sachlich bleiben und auf Polemik verzichten. Das ist unsre Stärke. 40 Jahre hat es gedauert, bis die Sache mit dem Doping rauskam. Manche Lügen wie die von Stuttgart 21 haben viel kürzere Beine. Wer aber das mehrMehrmehr will, soll nach Weeze ziehen. Dort hat die rot-grüne Regierung den größten Schlachthof Europas genehmigt: schweinerei.blogsport.de. 400 000 Hühner können dort täglich geschlachtet werden. Jede Menge Mist, jede Menge Gier. „Hallo Stuttgart, wir haben von Eurem Widerstand gehört! Ihr seid unser Vorbild“, schriebt uns Fred Meikelson gestern. Danke, Fred, und wir verzichten auf’s Hähnchen21.

Peter Grohmann