Von Sandro Mattioli
Datum: 28.02.2018
Im Jahr 1944 wurden mehr als 500 Bürgerinnen und Bürger von Sant’Anna di Stazzema Opfer eines Massakers der SS. Der Bürgermeister des toskanischen Bergdorfs setzt nun ein Zeichen gegen leichtfertige Reden über den Faschismus, seine Symbole und Gesten: Seit kurzem kann jeder Bürger werden, der die Welt als globales Friedensdorf begreift.
Er wollte es vor allem für die jungen Menschen machen, für die Werte der italienischen Verfassung, die dezidiert antifaschistisch ist. Für Freiheit und Demokratie, nicht gegen etwas. Am 27. Dezember des vergangenen Jahres hatte Bürgermeister Maurizio Verona, 51, die Idee. „Junge Menschen benutzen das Internet täglich, es ist ein wichtiges Instrument für sie. Es ist deswegen einfacher, sie dort zu erreichen“, erklärt er. Das Register steht aber jedem Menschen der Welt offen, so er oder sie die Werte der entsprechenden Charta teilt: die Welt als globales Friedensdorf. Noch ist die Seite und die Charta nur in Italienisch verfügbar, doch in Bälde soll auch eine deutsche, französische und englische Version online gehen. Mehr als 37 000 Bürgerinnen und Bürger hat die antifaschistische Gemeinde bereits.
Es ist ein symbolischer Akt, sich hier zu eintragen, er hat keine Rechtsfolgen und keinerlei verpflichtende Wirkung. Aber gerade für Deutsche ist es ein hoch aufgeladener Akt. Denn die Geschichte dieses Melderegisters reicht weit zurück, zurück in eine Zeit, in der sich Deutschland und die Deutschen von ihrer allerhässlichsten Seite in Italien gezeigt haben: in das Jahr 1944. Damals wurde Sant’Anna di Stazzema Schauplatz eines schlimmen Massakers an der italienischen Zivilbevölkerung. In Maurizio Veronas Gemeinde machten sich die deutschen Soldaten, vorrangig der Waffen-SS, zu Kriegsverbrechern, machten sich zu Massenmördern an der Zivilbevölkerung.
Der Ort Sant’Anna di Stazzema liegt in den toskanischen Bergen. Er hatte damals keinerlei strategische Bedeutung. Ursprünglich zählte Sant’Anna rund 400 Seelen. Weil aber in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs viele Kriegsflüchtlinge hier Schutz gesucht hatten, war die Einwohnerzahl deutlich angewachsen. Im Ort hielten sich neben den Einwohnern nur Menschen auf, die größtenteils aus tieferliegenden Orten an der Küste kamen, wo heftige Kämpfe tobten. Die militärische Bedeutungslosigkeit der Anwesenden hielt deutschen Soldaten am Morgen des 12. August 1944 nicht davon ab, den Ort auszulöschen. Sie erschossen rund 560 Menschen, vom Kleinkind bis zum Greis, sperrten die Menschen in Häuser, warfen Handgranaten hinein. Auf dem Platz vor der Dorfkirche schichteten sie die Bänke aus der Kirche auf mitsamt den Leichen und zündeten alles an. Sie wüteten, als seien sie keine Menschen. Sant’Anna hat die Folgen von Hass, Faschismus und Totalitarismus besonders heftig vor Augen geführt bekommen – doch lange hat das niemanden interessiert.
Deutsche Soldaten in Abwesenheit als Kriegsverbrecher verurteilt
Dieses Massaker war kein Thema, für Jahrzehnte. Zunächst wollte Italien nicht die gute Beziehung zu Deutschland riskieren, dann regierte das Vergessen. Bis im Jahr 2002 die Unterlagen zu dem Fall wieder auftauchten. Ein rühriger Staatsanwalt machte sich ans Werk, am Ende wurden im Jahr 2005 deutsche Soldaten in Abwesenheit als Kriegsverbrecher verurteilt. Zu befürchten hatten die Männer freilich nichts: die Bundesrepublik liefert keine Staatsangehörigen aus. Und die Mühlen der Justiz in Deutschland mahlten in der Folge betont langsam bis gar nicht.