Archiv der Kategorie: Wettern der Woche

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext.

Wettern
Herzlich willkommen

Vorsätze – ein Neujahrsgruß unseres "Wetterers" Peter Grohmann

Ruf‘ ich dem neuen Jahr Hals über Kopf zu – noch ist es ja Zeit. Aber täuschen wir uns nicht – was wir gestern hinter uns hatten, haben Sie morgen vor sich. Die alten Sorgen, Nöte, Freuden, Demos, Weltuntergangsgefühle, Spendenzählen, Abonnenten wiegen, zu fettes Essen, zu viel Alkohol, weniger Abendland, mehr Morgenland, mehr schaffen, schneller schlafen, denn der Klassenfeind schläft nie – aber wo?

Mehr schaffe, schaffe, schaffe und koi Häusle baue gilt allerdings nicht für alle. Nehmen wir die Minijobber, die mit einem oder auch zwei Jobs den Hals nicht voll genug kriegen, bei denen es pekuniär hinten und vorne nicht reicht. Die bleiben lebenslang Mieter, wenn sie nicht Lotto spielen, und warten auf andere Zeiten. Ganz anders sieht es da bei den Vollzeit-Arbeitslosen aus. Die können wenigstens den Tag so lange totschlagen wie sie wollen oder in der Stuttgarter City kostenlos das Internet nutzen. Meine Omi Glimbzsch in Zittau konnte zu besseren Zeiten (meint sie!) davon nur träumen, ihrer arbeitslosen Mischpoke allerdings immerhin raten, die nach dem Totschlagen übriggebliebene Zeit in der Volksbücherei zu nutzen, um ein gutes Buch oder die Zeitungen zu lesen und sich aufzuwärmen. Der Sinnspruch über dem Eingang hieß „Ein Blick ins Buch und zwei ins Leben, das wird die rechte Form dem Geiste geben“ und stammt von J. W. Goethe (auch so ein Illusionist aus der DDR). Vorher, zwischen 33 und 45, hatten die Leute meist nicht den geistesgerechten Zugang zur Literatur: Was nicht verbrannt war, kam hinter Gitter, der Rest war braun angekokelt.

Nu ja ja, nu ne ne, tät die Omi jetzt sagen: Nach 45 bis 89 war auch nicht alles lesbar, was lesenswert gewesen wäre, und nach der Wende habt ihr ja lastwagenweise Tucholsky und Heine und Brecht und Luxemburg in den Papiermüll gekarrt. Was heisst hier „ihr“?

So wie die Bahnhöfe heutzutage auf das „Herzlich willkommen“ verzichten, um nicht Arbeitsscheue und andere Emigranten anzulocken – die Wartehallen bleiben kalt wie der ICE – sind auch die Bibliotheken empfindlich: In Stuttgart wird die neue Stadtbibliothek von kaufwütigem Volk überflutet, weil dem benachbarten neuen Einkaufsparadies Milaneo das Klopapier ausgegangen ist. Jetzt passt die (private) Security auf: Wer unerlaubt pinkelt oder, fast so schlimm, Politisches vorm Haus verteilt, wird der Polizei übergeben. Herzlich willkommen, werte Leserschaft, dort wie hier, erst recht bei Kontext 2015. Weitersagen. Weglesen. Dämonstrieren.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Die Russen kommen

Die Russen kommen – Peter Grohmann's "Wettern" vom 31.12 2014

Es war ein vertracktes Jahr, erinnerungsschwer wird es uns noch lange in den Därmen hängen. Nein, nicht nur, dass der VfB fast ausgerutscht wäre, macht Sorgen. Es sind die Fans! Bei der Rückfahrt von einem verlorenen Spiel, das nicht das letzte sein sollte, verprügelten sie sich gegenseitig statt den Gegner. Es ging um überzogene Kritik, nicht mehr, nicht weniger. Die alten Ägypter von heute lassen ihre Kritiker gar nicht erst einreisen – von wegen Staatssicherheit. Die Mumien müssen unter sich bleiben, die Opposition auch. Personen, deren Einreise nach Ägypten die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährden würden (!), erhalten ab Januar 2015 nun kein Visum mehr. Protest, Protest? Gemach, gemach! Nach Deutschland kommt, entgegen landläufiger Annahme, auch nicht Hinz und Kunz aus Kairo! Jedes Jahr werden (von wegen Staatssicherheit) 150-200000 Visaanträge abgelehnt.
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Wettern der Woche
Oh Du Fröhliche

Oh Du Fröhliche – Peter Grohmann's "Wettern" vom 24.12.2014

Erfreulicherweise geht ja die Vorweihnachtszeit jetzt zu Ende. Man kann sich also endlich dem Fest als solchem widmen: Bei uns gibt’s Gans. Begonnen hatte alles natürlich schon früher – mit dem Umschmelzen der Schoko-Osterhasen in Nikoläuse etwa oder ersten Weihnachts-Deko-Versuchen meines Möhringer Ökoladens Anfang Oktober:
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Wettern der Woche
Leckerli für Pegida

Pegida und Jesus von Nazareth – Peter Grohmann's "Wettern" vom 17.12.2014

Genau genommen ist es Jesus von Nazareth, ein Ausländer und gar ein jüdischer Wanderprediger, auf den sich die Pegida-Anstifter unwissentlich berufen: Einer, , vielleicht entgangen ist. Pegida steht, schweigt und marschiert „für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“ – eine Forderung, der sich ein normaler Hooligan genauso anschließen kann wie weite Teil des von Überfremdung bedrohten deutschen Volkes. Pegida wird dafür von großem Wohlwollen begleitet und hinter den Gardinen stehen Vati und Mutti und rufen laut Bravo! Nun freilich vergisst die christliche Seite des Abendlandes immer wieder, was sie nirgends so richtig gelernt oder gar verinnerlicht hat. Wer bitte weiss noch etwas von den populären Hexenverbrennungen? Wer bringt die Ausrottung der Indianer in einen Kontext mit Kirche und Christentum? Wer weiss noch etwas vom herbeigewünchten Segen Gottes bei der Versklavung und Ausrottung der Schwarzen? Eine rassistische Polizei in den NSUSA ist doch nicht nur das Erbe des Ku-Klux-Klan, sondern der beschworenen Überlegenheit der abendländischen Kultur geschuldet.
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Wettern der Woche
250

250 – Peter Grohmann's "Wettern" vom 3.12.2014

Die Berufsdemonstranten aus Stuttgarts Halbhöhenlagen haben die Stadt verändert. Und heißa, was für ein Aufgebot, fast jede Woche: Bis an die Zähne eingepackte Polizei steht Spalier und schützt die Shoppingmalls, wenn die Möchtegern-Revolutionäre im Sturmschritt dabei sind, unsere Stadt zwischen Wald und Reben auseinanderzunehmen. Montag für Montag, seit 250 Wochen(!) verbündet sich ein abgewracktes Bildungsbürgertum mit arbeitsscheuem Gesindel, mit Drogendealern, Besserwissern, Nörglern, Zukurzgekommenen bei fetten Immobiliendeals und anderen Angsthasen vor der Zukunft und macht diese unsere Stadt unsicher. Mal 2000 bis 3000, mal 1500, mal mehr, mal weniger – und das seit 250 Wochen! Jeeeeden Montag! Das ist fast noch schlimmer als die sogenannte Mahnwache vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof, die seit vier Jahren Tag und Nacht in der Gegend herummahnt – täglich 24 Stunden, bei jedem Wetter! Das hat selbst meine Omi Glimbzsch in Zittau nicht erlebt – nicht unterm Kaiser, nicht unterm Hitler, nicht unterm Grotewohl! Mit aggressiven Schreien wie „Oben bleiben – Köpfchen zeigen“ ziehen die Antidemokraten nach ihrer Kundgebung durch die Straßen der Innenstadt, fühlen sich wie Lokführer oder Piloten und missbrauchen das Recht auf Einkauf und Konsum. Was da marschiert, ist eine gefährliche und selbstsüchtige Bürgermischung von selbst ernannten Demokraten, parteimüde und bereit, auch am kommenden Montag zur 250. Montagsdemo zu erscheinen – koste es, was es solle.
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Wettern der Woche
Mare Monstrum

Mare monstrum, unser Meer? – Peter Grohmann's "Wettern", 12.11.2014

Der Italiener will die Flüchtlinge, die aus dem Meer auftauchen, nicht mehr alleine retten. Denn das kostet! Die Italiener sagen: Rund 10 Millionen Euro. Monatlich! Deshalb hat der Italiener hat seine alliierten Christenfreunde in Europa gebeten, beim Tragen dieser 10 Millionen behilflich zu sein, und, wenn’s geht, ein paar tausend Ohne-Boots-Flüchtlinge ab- und aufzunehmen. Die EU, vorn dran unser Vorbild Jean-Claude Juncker, hat abgewunken: 10 Millionen, das wäre zuviel des Guten. 10 Millionen, das ist etwa die Summe, die man den europäischen Banken täglich vorn und hinten reinschiebt, systemrelevant. Mare nostrum, unser Mehr.
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Wettern der Woche
Outen beim Mauten

Outen beim Mauten – Peter Grohmann's "Wettern" vom 5.11.2014

Manchmal fällt das Mauerbrechen mit dem Fastenbrechen zusammen – es ist der rasche Abschied der politischen und religiösen Eiferer aus der Realität. Was nun den Mauerbruch angeht: Die meisten im Lande der Rothäute hatten weder mit Gauck noch mit der Stasi persönlich Bekanntschaft geschlossen: Gauck hat sich so gut wie nie aus dem Fenster gelehnt, im Gegensatz etwa zehntausend Regimegegnern. Und die Stasi konnte neben einem im Bette liegen, ohne dass man’s merkte. Heut ist alles besser: Nicht nur die Regimegegner von gestern und heute werden abgehört und drangsaliert, sondern getreu der Forderung aus dem Herbst 89 alle: Wir sind ein Volk. Der Verfassungsschutz ist so betrachtet vielleicht doch keine Stasi: Er arbeitet effizienter, weil jenseits parlamentarischer und demokratischer Kontrolle. Meiner Omi Glimbzsch in Zittau ihr Enkel sein Nachbar war früher bei der Rasterfahndung tätig, heute entwickelt er Computerprogramme zur lückenlosen Erfassung aller menschlichen Denk- und Handelsweisen. Outen beim Mauten – das war sein Einfall! Da das Netz nie was vergisst (außer die Opfer des Terrors und die nicht Ankommenden aus dem Toten Meer), ist auch das regierungsamtlich versprochene Löschen der Daten kein‘ Pfifferling wert.
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Wettern der Woche
Die 4. Gewaltfrei

Anhydrit & AKW – Peter Grohmann's "Wettern" vom 29.10.2014

Die Behauptung, ein paar von Deutschlands wichtigsten Journalisten steckten unter einer Decke, führte fast zu einem Aufschrei der gesamten schreibenden Zunft, ja zu Solidarität, wie man sie ansonsten nur im Katastrophenfall findet. Den einen ging’s um Ehre und Ehrlichkeit, den anderen um Verzweiflung über die angeblich zahnlos geprinteten Medien-Tiger. Die Medien als vierte Gewalt: Was für eine verrückte Vorstellung! Vorhang auf für beispielhaften, wenn’s sein muss investigativen Journalismus, Platz da für Whistleblower! Fotos endlich wieder von Fotografen, nichts mehr von Fotalia und aus dem PR-Müll der Unternehmen! In den Redaktionen feiert man wieder die spitze Feder, das wöchentliche Aufdecken einer Sauerei. Keine Respekt vor Päpsten und Präsidenten, vor Amts- und Würdenträgern, stattdessen Distanz zu den Machthabern, seien sie nun schwarz, rot, grün oder blau.
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Wettern der Woche
Ku Klux Klan

Polizei und Ku-Klux-Klan – Peter Grohmanns "Wettern" vom 22.10.2014

Zwar befinden sich momentan keine verhaltensgestörten Personen mehr auf den Gassen, auch von Dschihadisten, Salafisten oder ISIS-Kämpfern ist in realen Umwelt wenig zu sehen – vom NSU ganz zu schweigen. Aber die arbeiten ja eh im Untergrund. Doch wie sagte meine Omi Glimbzsch in Zittau so treffend? Vorsicht ist die Mutter der Kalaschnikow! Insoweit ist es regelrecht zuvorkommend, wenn die Polizei in Stuttgart beispielgebend den Leuten im Haus Werastraße 10 den Hinweis gibt, dass „dieses Objekt gefährdet“ sei. Also ab in den Luftschutzkeller? Mit den sechs Kindern? Und Essen mitnehmen? Die Polizei: „Näheres weiss man nicht.“ Mensch, man ist auf gar nichts mehr vorbereitet!
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Wettern der Woche
Nicht denken, kaufen!

Nicht denken, kaufen! – Peter Grohmann's "Wettern" vom 15.10.2014

25 000 neue Kauflustige braucht unser eben eröffnetes Einkaufszentrum am Bahnhofbauplatz – täglich. Macht im Jahr rund neun Millionen Türkischstämmige, Älbler, Neu-Ulmer, Esslinger und anderes Volk. Mooomentle! Das Gerber, unser zweites eben eröffnetes Einkaufszentrum, braucht aber auch 25 000 Kauflustige – also zusätzlich! Das wären dann die Heslacher, Vaihinger, Pforzheimer, Karlsruher, Ulmer und Hotzenwädler. Ideal wäre natürlich, wenn die alle mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr kämen, trotz der Gefahren, die ihnen bei der Passage maroder Brücken und Tunnels drohen. Denn wenn nur an einem einzigen Tag im Jahr ein Zug irgendwo stehenbleiben muss, weil die Brücke plötzlich weg ist oder Betrunkene in der Oberleitung hängen – gibt es – abgesehen vom gern zitierten Personenschaden und dem Imageschaden – gravierende Umsatzeinbußen! 50 000 Espressos weniger, 50 000 mal weniger Pinkeln, vom großen Geschäft ganz zu schweigen. Wer sparen will, geht geht zur Notdurft bei Primark oder pisst die Wand an.

Beim Zustand der Bahnanlagen (alles marode, das bleibt aber unter uns!) ist allerdings noch mit ganz anderen Un- und Ausfällen zu rechnen. In Böblingen hat eben ein hipper Einkaufstempel seine Pforten geöffnet, in Ludwigsburg scharrt schon der Kaufhengst im Marstall-Center ungeduldig mit den Hufen, in Ulm und um Ulm rum reibt sich in Ehren ergraute Kaufmannschaft die Augen und der Investor die fettigen Hände: Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt die Kaufkraft auch zu dir!

Inzwischen geht die kommunale Infrastruktur flöten, wenn sie nicht schon auf dem letzten Astloch pfeift. Der Einzelhandel geht am Stock, das gastronomische Angebot hat Dünnpfiff, auch wenn die Region Stuttgart noch die wohlhabendste ist im Bund (die Niedriglöhner, Aufstocker und Kurzzeitverträgler nicht gerechnet, von Hartz IV ganz zu schweigen). In diesem Gewerbe heisst das Motto: Nicht denken, kaufen. Oder, umgemünzt auf die meisten Damen und Herren in den Rathäusern: Nicht denken, bauen.

Von den etwa 16 Milliarden (regionale Kaufkraft) werden nur rund 14 auch in der Region ausgegeben – 2 Milliarden gehen fremd. Daher muss uns meine Omi Glimbzsch aus Zittau helfen: Omi, hau Dein Geld in Stuttgart auf den Kopf, nicht in Karl-Marx-Stadt! Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, geh‘ doch in die Oberstadt, mach’s wie Deine Brüder!

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Aufstand

Aufstand – Peter Grohmann's "Wettern" vom 1.10.2014

Rechtzeitig zum Schwarzen Donnerstag gibt es von der Börse wieder freundliche Nachrichten. Der Abwärtstrend des Dax ist gestoppt, wir haben alles im Griff. Am Black Thursday allerdings, einem sonnigen 24. Oktober im Jahre des Herrn 1929, vor exakt 85 Jahren, fand der erfolgreichste Börsencrash der Geschichte statt: Panik unter den Anlegerinnen – wer am 23. noch ein reicher Cupongschneider war, fand sich am 25. in den Gossen von Harlem oder Wedding wieder. Zwei Tage nach meinem Geburtstag versuchten dann alle Investoren gleichzeitig, ihre Aktien zu verhökern. So etwas kann nur schiefgehen, das weiß heute selbst die LBBW.

Rechtzeitig zum Schwarzen Donnerstag, dem Tag des Aufstands der Polizei gegen die Stuttgarter Schüler, beklagen die wenigen übrig gebliebenen Printmedien weinerlich das mangelnde Interesse des Volkes an anderen Spielen als dem Volksfest. Null Bock für Erörterungen. Das Volk will Brot und Spiele, sprich Bier und Göckele. Und da wir ja so total auf Mehrheiten pochen: Es hat sogar überwiegend nicht nur das Interesse an Powerpoint-Präsentationen in cleanen Messehallen, sondern auch an Wahlen verloren. Jeder Zweite wählt, wenn sie wählt, lieber das Bierzelt. Da weiß Mann: Die Maß ist nie ganz voll, aber auch nicht halb leer und mit Sicherheit teurer als letztes Jahr. Das hat die Maß mit den Parteien gemeinsam – aber immer frisch verzapft!

Doch wenn Aufstand, dann bitte woanders. In Hongkong beispielsweise. Aufstand bei die Schlitzaugen?, tät meine Omi Glimbzsch aus Zittau jetzt treuherzig fragen. Die Ungläubige! Sie hat halt so ihre Erfahrungen mit den Gelben und den Roten gemacht, gelle? So braust Jubel auf, wenn die Schüler Hongkongs das Finanzzentrum stürmen und dem Tränengas trotzen. Sie tun es ja auch für uns, und so lange in Frankfurt oder Stuttgart alles ruhig bleibt, ist alles okay. Für Ordnung sorgt in Hongkong und Frankfurt die paramilitärisch ausschauende Polizei (wie von der Geisterbahn auf dem Wasen). Occupy, Blockupy. Beifall.

Der Kollege Holger G. von der StZ (der Name ist der Redaktion bekannt) wahrsagte vor Tagen, dass „die kleiner gewordene Gruppe der Fundamentalgegner“ wahrscheinlich bei der Eröffnung des Tiefbahnhofs (nicht in Hongkong, sondern in Stuttgart) „Oben bleiben“ rufen wird.

Die müssten dann freilich bei guter Gesundheit bleiben und ein Durchschnittsalter von 120 Jahren erreichen. Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Freunde des börsenorientierten Tiefbahnhofs froh wären, wenn sie oben geblieben wären: So viele Züge auf 16 Gleisen gibt’s sonst nirgends.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Alles verdächtig

Alles verdächtig – Peter Grohmann's "Wettern" vom 24.9.2014

Nicht nur in den Staaten macht sich mehr als verdächtig, wer den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera hört – eine gelungene Gründung des Investors Tamin bin Hamad Al Thami, kurz: Emir von Katar. Sieben Frauen, 25 Kinder. Meine Omi Glimbzsch in Zittau würde sofort die Straßenseite wechseln,wenn ihr dieser Scheich über den Weg liefe. Nein, nicht weil der fast ein Schwarzer ist, sondern wegen seiner Begleiterin, auch eine Schwarze: Angela Merkel. Aber ob Schwarz, weiß, rot oder grün – das juckt keinen mehr: Wer investiert oder deutsche Waffen kauft, dem werden die Füße geküßt. Der Emir ist ein Freund der Muslimbrüder – mein Gott Walter! Merkel und Steinmeier sind ja jetzt auch Freunde der Pech mergas – und die wiederum sind der militärische Arm der PKK, die bei uns verboten ist. Erst wenn sich das (verbotene) Mitglied der Kurdischen Arbeiterpartei nach Hause zu Mutti aufmacht und zur Kalaschnikoff oder einer deutschen Feuerwaffe greift, um für uns die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, gibt’s das Ritterkreuz der Demokratie. In Katar wiederum, das Israel in Sachen Demokratie

einholen will, sitzen ja nicht nur Beckenbauer & Co, sondern faktisch die gesamte Elite des praktizierten Kapitalismus. Viele von deren Geschäftspartnern wiederum stehen unter dem dringendem Tatverdacht, die Terroristen des Islamischen Staats zu finanzieren.

Die Ehefrau vom Beckenbauer hat in Katar noch nie Probleme gehabt, sagt man. Mag sein – es ändert aber nichts daran, dass die inländischen Frauen dort wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Nicht nur das. Es gibt sogar eine dritte Klasse: Die Sklaven, die Erbauer der schönsten Fußballstadien, die die Welt je gesehen hat. Der „Sponsor des Schreckens“ hatte im Gegensatz zu seinen Sklaven in Berlin einen fulminanten Auftritt. Nicht so ganz hundertprozentig im Sinne der Pflichten unseres Landes zu den Menschrechten. Aber wenigstens trägt der Emir keine Burka – denn inzwischen weiss man, dass unter mancher Burka genauso oft ein kluger Kopf stecken kann wie unter einem Polizeihelm, ob in Stuttgart, Berlin oder Katar. Um mit Hannes Wader zu singen: Nichts bleibt, wie es war. Katar ist schon lange ein sicheres Herkunfsland fürs Kapital, und Diskriminierung als Fluchtgrund steht nicht auf Merkels Agenda.

Damit Sie wissen, was ich meine, ein Nachsatz zum schlechter gewordenen Wetter für Sinti und Roma, das Kretschmann gemacht hat. Die Leute kommen nicht aus Katar, sondern aus Serbien. Und im grün-roten Koalitionsvertrag heißt es ganz schlicht: „Humanität hat Vorrang.“

Nichts als schöne Worte – alles verdächtig!

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Monster

Wir waren Monster – Peter Grohmann's "Wettern" vom 17.9.2014

Beim strömenden Regen versammelten sich dieser Tage in Stuttgart Kinder, Frauen und Männer vor allem aus Serbien – vom Regen in die Traufe. Die verfolgte Minderheit bettelt um Asyl – Sie wissen schon, dieses mehrfach generalüberholte Grundrecht, für viele ein Fetzen Papier. Weil? Weil dieser Tage der Bundestag dem Grundrecht wieder mal ein paar Fäden aus dem Rückgrat ziehen will: Deutschland den Deutschen, da ist man sich weitgehend einig, unabhängig von Geldbeutel oder Bildung. Deshalb blieben die zigeunernden Protestanten, die sich vor neuer Verfolgung und Abschiebung fürchten und die man (immerhin!) in der hintersten Ecke des Schlossplatzes duldete, unter sich. Solidarität, noch dazu bei Regen, ist eben selbst für die progressive Intelligenz eine Zumutung.

Da ging’s der regierungsamtlichen Demo in Berlin gegen Judenhass nicht viel besser: Ob eitel Sonne mit Merkel oder Regen mit Gabriel: „Die Straße“ war noch nie Sache der Mitte der Gesellschaft: Man geniert sich halt und proklamiert lieber den Aufstand der Anständigen auf Büttenpapier. Dabei wissen wir doch: Auch der intelligenteste Mob wirft sie alle in eine Kiste – Juden, Sinti und Roma, Homos, Asoziale, Behinderte, Ausländer…

Rechts vorbei an Zittau, südwärts, der Omi Glimbzsch noch eben Guden Taach sahen, ist’s nach Auschwitz eben mal drei Stunden. Im „Zigeunerlager“ ermordeten die Deutschen Hunderttausende, nicht ohne ihnen vorher die Zähne zu ziehen. Auschwitz, das Massengrab für Millionen Juden, bleibt eher unbesichtigt. Birkenau und Auschwitz legen Zeugnis ab, dass wir, ja wir!, jederzeit jeden Terror der Welt, jede Brutalität und Gemeinheit, jeden individuellen und jeden Massenmord auf dieser Erde in den Schatten stellen. Demütigen, aus dem Land jagen, zusammentreiben, köpfen, erschießen, erschlagen – alles öffentlich. Vergasen. Verbrennen. Vergessen. Wir waren es, die deutsche Terrormiliz: Unmenschlich, grausam, verbohrt, kalt, dogmatisch. Manchmal haben wir nur zugesehen und abgewartet. Wir waren die Monster, äh: Menschen.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Galle-bitter

Galle-bitter – Peter Grohmann's "Wettern" vom 10.9.2014

Bibeln und Koalitionsverträge, so sagte der Herr Gall, kann man so oder so interpretieren. Das ist genauso wie mit den Parteiprogrammen. Denn ein Stuttgarter Innenminister muss ja die Zeiten vor und nach den Wahlen im Augen haben, so wie der Herr Seehofer, unser Horsti Schmandhoff aus Ingolstadt: Der hatte vor dem sächsischen Weltuntergang auf Teufel komm raus gegen die AFD gewettert. Nun aber, das Desaster der kommenden Tage ahnend, gibt’s im nationalen Streichelzoo nix mehr auf die Mütze oder hinter die Ohren, sondern es wird gesäuselt, was das Zeug hält, um die Halb- und Ganznationalen mit und ohne Glatze bis zur Stimmabgabe am Sonntag bei Laune zu halten.Wer weiss schon, wer wie tickt?

Um bei Gall zu bleiben: Nehmen wir die Polizei, die uns bei größeren Polit-Ereignissen wie ein Monster gegenübertritt, als Kohorte: Sackschutz, Sichtschutz, Sturzhelm, Knieschoner, Tarnklamotten, Pferdehalfter, alles unbrennbar und wie mein neuer Fahrradschlauch: Unplattbar. Der Polizist von Welt sieht aus wie Louis Armstrong bei seinem ersten Mondspaziergang, oder, um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, wie der Mann am Hochofen von Thyssen – hart wie Kruppstahl. Da ist kein Augenzwinkern, kein Lächeln hinter Fielmanns Brillen zu sehen, nur eine Ahnung von Gesicht. Im seinem Innersten ist der Polizist kein Bulle, sondern einer wie wir, der nur seine Pflicht tut, der weiss: Befehl ist Befehl. Der wär‘ heute auch gern auf ein Bier ins Schlesinger oder zur Cosi fan Tutte, statt den wilden Mann zu geben. Brust raus, Arsch rein, sonst siehst du aus wie ein Krümelmonster, meinte meine Omi Glimbzsch aus Zittau, wenn ihre Enkel, die noch bei der NVA (nicht NSU!) ihren Dienst taten, sich im guten Zimmer (!) eine F 6 zwischen die Zähne schoben: Die schmeckte noch nach echtem Teer und Lungenkrebs. Heute findet der wiedervereinigte Kollege in den tausend Taschen seiner gesamtdeutschen Ausgehuniform weder Zündhölzer oder ein Päckle Schwarzer Krauser, sondern allenfalls Ersatzbatterien für Hörgeräte. Was ich sagen will: Wenn die Jungs und Mädels in diesen miesen Zeiten auf Streife gehen, um Verfassungsfeinde, krumm geborene Störer oder renitente Rentnerinnen aufzuhalten, müssen sie das anonym tun, ganz so wie die Vermummten aus der Roten Zora, Sprayer oder Salafisten. Wäre ja noch schöner, wenn man der Nachbarin Ohnesorg sagen könnte: Neulich hat mich Ihr Sohn getroffen – mitten ins Gesicht.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Braun gebrannt

Braun gebrannt – Peter Grohmann's "Wettern" vom 3.9.2014

Jetzt machen Sie sich nicht gleich wegen der paar Prozent in die Hosen! Erstens wollen die Sachsen seit je lieber einen König, dass ist bekannt. Und wetten, dass sie jederzeit Kurt Biedenkopf krönen statt köpfen würden, wenn’s legal wäre? Zweitens, dass man in Dresden und Umgebung den Rechtsradikalen gut, gern und freiwillig für 15 % Vertrauen schenkte, kann uns doch in Stuttgart nicht schrecken! Hier erhielt 1968 die Nationale Front alias NPD bei den Landtagswahlen auch knapp 10 %, und da sind die Scheindemokraten gar nicht mitgerechnet! Wir wussten eben damals schon, was Demokratie heisst, haben es aber glücklicherweise schnell wieder vergessen. Schön, bliebe noch die schlaffe Wahlbeiteilung: Von fast 75 % kurz nach der Machtübernahme 1990, als man noch von Kohls grünen Landschaften träumte, der außerparlamentarische Absacker 2014. Heute träumt man von der Mauer. Rund die Hälfte aller Wahlberechtigten blieb doch in Sachsen auch 1990 zu Hause! Die zwei Prozent zwischen damals und heute machen das Kraut auch nicht mehr fett. Doch es ist ein grausames Menetekel: Die Zukunft der Parteien-Demokratie sieht düster aus, und das Geschrei wird übermorgen umso größer werden, je mehr die Wahlbeteiligung abnimmt. Es riecht nach rechts außen, nach scharfem Populismus, nicht nur in Sachsen und nicht erst seit dem 31.8.2104. Und bitte sehr: Wer will sich schon von den Kohorten der AFD die Diäten vom Teller nehmen lassen? Die knapp hunderttausend Wählerinnen und Wähler von CDU, FDP, Linken, NPD und SPD haben gewusst, was sie wählten: Das markige DM-Gefühl, die Abscheu vor der Homo-Ehe, das Nein zur Frauenquote, den Stopp für Einwanderer und Flüchtlinge. Insoweit muss nun nicht nur Stanislaw Tillich (auch kein echter deutscher Name, oder?) vorsorgen. Er hat sich zwar bereits den Slogan seiner linken Ex-Freunde „Mehr Lehrer und Polizisten“ zu eigen gemacht: Nu ja ja, nu ne ne – helfen wird’s ooch nischt, wie meine Omi Glimbzsch aus Zittau weiss. Die Hochwasseropfer der Asylantenflut empfangen ihre Machthaber immer mit Pfiffen. Kein Wunder, dass nun die insolvente Frauke Petry samt Bernd Lucke für die AFD ein „Arbeitsrecht für Asylanten“ fordert – ein durchaus populärer Ruf, der wie vieles andere aus der Mitte der guten Gesellschaft ertönt: „Kinder statt Inder“. Auch die in Sillenbuch oder am Killesberg wollen keine Moschee – Sie etwa?

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Lompapack

Lompapack – Peter Grohmann's "Wettern der Woche" vom 13.8.2014

Hans Bayer, der Stuttgarter aus Cannstatt, hätte jetzt viel zu tun, lebte er noch. Vielleicht, weil es so aktuell ist, widmet die Stiftung Topografie des Terrors dem Kriegsberichterstatter aus dem Zweiten Weltkrieg eine Sonderausstellung (Berlin, ab August): Bayer musste 1938 zu den Soldaten und war ab 1941 bei einer Propagandakompanie an der Ostfront. Propaganda und Ostfront – das tät auch heut passen, Ausstellung hin oder her.

Für unsereins hat der Kollege viel getan, unter anderem als Motor für den Schriftstellerverband, als Zuredner für eine freie, unabhängige Presse, als Zeitzünder für eine Künstlersozialkasse. Und er hat unglaublich viel dazugelernt – eine Fähigkeit, die zunehmend verloren geht: Bayer wurde Pazifist und politischer Akteur. Mit Heinrich Böll und Günter Grass wurde er 1974 gewissermaßen zur SPD vorgeladen: „Eine Dichterlesung wird es nicht werden“, schrieb seinerzeit die „Frankfurter Rundschau“. Bayer empfahl der SPD die Provokation und den Mut zu einer klaren Absage an den Staatskapitalismus, den Mut zum Widerstand gegen die Pressionen der internationalen Konzerne, die Abkehr von der Mauschelei um Ämter als Sinekuren für ausgediente Funktionäre. Und 1977 forderte er die Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass ein Radikaler noch lange kein Terrorist ist und dass Persönlichkeiten wie der junge Schiller, Hölderlin, Schubart, Hegel und Brecht Radikale waren, dass Pestalozzi, Fichte, Lessing, Leibniz, Arndt, die Brüder Grimm, Jahn und Hoffmann von Fallersleben als staatsgefährdend galten, ihre Ämter und Professuren verloren und mit Berufsverbot bestraft wurden.

Eingebettet in die Furzmullen der Macht, mit vorauseilendem Gehorsam den Verbündeten hinterher, ohne Ecken und Kanten präsentieren sich dieser Tage die Farben tragenden Parteien. Da muss, im Falle Sant’Anna di Stazzema, ein Gericht dem Justizminister sagen, wo der Barthel den Moscht holt, um einen Prozess neu aufzurollen, da braucht es einen Bundesverfassungsrichter, der Abgeordnete vor ihren Diäten warnt und meine Omi Glimbzsch in Zittau, die – von Ossi zu Ossi – die Kanzlerin um die Aufnahme jesidischer Flüchtlinge bittet: zwar Türken, aber immerhin Christen.

Trauern wir also um Thaddäus Troll, jenen aufsässigen, radikal-liberalen Schwaben, den Hans Bayer aus Cannstatt, der 100 geworden wär in diesem Jahr, und die zunehmende Abnahme von Courage, freier Rede und freier Presse, überall. Troll – das wär ein Wetterer gegen die Griffelschpitzer und Lugabeitel, die Erbsazähler und Wendbeitel.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Semitismus? Antisemitismus?

Semitismus? Anitsemitismus? – Peter Grohmann's "Wettern" vom 6.8.2014

Es wird gut sein, vorher einen Anwalt zu konsultieren, wenn man dieser Tage auf die Straße will, um seine Meinung zu sagen. Auf den gesunden Menschenverstand ist so wenig Verlass wie auf guten Geschmack oder den politischen Instinkt, vor allem, wenn man mit einem selbstgefertigten Demonstrationsmittel – einem Schild etwa – zur Kundgebung eilt. Doch gemach: Im Falle des Nahost-Konflikts warten, gut gedeckt, Staatsanwalt und Arabisch-Übersetzer, links- und rechtshändig stehen gutgerüstete Ordnungskräfte parat, damit das Versammlungsrecht nicht ausufert. Sie können bei Bedarf direkt vor Ort entscheiden, was erlaubt und was verboten, was beleidigend, semitisch oder antisemitisch ist – Kyrillisch und Xinjiang-Dialekte mal ausgenommen. Von erfahrenden Montagsdemonstranten in Stuttgart hört man, dass die Staatsmacht auch Gebärdendolmetscher honoriert, die auf größere Entfernung und ohne Einsatz technischer Mittel dem Gegner jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Nicht die Rede sein soll hier von weiteren Hilfstruppen – mehr oder minder bewaffneten Zivilisten, die Knarre im Hosenbund, die auf einer Demo nichts verloren haben und dennoch suchen, von V-Leuten, verdeckten Ermittlern oder Scharfmachern und Provokateuren, die ein welterfahrener Demonstrant wie der Kontext-Wetterer auf hundert Meter riecht. Die Ordnung sorgt auch dafür, dass quasi jeder Furz vorsorglich mit Video aufgezeichnet wird. Die nicht versteckte Kamera ist überall dabei, und jede Demo kann bei genügend Bedarf jederzeit komplett eingekesselt werden. Bei der Blockupy-Party 2013 in Frankfurt hatten die Saubermänner der hessischen Regierung sogar schon im Vorfeld Dixi-Klos ankarren lassen. Ach, Kinder – was das alles kostet!

Der große Aufreger dieser Tage sind die Antisemiten: Sie kommen, obwohl ungerufen, wie gerufen. Als in Stuttgart Palästinenser-Komitees und Freunde zum Protest gegen Bombardement und Gaza-Einkesselung aufriefen, machten sie vorab klar: Antisemiten sind nicht erwünscht – hier geht’s gegen Israels Politik und nicht gegen Juden. Die Veranstalter bekamen freilich keine Hilfe von der Polizei, als sie das durchsetzen und provozierende Plakate entfernen lassen wollten. Und leider konnte die Polizei nicht einmal die Namen der Provokateure geststellen, wo doch im Vorfeld jeder linken Demo Rucksack- und Gesichtskontrolle zum guten Ton gehören. Cui bobo, frag‘ ich den Mann mit der dunklen Sonnebrille. Und kein Wort davon in der Presse – aber wir haben ja kontext.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
1 Million nebenher

Neidhammel – Peter Grohmann's "Wettern" vom 30.7.2014

Dass der CSU-Parlamentarier Peter Gauweiler rund eine Million mehr oder weniger so ganz nebenbei eingenommen hat, schmerzt allenfalls die Geringverdiener und mich. Neidhammel, ruft mir in diesem Augenblick meine Omi Glimbzsch aus Zittau zu – ich hätte ja auch Karriere machen können, wenn ich fleissig genug gewesen wäre. www.abgeordnetenwatch.de ist da die eine gute Seite unserer Mediengesellschaft, die Karriere macht, und die andere, die ebenfalls furchtbar die Leute ärgert, heisst www.transparency.de. Auf der einen oder anderen Liste taucht früher oder später jeder auf, der Rang und Namen hat in unserer Demokratie. Es sei denn, man macht rechtzeitig gutes Wetter, um einem Getwitter zuvorzukommen. Unsere Landesregierung etwa, die neulich in Berlin zur Stallwächterparty des Landes einlud, ging mit dem 250.000-Euro-Fest absolut souverän um. „100 Prozent Öko“ war die Devise. Deshalb reiste die ganze Klicke von Stuttgart aus mit dem Flieger nach Berlin – der wäre ja so oder so geflogen. „Ja, Grohmann, Du Seckel“, wird mich jetzt vielleicht Genosse Friedrich fragen, „hättet mir etwa mit ‚m Fahrrädle kommen solle? Über Helmstedt?“

Die Party des Landes kostete rund 220.000 Euro. Eingeladen waren alle, die irgendwie irgendwo zur Berliner Haute volee zählen, darunter natürlich auch der eine oder andere Steuersünder, zwei-drei handzahm gewordene Journalisten, Bankrotteure und Banker, Zuhälter der Rüstungsindustrie, Zocker aus dem Immobilienmilieu, wie Spötter aufzählen dürfen – vor allen aber wohlverdiente und verdienende Zeitgenossen, wie sie unser Land braucht.

Ich sag‘ mal so: Die Schickeria,die Großkopfeten brauchen auch solche Events, bei denen es ein Verbrechen wäre, wie Anno Dunnemal die Roten am Holzstecken ins Feuer zu halten. Die gepamperte Demokratie trinkt in Maßen – nur der Pöbel würde sich sinnlos besaufen.

In Wahrheit hat das Fest das Land so gut wie gar nichts gekostet, denn es wurde gesponsert. Nehmen wir die Firma Diehl, Kennwort: Schwerter zu Pflugscharen. Diehl hat 5.000 gegeben, Daimler das Vierfache, die AOK 10.000. Das sieht dann die „Stiftung Entwicklungszusammenarbeit“ (SEZ) mit ihren 1.000 Euro (Sachleistung!) richtig alt aus. Die Stiftung hat wenigstens bei dieser Party „ein wichtiges Zeichen dafür gesetzt, dass die Bekämpfung von Armut und die Schaffung von Zukunftsperspektiven in den Ländern des Südens nicht nur eine Aufgabe auf internationaler Ebene ist, sondern auch Handeln auf Landesebene erfordert.“ Schön gesagt.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.