Dieser Tage ist alles ganz aufgeregt wegen der rechtsfreien Räume. In den USA heißen die etwas vornehmer No-go-Areas oder im Jargon der Biodeutschen „national befreite Zonen“. In solchen Ostzonen sollte sich dann niemand mit einem Palästinensertuch, Rasta-Locken oder dunkler Haut blicken lassen. Meine rechtsfreien Zonen liegen weniger im Schanzenviertel, sondern mehr in Untertürkheim, in der Abteilung Versuch beim Daimler oder luftlinienmäßig 2000 Meter weiter westlich bei Porsche. Sie liegen in der Hohenheimer Straße und am Neckartor, just dort also, wo geltendes Recht mit Finesse und Billigung von oben permanent gebrochen wird und der Feinstaub – wohl bekomm’s – zuerst in den Lungen und dann an städtischen Mooswänden aufgefangen wird. Mitten in der Stadt und wie in Hamburg werden, so gesehen, Tote und Kranke billigend in Kauf genommen. mehr…
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Ghetto-Rentner – preiswert verscheißert
Eben wurde zum Holocaust-Gedenktag 2017 betont, wie schlimm alles war – und wie gut wir sind im Bewältigen des Vergangenen. Deutschland first. Von uns können sich alle anderen Staaten ein paar Scheiben abschneiden! Ghettos, Mauern, Folter; manche leiden heute noch an den Folgen, Folterer wie Mauerbauer. Das kann man erst vergessen, wenn man richtig tot ist, wie die Ghetto-Rentner.
Klar, bei der Menge des zu bewältigenden Stoffes geht mal dies oder jenes unter – etwa die Opfer der „Euthanasie“ („Euthanasie“ darf man ja nicht sagen, weil es falsch interpretiert werden kann). Aber mal egal: Am 27. Januar 2017 – also kurz nach dem Ende der unseligen NS-Zeit – hat der Bundestag erstmals (!) die „Euthanasie“-Verbrechen in den Mittelpunkt seines Gedenkens gestellt. Und nicht zu vergessen: Schon nach etwas mehr als 80 Jahren – 2007 – wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch den Bundestag geächtet, Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte gesellschaftlich rehabilitiert. Für die Opfer hatte diese Ächtung allerdings keine monetären Folgen. Da hilft kein Zetern und kein Klagen, würde meine Omi Glimbzsch in Zittau dazu sagen.
Manchmal doch! Bei den Ghettorenten etwa. Ghettorente bekommt, wer im Ghetto wenigstens fünf Jahre lang gearbeitet hat. Wenn ein Ghetto nur drei Jahre lang auf hatte, gibt’s natürlich nichts. Und Kinder gehen generell leer aus, a) weil Kinderarbeit generell verboten ist und b) weil Rentenansprüche erst ab 14 Jahren gestellt werden können. Natürlich haben Kinder unter 14 in den Ghettos dennoch gearbeitet – aber nur, um zu überleben. Manche sind einfach abgehauen und haben sich die für die Wiedergutmachung notwendigen Papiere vor der Flucht nicht aushändigen lassen, andere haben nach der Niederlage den Stichtag für die Antragstellung verpasst, wieder andere kamen mit dem Papierkram nicht zurecht. In einigen Fällen half der Essener Sozialrichter Jan-Robert von Renesse, bis er von seiner Behörde eins auf den Deckel bekam, weil er quasi Deutschland schlecht gemacht hatte.
Momentan gibt’s noch rund 2000 Menschen, die sehr betroffen sind, vor allem in Israel und Polen. Mit ihrem Tod kann gerechnet werden. Und übrigens: In Stuttgart gab’s gar kein kein Ghetto, aber eine Tötungsanstalt, damals. Wer hört das schon gern!? Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart, wie der Pole gern sagt.
*) Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die AnStifter
Stinkbomben
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„Hundert Mann – und ein Befehl.
Und ein Weg, den keiner will.
Tagein – tagaus. Wer weiß wohin?
Verbranntes Land. Was ist der Sinn?“
(Freddy Quinn 1963)
Die Politik beugt Gesetze und die Bevölkerung orientiert sich an selbst gestrickten Vorstellungen von Gerechtigkeit, so sinngemäß Jens Gnisa, Chef des Deutschen Richterbunds – und sieht schwarz für die deutsche Justiz. Also noch schwärzer. Klar, erste Duftmarken im eben ausgerufenen Wahlkampf können heute offenbar nur Stinkbomben sein. Und die erwecken den fatalen Eindruck, dass der Rechtsstaat den Gefahren des Terrorismus relativ hilflos gegenüber steht. Dieser parteiübergreifende Aktionismus von Schwarzgrün bis Rotrotgelb ist das Gegenteil einer besonnenen Sicherheitspolitik – und die wäre jetzt doch viel eher gefragt. So betrachtet, ist Richter Gnisa ein Gefährder: Aber wohin abschieben? Es reicht, sagt er, und meint damit die in den letzten Jahren vielfach verschärften Vorschriften, Gesetze und Befugnisse, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen. Vielleicht sollte man den Mann abhören – respektive ihm zuhören.
Politik ist allerdings kein Gesangverein Harmonie in Pliezhausen. Freddy Quinn hat das bereits 1963 erkannt, im Blick die deutschen Kameraden in der Fremdenlegion. Heute schickt unsereins frische Truppen an die Ostfront – 4000 Mann und ihre Frauen. Wir haben eben keine bessere Antwort auf den Hacker Wladimir Putin und seine Chargen, es sei denn, wir spritzen den alten Propagandasender Radio Freies Europa – Radio Liberty mit neuen Drogen. Der Sender steht in Kürze Donald Trump zur Verfügung und hat zu allen Zeiten immer nur ein Ziel: Den Hörerinnen und Hörern in den ehemals kommunistisch unterdrückten Ländern wie beispielsweise Russland, Polen, Ungarn oder die Ostzone demokratische Werte zu vermitteln und den rechten Weg zu zeigen. Und zwotens, wohl im Hinblick auf die Konzentration der Medien in immer weniger Händen, das gemeine Menschenrecht auf freien Nachrichtenzugang möglich zu machen – zur Abwehr der besonderen Demokratiegefährder.
Trösten wir uns. In 347 Tagen ist Weihachten, und am 11. Januar 2017 feiern wir den „Tag des Deutschen Apfels“. Sauer macht lustig, pflegte meine Omi Glimbzsch in Zittau zu sagen, wenn ich das Maul verzog.
*) Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die AnStifter
Augen auf!
Dieser Herbst! „Ihr mit Eurem 33/45“ – erinnern Sie sich? An freundliche Mitmenschen, die genervt waren, wenn wir das Thema „nationalsozialistische Vergangenheit“ auf die Tagesordnung setzten?
An SchülerInnen, dies „das alles“ angeblich nicht mehr hören können? Und da knallt eine deutsche unabhängige Wahrheitskommission nach vierjähriger Arbeit der Öffentlichkeit die „Rosenburg-Akte“ auf den Tisch. Sie sagt, vereinfacht gesagt, was wir, vereinfacht gesagt, seit Jahrzehnten sagen: Dass die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind ist, dass der ganze Justiz-Apparat durchsetzt war mit strammen Parteigenossen der NSDAP, mit Nazi-Tätern, die ihren Opfern auch nach dem Krieg nachstellten, und, nicht genug damit, dass sie die Rechtsordnung dieser Republik maßgeblich prägten – und sich und ihre Mörderbande vor Verfolgung schützten? Sie alle haben mit dafür gesorgt, dass die Rosenburg-Akte heute in der Öffentlichkeit eher untergeht, als dass ihr ein Licht aufgeht. Der Herbst ist eher duster…
Der Versuch, Frieden zu stiften und die eigene Geschichte – auch die von morgen – bleibt unser wichtigstes Thema. Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit für Prof. Michael Weingarten, der am 15.10. im Philosophisches Café der AnStifter über Heidegger und die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie und für Dr. Mascha Riepl-Schmidt, die am 18.10. über Therese Huber (1764 – 1829) referieren. Im thematischen Kontext der Jüdischen Kulturwochen, die am 6.11. beginnen, weitere AnStifter-Termine: Das Zeitzeugengespräch im Theater Olgaeck am 7. November mit Reuven Moskovitz aus Israel , ein Filmabend der Allmende mit Carmen Eckhardt und ihrer Doku „Viktors Kopf“ – aber auch Fragen des Scheiterns: Polen – Ungarn – DDR: die gescheiterte Entstalinisierung, am 10.11. im Württembergischen Kunstverein. Am 13.11. stellt José Miguel López Romero in einer Matinee im Stadtarchiv Stuttgart unser Buch „Unerwünscht – die Vertreibung der deutschen Exiljuden aus Ibiza und Mallorca“ vor. Es entstand mit Ihrer Hilfe!
Auch in der Gegenwart herrscht Blindheit und Diskriminierung hierzulande an verschiedenen Ecken und Enden. Mit dem vom Stadtjugendring, dem Forum der Kulturen und uns AnStiftern initiierten Büro für Antidiskriminierungsarbeit Stuttgart wollen wir einen Kontrapunkt setzen. Ein erster Workshop zur Abstimmung der Arbeit mit verschiedenen lokalen Organisationen fand vor zwei Wochen statt. Diese Woche konnte Susanne Belz, die Leiterin des Büros, ihre Beratungsarbeit aufnehmen und nächste Woche organisiert sie eine öffentliche Veranstaltung mit. „10 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Antidiskriminierung in die Fläche bringen“ heißt’s am 20.10., ab 18 Uhr, im Haus der katholischen Kirche. Was erst einmal trocken klingt ist ein theoretischer Fortschritt, dem wir mit dem neuen Büro praktische Relevanz verleihen. Wir wollen uns selber und anderen die Augen öffnen. Sehen wir uns?
Herzliche Grüße
Peter Grohmann, Fritz Mielert, Evy Kunze & Ebbe Kögel
Und die Details zu allen Terminen auf http://www.die-anstifter.de
PS: Peter Grohmann wetterte über Zwischen den Beinen ist unter dem Gürtel und Paranoia
Quatsch mit Soße
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Neulich war’s. Da sprechte unmittelbar an die großartigen Ansprechen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des bayerischen Innenministers Huber der kommentierende Redakteur von „Politiker-Sprech“. In kurzen, ja treffenden Passagen wurden anschließend die seligmachenden Forderungen bei beiden Protagonisten ad absurdum geführt. Anders gesagt: Alles, was da gesprecht und gefordert wurde, gäb’s schon zur Genüge – selbst der Einsatz der Bundeswehr sei früher oder später wahrscheinlich. Und was es nicht gibt, nu, nebbich, kann man nur machen, wenn man die Verfassung außer Kraft setzt. Das will momentan noch niemand so richtig.
Der Terror ist in Deutschland angekommen. Das ist Quatsch mit Soße, würde meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen. Sie würde sich ans Münchner Oktoberfest erinnern, an die Rote-Armee-Fraktion, an die Wehrsportgruppe Hoffmann, an die Anschläge der ostanatolischen Mafia namens „NSU“, an zahlreiche andere und unaufgeklärte Verbrechen und an die rund 400 untergetauchten und von der Bundesanwaltschaft dringend gesuchten Rechtsradikalen. Vielleicht würde sie sich sogar daran erinnern, dass wir Kulturvolk hordend und mordend durch die Welt gezogen sind, mit langen Metzgermessern, Kinder und Frauen zuerst, wie bei Boko Haram & Co. Was nicht niet- und nagelfest war, haben wir mit nach Hause genommen, ins Land der Dichter und Denker, oder gesprengt oder abgebrannt oder vergiftet, wie das liebe Vieh und die Brunnen.
Heute schießen die Opfer mit unseren Waffen zurück, sie sind weltweit billig zu haben, und wir sagen ihnen: Gewalt löst keine Probleme.
Oder, um den etwas gehaltvolleren Papst-Sprech zu zitieren:
„Wir sind aufgerufen, uns der Gewalt und der Ungerechtigkeiten in vielen Teilen der Welt bewusst zu werden. Wir dürfen nicht gleichgültig und tatenlos zuschauen. Wir müssen aufstehen. Jeder von uns muss sich einbringen, damit wir eine wirklich gerechte und solidarische Gesellschaft schaffen können.“
Sein Wort in Gottes Ohr.
*) Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die AnStifter
Verrückte aller Länder vereinigt Euch!
Liebe Leut,
kommen die Einschläge näher? Sind wir selbst bedroht? Sind die Geschehnisse von Würzburg eher ein Amoklauf a la Winnenden oder ein Terroranschlag? Müssen wir unser Verhalten ändern oder sind solche Taten einfach unvermeidbar in einer freien Gesellschaft? Wie viel Einfluss hat wohl eine Terrororganisation auf solche Aktionen und werden wir es je erfahren? Was macht es mit uns, wenn die Marke “Islamischer Staat” auf jeder dieser Tötungen klebt? Welche Macht bekommt der IS damit? Warum kleben alle Seiten munter mit? Und wo bleibt der Rechtsstaat bei all den Vermutungen? Nicht zuletzt, wenn der Täter nicht überlebt und damit nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Dem Rechtsstaat geht es hierzulande sicher deutlich besser als beim Nato-Partner Türkei. Dort wanderten nach dem Putschversuch zehn Mitglieder des Staatsrates in den Knast, fast 3.000 Richter sollen entlassen werden. Die würden sich dann zu den 15.000 Staatsbediensteten gesellen, die das Bildungsministerium rausgeschmissen hat. Und die sind damit wahrscheinlich deutlich besser dran als die bisher knapp 8.000 Verhafteten.
Nicht nur klingen die schieren Größenordnungen nach Willkür, auch die Einschränkung der letzten Reste von Pressefreiheit sprechen eine deutliche Sprache. Allein schon 24 Fernseh- und Radiostationen wurde in den letzten Tagen die Sendelizenz entzogen.*
Und wie reagieren wir darauf? Fahren wir nun nicht mehr in Regionalzügen? Suhlen wir uns in Angst? Oder werden wir kritischer und sperren unsere Ohren auf, wenn am Donnerstag, den 21. Juli ab 18:30 Uhr Sebastian Ostritsch im Lapidarium über Skeptizismus referiert?
Ziehen wir uns hilflos, frustriert und enttäuscht in unsere Kleingruppen zurück? Oder versuchen wir uns an gewaltlosen Brückenschlägen, wie sie am Samstag, den 23. Juli ab 11 Uhr bei der Tagung “Gewerkschaft und Soziale Bewegungen” im Gewerkschafthaus geplant sind?
Ein schönes Projekt aus der Friedensbewegung sind die “friedens räume” in Lindau, die sich explizit nicht als Antikriegsmuseum begreifen, sondern zu eigenem Handeln anregen wollen. Am Samstag, den 30. Juli führt eine Exkursion des Philosophischen Cafés zu den “friedens räumen” (Anmeldung: hegelhaus@web.de).
Auch am 30. Juli, findet ab 14 Uhr in der Stuttgarter Moserstraße das “Straßenkunstfestival” von Labyrinth statt. Labyrinth betreut unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über jeweils mehrere Jahre kulturell und hat nun das Festival ins Leben gerufen, um die interkulturellen Begegnungen zu intensivieren.
Und jetzt sagen Sie mal nicht, dass der Kapitalismus/Neoliberalismus an all den Miseren Schuld sei. Wenn Sie uns so kommen, haben wir ein nettes Wimmelbild für Sie. Sollte Ihnen diese Kritik zu pauschal sein, liegt Ihnen vielleicht eher das kleine Büchlein über die Stadtplanung in Stuttgart, das Roland Ostertag in den letzten Monaten zusammengestellt hat und das nun im Peter Grohmann Verlag erschienen ist.
Herzliche Grüße
Peter Grohmann, Ebbe Kögel, Fritz Mielert & Evy Kunze
* Wahrscheinlich sind, wenn Sie diesen Newsletter sehen, alle Zahlen schon wieder hoffnungslos veraltet.
PS: Peter Grohmann wetterte seit dem letzten Newsletter über “Deutschland – Italien : 70 Milliarden”, “Kriegsgeheul” und “Streng geheim”.
Sendungsmitschnitt: Protokolle gegen die Wortlosigkeit. Die Zuschauer-Mitschriften des NSU Prozesses
Der NSU-Prozess in München gegen Beate Zschäpe und andere wird Justizgeschichte schreiben. Doch was von ihm übrig bleibt, ist offen, denn in deutschen Strafprozessen gibt es kein amtliches Wortprotokoll. Einer kleinen Initiative ist es zu verdanken, dass der NSU-Prozess dennoch dokumentiert wird. Ein bis drei Personen sitzen Tag für Tag im Gerichtssaal und schreiben mit. Sie fertigen ein Verlaufs- und Wortprotokoll von jedem Sitzungstag. Ihre Original-Mitschriften umfassen pro Tag 40 bis 70 Seiten. Daraus werden zehn bis zwölf Seiten ins Netz gestellt und zusätzlich ins Türkische übersetzt. Die Initiative nennt sich NSU-Watch. Sie schafft ein einmaliges Prozessdokument, das nicht nur aktuell von Beobachtern zu Rate gezogen werden kann, sondern auch späteren Generationen sowie Historikern helfen kann, diesen Prozess zu studieren.
Am Montag, den 4. Juli 2016, 10.05 Uhr, wurde auf SWR2 Tandem die Sendung: Protokolle gegen die Wortlosigkeit. Die Zuschauer-Mitschriften des NSU Prozesses (von Thomas Moser, Redaktion Rudolf Linßen, Produktion SWR 2016) ausgestrahlt.
MitschnittThomas Moser & Friedrich Burschel Blick in den Abgrund – Konsequenzen aus dem NSU-Komplex
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Veranstalter: Die AnStifter, Rosa Luxemburg Stiftung Baden-Württemberg & VVN/BdA
Hinter dem Agieren des NSU und seines wohl mehrere Hundert Personen umfassenden UnterstützerInnen-Netzwerks öffnete sich das Panorama des wohl größten Geheimdienstskandals der Geschichte der BRD und eines unvorstellbaren behördlichen Rassismus in den Mordermittlungen.
Wie weit staatliche Verstrickung in das Geschehen gegangen ist, ist bis heute nicht ansatzweise geklärt.
Die Verstrickungen des NSU reichen tief bis nach Baden-Württemberg. Hier fand der immer noch mit Fragezeichen versehende Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter statt. Hier existierte eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch Hall, deren Anführer auf einer Kontaktliste des NSU stand und in der zwei Kollegen von Kiesewetter aktiv waren. Und hierhin reichten auch direkte Kontakte des NSU.
Thomas Moser, der sich journalistisch seit langer Zeit mit dem NSU beschäftigt und u.a. den Untersuchungsausschuss im Bundestag hierzu intensiv beobachtet hat und Friedrich Burschel, der als Prozessbeobachter den Prozess gegen Beate Zschäpe in München seit dessen Beginn verfolgt, fragen nach Stand und Konsequenzen der strafrechtlichen Ermittlungen und nach den politischen Konsequenzen – nicht zuletzt für die baden-württembergische Landespolitik.
Moderation: Janka Kluge, VVN/BdA
BürgerInnenbrief 150
Wenn die Worte nicht stimmen,
so mißlingen die Werke;
misslingen die Werke,
so gedeihen Kunst und Moral nicht;
gedeihen Kunst und Moral nicht,
so trifft die Justiz nicht;
und trifft die Justiz nicht,
so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen.
Also dulde man nicht,
dass an den Worten etwas in Unordnung sei.
Konfuzius.
Liebe Bürgerinnen und Bürger:
Ich bin doch nicht blöd, sagt das Volk zu Media-Markt. Doch, werd’ ich einwenden. Denn wer auf billig schaut, ist leicht beschickert, meschugge, dumm oder blöd. Wer wird denn heut, in diesen Zeiten, wo die Gletscher schmelzen und die Kinder nicht nur arbeiten müssen und hungern, sondern auch schießen, unbesehen aufs Billige hereinfallen? Das Hemde aus Bangladesch, die Schuh billig aus China, die Rosen Chemie-strotzend aus Lateinamerika? Schön blöd, möchte ich sagen, wer fürs portionsgerechte Zerteilen eines ganzen Schweins 1,67 Euro bekommt – Stücklohn, nicht daß wir uns falsch verstehen. Blöd, weil ihnen nichts andere übrig bleibt und die ganze Kommunikation nichts hilft, nicht alle Aufklärung, nicht das gute Buch, nicht das Fernsehprogramm: Es sind arme Schweine, die blöd dran sind, diese wie jene. Die einen, weil sie fressen müssen, bis sie schlachtreif sind, die andern, weil sie essen, schlafen, leben müssen. Die Schläfer sinds, die nicht wählen gehen, weil die Worte nicht stimmen, und weil die Worte nicht stimmen, werden sie nicht gehört…
Ich könnt ma innen Arsch beißen, hat meine Omi Glimbzsch aus Zittau gern gesagt, wenn sie von Fehlern erzählte, sich grün und blau ärgerte über was weiß ich, und sei es nur, „daß ich das Fernsehn nich ausgeschaltet hab’ bei dem Mist und ins Bett gegangen bin“. Liebe Leut’, uns nützt das Ärgern über Gestern nur, wenn wir die
alten Fehler nicht wiederholen. Das ist schwer genug. Gerade ist ja mal wieder viel Sand im Getriebe der Bürgerbewegten. Dabei sind die Leute um uns rum hellwach, kritisch, skeptisch, mißtrauisch geworden. Da haben zu oft die Worte nicht gestimmt. Nehmen Sie diese lächerliche und zu Recht geplatzte Anhörnung zum Grundwassermanagement, wo ein arroganter Beamter uns Bürger abmeiert wie Erstklässler. Nehm ’se die Gespräche zum „Hotel Silber“, wo Stadt und Land die seit vielen Jahren engagierten Bürger vor der Tür stehen lassen und drinne ein neues Konzept entwickeln, um Miete zu sparen! Der VfB würde sich so was natürlich nicht bieten lassen. Die Worte stimmen auch bei mir, bei uns nicht immer. Manchmal tun wir so, als stehe die Machtübernahme unmittelbar bevor. Manchmal merken wir nicht, wie viele Bürger echt angekäst sind, weil sie wegen uns ne Stunde später heim kommen, Leute, die wir auf unserer Seite brauchen oder doch wenigstens überzeugen wollen, oder? Na gut, dann halt „nur“ zum Nachdenken anregen!
Der demokratische Alltag ist grau. Er hat nichts vom Sturm auf die Bastille an sich, schade, nix vom Kanonendonner der Novemberrevolution in Württemberg und dem Aufbruch in Zeitalter der Aufklärung. Angesagt ist aber der Abbau alter Rechte, angesagt sind die Spitzel diesseits und jenseits des Atlantiks, angesagt ist der Überwachungsstaat, angesagt ist das große, alte, immer wiederholte Versprechen, daß sich spätestens nach den nächsten Wahlen alles ändert. Was unser Land indes braucht, ist ein demokratischer Aufbruch, ist die Einsicht von uns allen in unsere Stärke als weltoffene, tolerante Bürgerbewegung mit langem Atem, mit Ausdauer und Power hinzustehen und das 1000 x Gehörte eben noch mal zu hören. Wird es uns gelingen, wieder mehr Menschen auf unsere Seite zu ziehen? Vielleicht wär’s ja ganz gut, wenn wir uns selbst öfters mal zur Kritik ermunterten! Ein wöchentlicher öffentlicher Ratschlag nach jeder Demo mit aktuellen, heißen Themen – wie wärs? Damit die Worte wieder stimmen! Peter Grohmann
Überwachungsstaat einfach erklärt
Erschreckende Zahlen zu Guantanamo
Die American Civil Liberties Union hat in einem Diagramm erschreckende Zahlen zu Guantanamo sehr klar zusammengestellt.
Anstifterkino5 Jahre Leben
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Heute startet der Film „5 Jahre Leben“ über die Inhaftierung des unschuldigen Murat Kurnaz in Guantanamo. In Stuttgart läuft er im Delphi.
Der Vertrieb schreibt zum Film:
Was wäre Ihnen lieber? Einzelhaft mit Non-Stop Neon-Beleuchtung, amerikanische Popsongs in voller Lautstärke und plötzliche sinnlose Prügel? Oder neben einem Mithäftling eingesperrt zu sein, der Sie für einen Cheeseburger verrät? Am schlimmsten wäre es wahrscheinlich, den einzigen Freund umbringen zu müssen, selbst wenn dieser Freund ein Leguan ist …
5 JAHRE LEBEN, basierend auf der wahren Geschichte des Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der insgesamt fünf Jahre als Gefangener der USA in Afghanistan und Guantanamo inhaftiert war, ist nicht nur die Chronik eines unvorstellbaren Missbrauchs, sondern zeigt auch den Überlebenswillen eines Mannes, dem man alles genommen hat. Zugleich schildert der Film das Duell zweier außergewöhnlich starker Persönlichkeiten. Auf der einen Seite: Murat Kurnaz, der seinem Leben einen neuen Sinn geben wollte, als er sich dem Islam zuwandte und nach dem 11. September nach Pakistan aufbrach, um eine Koranschule zu besuchen. Auf der anderen Seite: Gail Holford, Verhörspezialist der US-Regierung, der alle Tricks von Manipulation bis Einschüchterung beherrscht und dessen Hauptziel es ist, Kurnaz ein Geständnis zu entlocken. Aber Kurnaz hat nichts zu gestehen. Er ist unschuldig. So verstreichen Monate – Monate voller psychischer und physischer Folter – bis Kurnaz begreift, dass seine Weigerung, ein Geständnis zu unterzeichnen, das Einzige ist, was ihm bleibt.
Murat Kurnaz‘ Geschichte wirft nicht nur große Zweifel auf an der Rechtsstaatlichkeit unserer westlichen Welt, der Film konfrontiert den Zuschauer auf eindringliche Art und Weise mit der eigenen Wahrnehmung und Bewertung.