Macht kaputt?

Macht kaputt? – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Wir müssen beim FC Bayern alles hinterfragen, sagte mir Uli Hoeness. Auch die Macht des Geldes. Wenn selbst Millionen nur für einen miesen 5. Platz reichen, wenn so einem Favoriten nicht mal beim jahrelangen Nachdenken in Einzelhaft und bei Isolationsfolter was Neues einfällt – dann gute Nacht, Deutschland! Und auch der zweite große Skandal hat seine Heimat in Bayern. In Augsburg (Brecht mit Thurn mit Taxis) hat das dortige Landgericht Volkswagen „wegen sittenwidrigem Verhalten“ dazu verdonnert, einem Kunden den vollen Kaufpreis für seinen neuen Golf Plus 1.6 TDI (schwarz!) zu erstatten. Für solche Feme-Urteile (keiner wird gehängt, aber weitere folgen) gegen die Betrugskonzerne zeichnet Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe verantwortlich, „der dafür erschossen“ gehört, wie mir ein Daimler-Kollege glaubhaft versicherte. Die Inhaber von Autoaktien würden diese Forderung gern aufgreifen – natürlich nur pro forma und mit neuer Software. Und Rösch als Zielscheibe – das ist doch mal eine schöne Idee, die den Automedien und den Börsen gefallen wird.

Womit wir schon wieder beim Spenden wären. So manche Mark, die im befreundeten Ausland lagert, könnte bei der AfD Wunder tun. August von Finckh (der Ältere) war ein Bewunderer Hitlers – aber das ist ebenso vergessen und vergeben wie die Beteiligung der Deutschen Bank an der Finanzierung von Auschwitz. Oder haben Sie je was davon gehört? Aber so eine Geschichte hängt natürlich der Familie an, auch wenn nicht groß darüber geredet wird. Sohnemann August von Finckh der Jüngere (ein alter biodeutscher Eidgenosse mit Schloss und Riegel in Thurgau) würde sich heute gewiss nicht an der Arisierung jüdischer Banken beteiligen. Nanana, würde meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt rufen. Doch der Freund rechtslastiger und liberaler Parteien hat nicht erst neulich der AfD finanziell in den Sattel geholfen, sondern in guten Zeiten auch die CSU und die FDP gefördert. Whay not! Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe.

Widewidewitt und Drei macht Neune – ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt! Am Geld liegt’s nicht, es liegt am Kapitalismus. Am 29. Oktober 1929 feierte die internationale Finanzwelt erstmals den Schwarzen Freitag – und heute geht die Internationale auf Schnäppchenjagd und macht am Nikolaustag kaputt, was uns kaputtmacht.

Einfach Aushungern

Hordentrieb – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

In seinem ersten Leben war der heilige Bassiano ein gewöhnlicher Heide, der es im letzten Augenblick noch schaffte, sich taufen zu lassen. Bassiano widersetzte sich dem Druck der reichen Eltern, wurde Priester, führte ein Leben in Demut (Söder) und Nächstenliebe (Seehofer), fütterte die Kinder der Armen und heilte die Kranken. Was will man mehr im schönen Lodi, der lombardischen Stadt? Schnauze halten. Das empfiehlt die katholische Bürgermeisterin Sara Casanova von der Lega Nord ihrem Konstanzer Amtskollegen, der sich darüber aufgeregt hatte, dass in Lodi Flüchtlingskinder vom Schulessen ausgeschlossen werden. Moment, nur keine Aufregung! Kinder von Leistungen auszuschießen, das gibt’s auch bei uns, etwa wenn die Eltern Tunichtgute sind, also Faulenzer, Strolche, Herumtreiber, Leute, die selbst Kretschmann nicht so recht leiden kann.

Womit wir bei der AfD wären, gewissermaßen einer Schwesterpartei der Lega Nord. Wenn die AfD mit ihren Spendenaffären Furore macht, erinnern wir uns doch gern an die 20 oder 30 Millionen, die in den Siebziger Jahren an SPD, CDU/CSU und FDP flossen, an Helmut Kohls Ehrenwort und die Schwarzen Kassen der CDU, an viele weitere finstere Geschichten des Lobbyismus. Und deshalb würde meine Omi Glimbzsch aus Zittau spätestens jetzt den Parteien allesamt zurufen: Schnauze halten. Und an die legalen Spenden denken, die den Parteien Jahr für Jahr zufließen, ganz ohne Gegenleistung, aus purer Nächstenliebe.

Nächstenliebe war auch der Grund für rund 1100 jesidische Frauen, die aus der Hölle des IS flohen und bei uns fortan Schulspeisung bekamen und ein Dach über dem Kopf hatten. Familienzusammenführung, Menschenrechte, Verfassung? Pustekuchen. Wer seine jesidische Familie nachholen will, verliert den besonderen Schutzstatus und muss zurück in die Hölle der sicheren Herkunftsländer. Da bietet sich neuerdings Syrien an, dass Land, dass Fassbomben abwarf, Flüchtlingskamps unter Feuer nahmt, ganze Regionen aushungerte. Der Folterstaat mit dem Giftgas. Fast über Nacht wird jetzt Baschar al-Assad zum Schutzheiligen jener Menschen, die bei uns untergekrochen sind. Alles ist sicher, nur Syrien nicht. Doch es darf wieder abgeschoben werden, auch nach Syrien. Tja, die Menschenrechte.

Ach so: Gerade eben hat die Württembergische Landesbibliothek die Auslage der Vielfalt-Zeitung untersagt, die sich solchen Themen widmet. Ein vielfältiges Programm gegen Zensur, Intoleranz und Dünkel finden Sie hier. http://0711menschenrechte.de/veranstaltungskalender

Hordentrieb

Hordentrieb – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Zuerst unsere Gratulation: 100 Jahre Frauenwahlrecht! Das gab es noch nie. Und was gern vergessen wird: Von den Linksradikalen durchgesetzt, mit Engelsgeduld und Spucke, gegen die Herrenmenschen. Bis das Marienwunder kam: Denn obwohl 78 Abgeordnete mehr im aktuellen Bundestag sitzen, ist die Frauenzahl um elf auf 218 abgesackt. 31 Prozent – so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das kann sich kein Mensch erklären. In der arabischen Kopftuchwelt ist längst das irakische Parlament mit einem Frauenanteil von 26,5 Prozent den deutschen Frauen hart auf den Fersen, ganz ohne Weiberrat. Es geht doch!

In Zeiten des Gedenkens – Novemberrevolution, Republik, Pogrome, Deutschland einig Vaterland – bleibt das Nachdenken wichtig – etwa an den 8. und 9. November 1938, als deutsche Männerhorden durch die Städte zogen, Synagogen anzündeten, jüdische Geschäfts plünderten. Das war, wie wir wissen, nur der lang und breit angekündigte Beginn: Verfolgung und Willkür, Haft und sadistische Folter, die öffentliche Aufforderung zur Ausrottung und Vernichtung. Es war „das Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht hat“.

Aber wir haben alles bestens überlebt, der Mehrheit jedenfalls. 95 Prozent der dauerhaft Reichen leben im Westen der Republik, 62 Prozent der dauerhaft Armen in den neuen Ländern. Zum Thema Frau passt, dass 75 Prozent der dauerhaft Einkommensreichen Männer sind, bei den dauerhaft Armen haben die Frauen mit 54 Prozent die Mehrheit. Deshalb ist ja auch Andrea Nahles auf den Trichter gekommen und will ein Ende von Hartz IV. Unter Herrn Hartz leiden besonders die Frauen. Logisch: Eine neue Grundsicherung muss her, Hilfen für arme Kinder, ein freundlicher, zugewandter und echter Sozialstaat. Frau darf wieder träumen. Und Mann darf gespannt sein, denn wenn’s so weitergeht, nagt der Zeitgeist weiter am Fundament der Demokratie. In die Keller des Bundestagsneubaus an der Spree dringt seit Jahren Wasser ein, aber man weiss nicht warum und wieso und woher. Ich würd‘ sagen: Spree. Und Billiglöhner aus dem Osten.

Unerwähnt lassen wir an dieser Stelle die testosterongesteuerte deutsche Gewalt gegen ausländische Frauen und dass bei uns alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird.

Der Blaue Bock der CDU

Der Blaue Bock der CDU – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Friedrich Merz, unser Cum-Ex der ersten Stunde, ist wieder da: Der März ist gekommen, die Bahn wird privatisiert, die CDU gleich mit. 1968 war der Mitverursacher von Fluchtursachen und Flüchtlingskrise gerade mal 13 Jahre alt, und der rot-grün versiffte Rechtsstaat bekam erst 1979 seine ersten Samenkörner. Er kann also nicht wissen, wie man weit hinausblickt auf die Latifundien der Demokratie statt aufs Börsenbarometer. Ja, wenn die Börsianer tanzen …

Momentan tanzt die Kanzlerin mit den Grünen noch auf der brummenden Konjunktur: Die Arbeitslosen zeigen fleißig auf ihr Rekord-tief, die Niedriglöhner und Dreifachjobber lassen wir mal links liegen – die Konjunktur brummt. Wenn Angela Merkel mit Sorge auf die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland blickt, das das mehr mit Trump und anderen Anti-Europäern zu tun als mit Friedrich dem Kommenden.

Annegret Kramp-Karrenbauer (links im BILD) weist daher mit den Menschenrechten auf die vielen Sprengfallen hin, die unsere imperiale Lebensweise bedrohen: Die Luft wird auch in besseren Lagen schlechter, keine Schmetterlinge mehr im Park. Das Armutsproblem als Wermutstropfen – mehr Chancen für Hartz-IV-Empfänger. Selbst viele Kinder seinen von Armut betroffen, sagte sie dieser Tage.

Doch die Armen ahnen mehr als sie wissen: Es rettet sie kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Das sangen 1989 nicht nur die Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens (allerdings auf chinesisch), sondern vor 100 Jahren auch die Linken in der Stuttgarter Königstraße. Elend und Hunger und Krieg und Zensur und keine Aussicht auf Besserung. Der eine Teil ihrer Partei machte sich für den Krieg stark, der andere für den Frieden. Vom Glauben abgefallen sind inzwischen beide.

Apropos Glaube: Wer glaubt noch an einen spannenden Kampf um die deutsche Meisterschaft, an dem aber die besten und reichsten Fußballer und Mannschaften Deutschlands gar nicht mehr teilnehmen?

Die Börse.

Pferdewechsel

Pferdewechsel – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Als die Post noch funktionierte, brauchte eine Sendung von Innsbruck ins holländische Mechelen vier Tage. DK, das 1490. Die Postreiter waren natürlich längst nicht so kaputt wie der Briefträger heute. Das lag am Pferdewechsel: Alle 15 km, wenn es sein musste. Alles sehr gut organisiert, effektiv, schnell, zuverlässig. Aber halt Pferdewechsel und, wenn ich mich recht erinnere, Diktatur oder so. Also Brasilien morgen.

Wegen der Wahlen verlieren zu Parteien zunehmend das Vertrauen zu ihren Wählern, und das mit Recht! Wenn sich an einem normalen Sonntag 100 000 SPD-Wähler zu einem Spaziergang zur AfD aufmachen, ist das nicht mehr lustig. Dabei hat doch die SPD, sagt sie, „Themen besetzt“ und „Kompetenz“ zugewiesen bekommen, von allen Seiten! Schlimm, diese unzuverlässige Wähler-Bagage! So gesehen, kann man keinem Wähler mehr über den Weg trauen.

Anders gesehen hieße das aber, dass in einer halbwegs aufgeklärten Republik wie unserer im Bewusstsein der Menschen offenbar kein Platz mehr ist für die eigene Geschichte, kein Platz fürs Erinnern, für die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit, Stimmrecht, Demokratie. Auf Werte wie Solidarität wird angeblich gepfiffen, keiner scheint mehr so recht zu wissen, welche Opfer die Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften, die Parteien der Linken in den letzten 100 Jahren gebracht haben, und erst recht nicht, dass sich die Rechte das Ende der Republik auf ihre Fahnen geschrieben hatte. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Dafür kannste dir aber nischt koofen,“ würde meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt sagen. Richtig. Aber man muss nichts abstauben an solche Werten, nichts an der eigenen Geschichte. Denn eine solide Republik und eine solide Politik ist ohne diese Werte nicht zu machen.

Der Kapitalismus ist ein Auslaufmodell, das weiß selbst Franziskus. Zurückgewinnen muss die SPD das Grundvertrauen zu ihrer eigenen Geschichte, einer Geschichte mit Kämpfen und Fehlern und Niederlagen und Siegen. Zu den Siegen gehört unsere Republik. Es wäre doch gelacht, wenn das nicht 25 – 35% der Menschen kapieren würden. Pfeift auf die Ministerposten, wechselt die Pferde, auf nach Europa.

Aktionszeitraum 0711 für Menschenrechte
Stuttgart setzt ein Zeichen für Vielfalt

30 Artikel der Menschenrechtskonvention – 30 Tage 0711 für Menschenrechte

An den 30 Tagen zwischen dem 11. November bis 10. Dezember 2018 laden wir ein, durch Veranstaltungen, Vorträge, Debatten, durch künstlerische Interventionen unsere Menschenpflicht zur Stärkung der Menschenrechte wahrzunehmen.

Mehr als 220 Gruppen und Initiativen der Zivilgesellschaft, Medien, Theater, Galerien und Kinos, öffentliche Einrichtungen unterschiedlichster Art tragen dieses vielfältige Gemeinschaftsprojekt. Sie alle werden die Bedeutung von Menschenrechten aus ihrer Sicht thematisieren.

Wir wollen die Stuttgarter Stadtgesellschaft ermuntern, selbstbewusst sich ihrer Rechte zu erinnern. Und sich gleichermaßen für die Rechte anderer zu engagieren. Dazu laden wir weitere Kooperationspartner gerne ein.

Vielfalt-Eröffnungsveranstaltung: Die Gedanken sind frei – aber wann hat der Mensch das Recht auf Menschenrechte? Mi, 14. November 2018, 19:00 Uhr – 22:00 Uhr

>Direkt zu allen Vielfalt-Terminen.

Ab sofort ist auch die Vielfalt-Zeitungen erhältlich mit allen Vielfalt-Terminen und Portraits der teilnehmenden Initiativen.

Hintergrund:

Am 10. Dezember 1948, vor 70 Jahren, verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

„als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten“.

Das war die bedeutendste internationale Übereinkunft seit dem zweiten Weltkrieg.

Für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen schon im 16. Jahrhundert im Südwesten die Bauern. Und auch das Bürgertum forderte Meinungs- und Pressefreiheit, Religions- und Versammlungsfreiheit. Ohne Grund- und Menschenrechte kann es keine freie Republik und keine Demokratie geben.

Gegenwärtig werden in der Welt und in Europa Menschenrechte verstärkt missachtet oder abgeschafft.

Wir halten es für unsere Menschenpflicht, uns für die Achtung der Menschenrechte in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens verstärkt einzusetzen.

Denn nur auf der Grundlage der Respektierung der Rechte anderer, der Vielfalt, kann sich das gesellschaftliche und das Zusammenleben der Staaten entwickeln und Bestand haben.

Spenden:

Wenn Sie das Projekt 0711menschenrechte unterstützen möchten, freuen wir uns über eine Spende auf das Konto:

Kontoinhaber: DieAnstifter e. V.
IBAN: DE74 4306 0967 7000 5827 03
Bank: GLS Bank
Stichwort: Vielfalt

Vielen Dank fir Ihre Unterstützung!

Weitere Informationen + Kontakt:

Kontakt: 0711menschenrechte.de

Mail: 0711menschenrechte@gmail.com

Aktionsseite: http://0711menschenrechte.de/

Eine Initiative des Bürgerprojekts
Die AnStifter und der Stiftung Geißstraße 7

Ab sofort erhältlich
Vielfalt-Zeitung – Kultur und Politik zum Thema Menschenrechte


Das auf Initiative der AnStifter entstandene Netzwerk Vielfalt – 0711 für Menschenrechte legt in diesen Tagen seine 24-seitige Programmzeitung vor. Die im Zeitungsformat gedruckte Publikation erscheint aus Anlass des 70jährinen Jubiläums der Erklärung der Menschenrechte 1948.

Ab sofort auch in der Denkmacherei und bei den teilnehmenden Initiativen erhältlich!

Der umfangreiche Kalender der Zeitung begleitet die Aktion im Zeitraum 10.11. bis 10.12.2018, dem Tag der Menschenrechte. Die Zeitung enthält neben dem Veranstaltungsangebot von Theatern über Konzerte, Vorträge, Führungen und Ausstellungen kurze Porträts der rund 220 Stuttgarter Initiativen und Einrichtungen, die das Vielfalt-Projekt tragen.

Die Vielfalt-Eröffnungsveranstaltung findet am 14. November 2018 im Stuttgarter Rathaus statt.

Jetzt als pdf herunterladen:  Leseprobe der Vielfalt-Zeitung

Geld im Spiel, Glück in den Wahlen

Geld im Spiel, Glück in den Wahlen – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Mit der Politik ist es momentan so wie mit dem überfallenden Berliner Geldtransporter: Viel schweres Gerät, kurze Überraschungsmomente, Flucht, Geballere und Blaulicht, ab durch die bürgerliche Mitte, aber keine Beute. Der Diesel war leer.

Leer wie die saudische Botschaft in der Türkei. Wir wissen seit Karl May: Der Arrraber als solcher kann grausam sein, inclusive Folter, Mord und Totschlag. Zugegeben, andere zivilisierte Nationen stehen ihm da in nichts nach, Deutschland eingeschlossen, auch wenn’s weh tut. Da hilft keine Leitkultur, und da muss man nicht extra den Lehrmeister Martin Luther zitieren. Merke also: Wenn Geld im Spiel ist oder Ölquellen, sichere Landebahnen und sichere Absatzmärkte oder gern auch seltene Erden, da wird rucki-zucki auch der Rest von Moral über Bord geworfen. Wirtschaft vor. Bei 90% aller Delegationen, die von Fall zu Fall Hausbesuche bei den Diktatoren und Polizeistaaten weltweit machen, sitzen immer „hochrangige“ Wirtschaftsführer im Boot, nie etwa Vertreter der Zivilgesellschaft. Wie schön also, dass uns der turbanesische Außenminister, mit dem bisher alle so gut konnten, Fehler eingeräumt hat bei der Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi. Im Normalfall bemüht man sich ja, bei Mord und Totschlag keine Fehler zu machen.

Frau von der Leyen hat jetzt übrigens von der Bundeswehr die Schnauze gestrichen voll. Nicht genug damit, dass die Presse (öffentlich!) die zu dünnen Unterhosen unserer Soldaten aufs Korn nimmt – jetzt petzen die Gefreiten mit niedrigem Dienstgrad auch noch und melden sich hinter dem Rücken der Generälin bei Abgeordneten.

Vielleicht wird ja überall zuviel Wind gemacht! Nehmen wir Bayern, immerhin noch Deutschland und der Verfassung verpflichtet, die mit eigenen Grenzkontrolleuren das Grundgesetz untergraben. Das hat der (bayrische!) Staatsrechtler Thorsten Kingreen den Grünen im Bundestag gesteckt. Die sind jetzt eh obenauf, warum auch immer, und nehmen die gesamte Republik in den veganen Würgegriff. Der Hesse an sich gilt ja als gutmütig, anders als der Arrraber.

Aber bei Tarek Al-Wazir weiß man’s nicht, da käme selbst meine Omi Glimbzsch aus Zittau ins Zweifeln.

stuttgartnacht 2018
Lange Lesenacht verwandelt die Denkmacherei

Am Samstag, 20. Oktober 2018 öffnete die Denkmacherei zum allerersten Mal ihre Pforten zur stuttgartnacht des Stadtmagazins LIFT

Seit einigen Wochen schon liefen die Vorbereitungen für unseren AnStifter-Beitrag zur stuttgartnacht: Mitwirkende wurden angefragt, das Programm für insgesamt 5 Stunden zusammengestellt, ein Musiker gefunden, der auch so lange spielen will, Flyer gedruckt und verteilt… Unsere Büroräume in der Werastraße, die wir uns mit der DFG-VK teilen, wurden mit Hilfe von fleißigen AnStifter-Aktiven schon einige Tage vorher richtig verwandelt.

Letzten Samstag war es dann endlich soweit: Zwischen 19 und 24 Uhr hieß es „Bühne frei!“ für ganz besondere Poet*innen und Schriftsteller aus dem AnStifter-Netzwerk: Sarah Bies, Ruben Zacharias und Götz Schubert mit ihren Texten und Gedichten zu Heimat und Heimatlosigkeit aus Vergangenheit und Gegenwart. Jamshid Nasseri sorgte mit seiner Gitarre für die musikalische Umrahmung.

Damit aber nicht genug, auch einige AnStifter-Überraschungsgäste gaben ihre Gedichte, Essays, Kurzgeschichten über Heimat und Hoffnung, Fremdheit und Hoffnungslosigkeit und Anspruch und Wirklichkeit zum Besten: Peter Grohmann, Michael Seehoff, Hans-Martin Thill, Bruno Schollenbruch. Leckere Bio-Erfrischungen gab es von der VerbraucherInneninitiative Plattsalat. Teilweise war unser Lesesaal komplett besetzt – nur zur letzten Vorstellung waren wir fast nur noch unter uns. Über das schöne Feedback und die vielen Gäste und neuen Kontakte, die wir so knüpfen konnten, haben wir uns sehr gefreut. Ganz vielen herzlichen Dank allen Mitwirkenden, Helfer*innen, Fotograf*innen, Programmkoordinator*innen und Gästen! Was für ein wunderbarer Abend!

Foto-Impressionen von Julian Rettig:
Ein paar Live-Mitschnitte der einzelnen Programm-Durchläufe:
Erster Programm-Durchlauf mit Sarah Bies, Ruben Zacharias, Überraschungsgast: Peter Grohmann, Musik: Jamshid Nasseri, Moderation: Ingrid von Staden
Einleitung von Ingrid von Staden zum zweiten Programm-Durchgang der Langen Lesenacht und anschließend Gitarrenmusik von Jamshid Nasseri
Sarah Bies knüpft ein Menschennetz in der Denkmacherei beim zweiten Programm-Durchlauf der langen Lesenacht.
Der zweite Programm-Durchlauf mit Götz Schubert
Dritter Programm-Durchlauf mit Sarah Bies, Götz Schuber, Gitarrenmusik von Jamshid Nasseri, Moderation: Ingrid von Staden, Überraschungsgast: Hans-Martin Thill
Letzter Programm-Durchgang der langen Lesenacht in der Denkmacherei. Mit Ruben Zacharias, Überraschungsgast: Bruno Schollenbruch, Gitarrenmusik von Jamshid Nasseri, Moderation: Ingrid von Staden

Nichtwähler werden?

Nichtwähler werden? – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Oder gar Nichtwähler bleiben? Wie wäre es mit einer Wahlpflicht? Wenn es den Menschen an den Geldbeutel geht, werden sie schwach. Die Angst, dass sie AFD wählen, ist unbegründet, denn es gibt nach Bayern und vor Bayern. Nach Bayern werden jetzt nämlich sogar die Nichtwähler als gefährliche Fracht und Demokratiegut (Vorsicht, Schwertransporter – Kran, schwenkt aus!) gerechnet: 28 % blieben zu Hause oder im Stau stecken. Herrschte Wahlpflicht, dann, wie schön – hätte die AfD nur noch lächerliche 7,3 % und die SPD satte 6,9 %. Und gäbe es noch die Münchner Räterepublik, wäre die Linke im Landtag. Aber so…

In der Szene ist jetzt ja großes Gerede übers Aufstehn. Also ob man zu früh oder zu spät aufgestanden ist oder immer schon stand und wohin man geht, wenn man endlich aufgestanden ist. Ganz vergessen wird, dass es viele gibt, die einfach liegenbleiben. Böse Schelte von den Spätaufstehern bekamen am Wochenende die unteilbaren Berliner mit ihren lächerlichen 250000 Mauerpilgern. Die Losung UNTEILBAR für eine solidarische Gesellschaft sei letztlich kontraproduktiv, hörte ich, sei ein Angstmacher, der die gute Stimmung im Land verdirbt, die Angst vor offenen Grenzen schürt und ergo den Rechten die Wähler in die Arme treibe. Klar, die Parolen gegen Hass und Ausgrenzung, noch dazu, wo sie getanzt und gesungen werden, können den Menschen in den dunklen Tälern des Thüringer Waldes schon einen rechten Schrecken einjagen. Da hilft der Hinweis, dass viele aus dem Hause Gotha letztlich von den Hunnen abstammen, eher wenig. Hie gut Wirtemberg allewege!

Meine Omi Glimbzsch in Zittau war Frühaufsteherin – die Schicht in der Tabakmanufaktur begann um 5:30 Uhr. Leute wie sie hätten mitgetanzt zwischen Münchner Räterepublik und Münchner Freyheit und auf Herrn Höcke geschissen. Sie hat ausgetanzt. Sie liegt jetzt im eignen Quark im Pflegeheim, zwei Leute in der Bude, die Schwestern haben alle einen dicken Hals. Übermüdet. Überlastet. Überfordert. Wie die ganze Gesellschaft.

Und dann der Feinstaub! Die hiesige Presse motzt, dass die Stadt wieder viel zu früh den Alarm aufruft und die Autofahrer kirre macht und fürchtet den Wasserrohrbruch in der Hasenbergsteige: Die Stadt ertrinkt, wenn der Handwerker mit seinem Diesel nicht durchkommt. Vielleicht ist es ja das Wasser auf die Mühlen von Bernd Höcke?

Botschaften aus dem Wald

Botschaften aus dem Wald – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

50 000 oder 30 000? Piepegal, das Signal stimmt. Vom Hambacher Forst bis nach Berlin ist’s eine ganze Strecke, und die entspricht dem Abstand der Parteien zu ihren Wählern. Ob die Botschaften aus dem Wald tatsächlich oben ankommen, wird sich zeigen. Bisher überzeugten die Spezis in den Reichs- und Landtagen eher durch ihre Hartleibigkeit und, was die Natur angeht, durch ihre Unfähigkeit zu trauern. Ende Gelände? Aktuell hat der Bundesrechnungshof der Regierung Versagen bei Umweltschutz und Energiewende vorgeworfen und das Wirtschaftsministerium abgewatscht. Nun schließt sich Kay Scheller, Chef des Hauses, gar der Kritik der S-21-Gegner an: Die Bahn kann nicht mit Steuergeldern umgehen, das ganze Gerippe ist intransparent, die Bahn brauche also endlich wieder Aufpasser. Momentan schüttet die Regierung das Geld mit vollem Händen auf die Schienen, hat aber den Mund zu halten, wo es um die Verwendung der Mittel geht, um Kontrolle. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser, das weiß Scheller von Lenin. Doch der Internationalismus der Bahn erschöpft sich in weltweiten riskanten Investitionen – und die Bundesregierung lässt es schleifen. Es fährt ein Zug nach Nirgendwo…

Das kommt davon, sagte ich der SPD schon zu Schröders Zeiten, aber die hören ja nicht auf unsereins! Heute hilft wohl auch kein Dirndl auf der Wiesn was. Die Grünen fühlen sich jetzt schon ganz wohl im schwarzen Wamserl. Sind sie etwa auch nur eine Partei wie alle anderen? Die bayerischen Aussichten für Sonntag sind also nicht nur eine Kaltwetterfront für die SPD, sondern auch für die Demokratie. Dass es mit SPD mancherorts nicht so gut geht wie gehofft, ist nur die halbe Wahrheit. Nicht dass ich was gegen Regierungswechsel habe – aber ganz ohne SPD geht die Chose nicht.

„Nu klar!“, sagte hat meine Omi Glimbzsch in Zittau, etwa, wenn ich sie fragte, ob es einen Mann auf dem Mond gäbe. Sie kannte nur Louis Armstrong. Heute krallen sich mangels eigner Fantasie und Masse die Parteien hier was von der Zivilgesellschaft und dort was von Aldi: GoGreen.

Wird schun werd’n mit der Mutter Bär’n!
Mit der Mutter Knorrn ist doch ooch gewor’n!
Nur Mutter Schmidtn, Gott, die hat gelitten!
Die ham ’se siebenmal geschnitten
und dann ham ’se erscht gesehen
dass sie ’n Holzbeen hat zum Steh’n…

Neues vom Betty-Rosenfeld-Projekt
Spurensuche vor Ort – eine Reportage

Betty Rosenfeld war die einzige Frau aus Stuttgart, die bei den Internationalen Brigaden kämpfte. Die Krankenschwester wurde deportiert und in Auschwitz ermordet. Michael Uhl hat dazu intensive Forschungen gemacht, Zeitzeugen und neues Archivmaterial gefunden – ein spannendes Geschichtsprojekt, das die AnStifter mit Ihrer Hilfe realisieren.

Verschafft Zugang zu den Quellen

Seit April befindet sich der Historiker Michael Uhl auf Forschungsreise in Spanien. 1994 war er im Bürgerkriegsarchiv des Archivo Histórico Nacional von Salamanca zum ersten Mal auf Betty Rosenfeld aufmerksam geworden. Per Zufall stieß er damals auf ein Dokument mit einem kleinen Foto der mutigen Frau aus Stuttgart. Nach langer Suche gelingt ihm an diesem Ort, der sich hinter der alten Kathedrale befindet und inzwischen Centro Documental de la Memoria Histórica heißt, wieder ein wichtiger Fund. In einer Akte flattert ihm ein Brief von Betty entgegen, höchstwahrscheinlich der einzige von ihr, der aus dem Spanischen Bürgerkrieg überliefert ist.

Das Bürgerkriegsarchiv Salamanca

Im Mai geht es weiter. Die nächste Etappe führt ihn – mit der Eisenbahn, wie es sich für einen zivilisierten Europäer gehört – von der zentralspanischen Region Castilla y León Richtung Südosten nach Murcia. Hier hatte Betty einst als Krankenschwester der Internationalen Brigaden verwundete Freiwillige gepflegt, die sich wie sie für die Verteidigung der demokratisch legitimierten Spanischen Republik einsetzten. Im Archivo Municipal von Murcia zeigt man dem Besucher aus Stuttgart alte Stadtkarten, Fotos und Zeitungen. Dann wieder raus in die Hitze, bis alle biographisch und historisch relevanten Orte lokalisiert sind. Vom Militärkrankenhaus, in dem Betty die meiste ihrer Zeit in Murcia arbeitete, ist heute nichts mehr übrig. An der Stelle, wo einst das Gebäude stand, befindet sich heute eine blanke Sandfläche, dahinter der alte Botanische Garten, durch den schon Betty wandelte. Immerhin steht noch ein anderes Gebäude, das ebenfalls provisorisch in ein Militärspital umgewandelt worden war. Ein junger Concierge mit Dreitagebart öffnet unserem Forscher die Tür, führt ihn durch das Treppenhaus. Nur die Dachterrasse, auf der sich Betty mit spanischen Kameradinnen hatte fotografisch ablichten lassen, sieht aus wie früher. In den Etagen darunter sind jetzt schicke Mietwohnungen untergebracht. Carlos, der Hausmeister, drückt Michael Uhl zum Abschied auf einem Zettel seine private Adresse in die Hand. Er möchte später auch ein Exemplar der Betty-Rosenfeld-Biographie. Niemand in Murcia, nicht einmal eine ausgewiesene Bürgerkriegsexpertin der Universität, ahnt, was sich in diesem Gebäude mitten in einer Flaniermeile Murcias während des Bürgerkriegs abgespielt hat. Die Sieger des Spanischen Bürgerkriegs haben seine Geschichte diktiert. Nach dem Tod des Diktators herrschte Schweigen, Verdrängen und Vergessen.

Denkmal auf dem Friedhof Gurs

Carmen, die Professorin, nimmt unseren Spurensucher mit in die Provinz zu einer Konferenz im Ort Alhama. Dort dreht sich alles um das Schicksal spanischer Republikaner aus Murcia, die im KZ Mauthausen ermordet wurden. Den einen oder anderen von ihnen dürfte Betty in Murcia gekannt haben. Unter den Besuchern sind Angehörige von Opfern. Der Bürgermeister von Alhama eröffnet die Konferenz. Er freut sich, dass auch aus Deutschland jemand gekommen sei.

Zurück in Salamanca. Der Marktplatz ist gesperrt. Über dem alten Rathaus weht die rot-gelb-violette Fahne der Republik. Man drehe gerade eine Szene für einen Spielfilm über den Spanischen Bürgerkrieg, erklärt ein Polizist. Das Thema ist auf einmal wieder im Gespräch. Anfang Juni kam infolge eines geglückten Misstrauensvotums in Madrid die sozialistische Partei wieder an die Regierung. Der junge Ministerpräsident Pedro Sánchez, dessen Parteigenossen (Partido Socialista Obrero Español) im Gegensatz zu den deutschen Sozialdemokraten mit erhobener Faust noch die Internationale singen, nimmt das 2007 von seiner Partei eingeführte Gesetz Ley de la Memoria Histórica wieder in Angriff. Das Gesetz verfolgt das Ziel, das Franco-Regime zu verurteilen und alle Opfer des Bürgerkriegs und der Diktatur zu rehabilitieren. Man hatte damals damit begonnen, franquistische Symbole aus öffentlichen Plätzen zu entfernen. Massengräber wurden freigelegt, die exhumierten Opfer per DNAAnalyse identifiziert, die Überreste von ihren Familienangehörigen würdevoll bestattet. Die Umsetzung geriet 2011 ins Stocken. Nach einem Regierungswechsel drehte der neue Regierungschef Mariano Rajoy den Geldhahn zu. Seine konservative Volkspartei (Partido Popular) ist zu sehr in Francos Erbe verstrickt, als dass ihr die Entfernung von Reliquien des Franco-Regimes am Herzen liegen könnte. Doch jetzt gerät der PP ins Schwitzen: Sánchez kündigte an, dass auch die Gebeine des Diktators Franco endlich aus dem Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) nördlich von Madrid verschwinden und das monumentale Gelände, das von republikanischen Zwangsarbeitern aus Stein gehauen worden war und bist heute im Zeichen eines überdimensional-gespenstischen Kreuzes unter der Obhut eines katholischen Abtes steht, neue Formen annehmen müsse. Auch die rechtslastige Stiftung Franciso Franco, die noch immer vom spanischen Staat Zuwendungen erhält, soll illegalisiert werden. Gegen die geplanten Maßnahmen demonstrierten vor kurzem 1.500 Altfranquisten im Valle de los Caídos. Einige von ihnen erhoben den Arm zum faschistischen Gruß. Australische Touristen, die sich eigentlich ein anderes Bild von Spanien machen wollten, reagierten irritiert.

Friedhof Gurs – Grabsteine

Im Juni führt die Spurensuche über die Pyrenäengrenze. In Südfrankreich verbrachte Betty als staatenloser Flüchtling einige Wochen in der Ortschaft Oloron Sainte Marie. Zum Schluss musste sie dort im Camp Gurs hinter Stacheldraht auf ihre Deportation nach Auschwitz warten. Zwischenstopp in San Sebastián. Vor dem Bahnhof stehen dutzende afrikanische Flüchtlinge, die mit dem Boot Aquarius nach Europa gelangt sind. Die neue spanische Regierung hat sie aufgenommen, die Regionalregierungen der autonomen Regionen Baskenland und Katalonien logistische Hilfe angeboten. Verloren stehen die Flüchtlinge mit ihren Rot-Kreuz-Bändchen am Handgelenk im Regen. Niemand war gekommen, um sie abzuholen. Aber sie wollen eh nicht bleiben. Wie weit es denn bis nach Paris sei, fragt einer von ihnen auf Französisch.

In Oloron sucht unser Geschichtsdetektiv die Orte auf, wo Betty als Flüchtling hauste, jede andere Bezeichnung ginge an der Realität vorbei. Dann hurtig weiter zum Gelände des ehemaligen Internierungslagers im abgelegenen Ort Gurs. Kein Bus weit und breit. Eine aus Marokko stammende Taxifahrerin bietet ihre Dienste an. Auf ihrem schwarzen Mercedes steht in Schreibschrift „Myriam-Taxi“. Was ihren Fahrgast denn herführe, erkundigt sie sich. Sie zeigt sich sichtlich bewegt über die Antwort. Während der Fahrt erinnert sie sich, dass in Gurs eine alte Frau lebe, die noch einiges über das Lager wisse. Sie sucht in ihrem Handy, findet aber keine Telefon-Nummer. Myriam gibt nicht auf, ruft im Taxi zuhause den Bürgermeister an. Monsieur le maire muss passen, kennt aber eine Organisation, die weiterhelfen könne. Während der Forscher das Gelände begeht, wartet Myriam außen mit ihrer kleinen Tochter. Das Freiluftmuseum besteht in erster Linie aus frei zugänglichen Wiesenflächen mit Hinweisschildern. Die alten Holzbaracken des Lagers sind verschwunden, nur eine originalgetreue Nachbildung dient als Modell zur Orientierung auf dem inzwischen von Sträuchern und Bäumen zugewachsenen Terrain.

Hinter den Mauern des Friedhofs des ehemaligen Lagers entdeckt unser Forscher das Grab einer Tante Bettys. Die Tante war 1940 zusammen mit anderen Juden aus Baden hierher deportiert worden. Die alte Frau hatte ihre Deportierung nicht überlebt. Es regnet in Strömen. Der Schlamm hatte den Internierten im Lager sehr zu schaffen gemacht. Myriam spendiert einen Papp-Becher Kaffee in einem rustikalen Reithof gegenüber. Am nächsten Morgen dann ein Treffen mit dem Vorsitzenden der Organisation Terres de Mémoire(s) et de Luttes. Er nennt sich Raymond, spricht fließend Spanisch. Seine Eltern waren Republikaner aus Asturien, Nordspanien. Sie hatten sich nach dem Spanischen Bürgerkrieg im KZ Gurs unter wenig romantischen Bedingungen kennengelernt. Seine Organisation versuche, diese Menschen dem Vergessen zu entreißen, erklärt er. Seine Zigarette glüht auf, als ihm Michael Uhl einen alten Brief von Betty aus Oloron vorlegt. Er nimmt den Mann aus Stuttgart in seinem Auto mit zum Stadtarchiv im Rathaus, erzählt, dass er jahrelang im Stadtrat saß. Kein Thema, man werde sich dort für das Betty-Rosenfeld-Projekt einsetzen.

Die Rückreise nach San Sebastián verzögert sich. Die französische Bahn streikt, der kleine Bahnhof von Oloron ist verschlossen. Wie in alten Zeiten, begeistert sich Raymond über den Elan der Gewerkschaft. Unser Forscher reagiert verhaltener, malt sich aus, im Stadtpark die Nacht zu verbringen. Aber wenigstens mit der Pension hat er Glück. In seinem Zimmer tippt er auf seinem Laptop eine E-Mail an Bettys Nichten in den USA, berichtet von der Spurensuche in Spanien und Frankreich. Sie antworten sofort, nehmen wie immer Anteil am Geschehen. Er telefoniert über Skype mit einer Kollegin in Israel, schaut sich per Download aus Berlin und Moskau eingetroffene digitalisierte Dokumente an. Zwischendurch eine E-Mail von einem Verwandten von Betty aus Südamerika. Heinz Rosenfeld, der Sohn ihres Cousins aus Stuttgart, habe sich vor einigen Jahren in Argentinien das Leben genommen. Das tragische Schicksal von Betty Rosenfeld und ihrer Familie verdichtet sich wie ein Puzzle. Es bleiben Lücken, die niemand mehr wird schließen können.

Dennoch: Unser Forscher leistet ganze Arbeit. Er hat mit der Niederschrift begonnen, auf sein Ergebnis darf man gespannt sein. Die Forschungsreisen und Materialien (Ein einzelner Scan kostet je nach Archiv zwischen 30 Cent und 10 Euro) sind mit hohen Unkosten verbunden, die Michael Uhl freiberuflich aus eigenem Beutel begleicht.

Wir rufen alle Menschen, die mit dem Betty-Rosenfeld-Projekt sympathisieren, zur Spende auf. Betty Rosenfeld riskierte und verlor für unsere Freiheit damals ihr Leben. Ihre Würdigung hätte heute Unterstützung verdient. Kleckert nicht, klotzt!

Spendenkonto
GLS-Bank
IBAN: DE31 4306 0967 7000 5827 01
BIC: GENODEM1GLS
Kennwort: Betty Rosenfeld

Die Reportage als pdf-Datei herunterladen: BRP Anstifter Reportage

Kusch!

Kusch! – Peter Grohmanns "Wettern der Woche"

Die fünf Leute stiegen an der Bushaltestelle am Wangener Marktplatz ein. Drei vorn ein, zwei hinten. Einer bleibt beim Busfahrer stehen. Die anderen schauen sich um. Der Bus fährt an. Sie gehen langsam durch die Reihen, die einen von vorn, die anderen von hinten. Kontrolleure? Vermutlich werden sie gleich sagen: „Die Fahrausweise bitte“. Sagen sie aber nicht. Sie fixieren lediglich die Fahrgäste, sehr langsam. Suchen die jemanden? Der eine der fünf nimmt sich die rechte Seite vor, ein anderer die linke. Die etwa 25 Fahrgäste werden aufmerksam, und jetzt spürt man förmlich, wie sich die Luft verändert, wie unbehaglich es den Leuten im Bus wird. Warum? Die Gespräche verstummen. Offenbar machen alle ihre Handys aus oder legen sie weg. Die fünf Jungs sind jung und muskulös und ernst. Manche Leute schauen angestrengt nach draußen. „Was gibt’s denn da zu sehen?“ fragt einer der fünf. Der Gefragte, 40, 45, sieht so aus, wie Südländer aussehen können. Er schüttelt unsicher den Kopf, sagt nichts. „Ich hab dich was gefragt!“ Er schaut sich um im Bus, will sich sicher sein, dass es alle gehört haben. Es haben alle. Ein Mann in der Mitte der Sitzreihen kramt sein Handy hervor. Der Fünfte geht jetzt auf seine Sitzreihe zu. „Wenn willscht denn anrufen?“ Der Mann mit dem Handy ist irritiert, schaut fragend auf. Er ist vielleicht 20, 22. „Steck’s weg!“ Die Botschaft ist nicht unfreundlich, laut genug für alle im Bus, und doch eher neutral. Mein Nachbar stupst mich unauffällig an, zeigt wortlos auf seine Brust und dann mit einem Kopfnicken in die Richtung des Mannes, der immer noch beim Busfahrer steht und alles im Blick hat. „Consdaple“ steht auf seinem Pullover. Keine Ahnung. Bei dem hinten steht auf der Bommelmütze Pit Bull.

An der dritten Haltestelle steigen sie aus, niemand sonst. Sie grinsen.

Der mit der Pit Bull-Mütze kommt noch mal zurück, ruft durch die noch offene Bustür: „Kusch!“

Es klingt wie ein Bellen. Die Bustür geht zischend zu. Die fünf lachen und schauen dem Bus nach.

Der eine kuscht, sobald er eine Polizeiuniform sieht. Die andere kuscht, wenn ihr der Chef auf den Leib rückt. Der da wechselt die Straßenseite. Der eine kuscht bei den Autobauern, der dritte bei Glyphosat. Der eine kuscht bei der Bankenkrise, der andere beim Parteivorstand. Die eine kuscht bei der Arbeit, die andere an der Kasse. Das macht der Regelsatz im September 2018.

Die nächste Haltestelle. Alle steigen aus.

Ooch, Mensch Nahles!

Quatsch, nein, ich will nicht auch noch auf der rumhacken! Ich fände es stattdessen ganz gut, wenn Hans-Georg Maaßen Sonderermittler in Sachen Demokratie werden würde. Mal egal, wo sein neues Amt anzusiedeln ist – überall, bloß nicht beim Verfassungsschutz! So wie sich die Bundeswehr einen Wehrbeauftragten leistet, der den Nöten der Soldatinnen und Soldaten nachgeht, brauchen wir jemanden, der den Sorgen und Nöten der Demokratinnen und Demokratinnen nachgeht, der sie liebhat, ihre Anliegen ernst nimmt, ihnen beisteht, wenn sie angegriffen werden. Und da gibt’s ja zur Zeit viel zu tun. Seriöse Prognosen kommen zu dem Schluss, dass es künftig eher mehr Arbeit in diesem Sektor geben wird. Maaßen als Sonderermittler könnte nach den Ursachen forschen, Lösungen erarbeiten wie im Fall Amri. Als Ombudsmann für Demokratie wäre er unabhängig und direkt der Öffentlichkeit und den Medien unterstellt. Um seine verfassungsmäßigen Aufgaben erfüllen zu können, stünden ihm natürlich weitreichende Rechte zu und er müsste nicht länger neben Seehofer dumm herumstehen. Recht auf Auskunft und Akteneinsicht etwa, und bevor Akten geschreddert werden, darf er sich eine Kopie machen. Maaßen kann verdeckte Ermittler besuchen (und wie jetzt: einsetzen!), die dem deutschen Volk auf den Weisheitszahn fühlen. Er kann Behörden, Dienststellen, Demonstrationen heimsuchen – ganz gleich, ob angemeldet oder unangemeldet. Und er kann straf- oder disziplinargerichtliche Verfahren einleiten, wenn es mit der Demokratie irgendwo klemmt. Genug zu tun tun also. Maaßen wird ja in diesen Tagen überall als hervorragender, guter Beamter gelobt, was immer das sein mag. Klar, seinen Beamtenstatus müsste er aber aufgeben, um unabhängig zu sein. Doch er weiss besser als wir alle: Momentan findet eine dramatische politische Verschiebung statt: Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig. Was gestern bei den anderen noch undenkbar war und als unsagbar galt, ist heute längst die von allen gesehene Realität: Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat werden offen angegriffen. Es ist ein offener und öffentlicher Angriff auf Verfassung, Gesellschaft, Demokratie, der uns allen gilt.

Gut, der Vorschlag kommt vielleicht eine Woche zu spät, und OK, vielleicht ist Hans-Georg nicht der rechte Mann für so eine umfassende Aufgabe, vielleicht wäre auch eine Frau geeignet, zum Beispiel Andrea Nahles. Jemand mit Fingerspitzengefühl und Überzeugungskraft, um die Menschen von ihren dummen Ansichten zu heilen. Eine Schule für Demokratie, mit Oberlehrern und allem Drumrum.

Ach so: Vorher muss natürlich Seehofer gehen, egal wohin.

Peter Grohmann am 20.9.2018 im Literaturhaus Stuttgart
Ein Abend für Roland Ostertag

Roland Ostertag

Ich stelle mir vor, was wohl unseren Freund Roland Ostertag bewegt haben würde in diesen letzten Monaten.

Vieles haben wir ja gemeinsam erfahren und getragen und erstritten in den letzten Jahrzehnten. Es war aber eben nicht nur der Kampf für eine lebenswerte Stadt, für eine neue Mobilität, für einen anderen Umgang mit den Ressourcen, der ihn und uns beschäftigte.

Es waren nicht nur die ausgetüftelten Alternativen für einen anderen, neuen, besseren Bahnhof, für lichtdurchflutete Hallen, für einen Bahnhofvorplatz, den Menschen und nicht dem Kommerz zugewandt ist.

Es war nicht nur die Machbarkeitsstudie aus eigener Tasche, mit der Roland Ostertag nachgewiesen hat, wie wenig es letztlich kosten würde, die Quellen des Nesenbachs wieder in die Stadt zu locken – auch das Wasser sollte oben bleiben. Dort wär‘ es gut aufgehoben.

Es war kein Hang zu alten Zeiten, der ihn trug, sondern der Blick auf die Menschen und ihre Umgebung, auf verunstaltete, hässliche Plätze und Häuser, auf Einkaufszentren, die dem Handel den Boden entziehen.

Vor rund 60 Jahren gehörte er zu den Akteuren der Gesamtdeutschen Volkspartei, wie Gustav Heinemann oder Johannes Rau, Erhard Eppler, Helene Wessel, Robert Scholl und unterstützte deren demokratische, pazifistische und auf Versöhnung gerichtete Politik.

Die Partei (GVP) hatte kein Glück, aber ihren Maximen, ihren Werten blieben die Gründerinnen immer verpflichtet. Der Blick auf die Mensch also, und das Wichtigste: das Bewusstsein, den Geist, der die Stadt bestimmt, zu ändern. Nichts verschweigen, nicht schweigen, nicht wegschauen, sich einmischen, einbringen, anstiften und Alternativen aufzeigen. Charakter also, Haltung zeigen, das war sein Credo. Ich meine, daran fehlt es heute.

Als Mitbegründer der AnStifter hätte ihn in diesen Tagen die Aktion Vielfalt – Stuttgart für Menschenrechte gefreut, die genau das ausdrückt.

Vielfalt – eine bürgerschaftliche Initiative, die vom 10.11. bis 10.12.2018 darauf hofft, dass die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie schützen und die Zivilgesellschaft stärken – für das Recht, Mensch zu sein, gegen Populismus, Vielfalt statt Einfalt, Haltung statt Maulhalten.

So wie die Stadt muss der Mensch in diesen Zeiten Charakter zeigen.

Ganz in Roland Ostertags Sinne bitte ich Sie und Euch, füreinander, für die Demokratie und für die Menschenrechte da zu sein – und unsere Aktion nach Kräften zu befördern –

individuell und finanziell, mit Ihren Namen, durch Ihr Engagement.

Stuttgart für Menschenrechte –

es lohnt sich, die freiheitliche Verfassung zu schützen.

Wir sind der Verfassungsschutz!

Wir sind der Verfassungsschutz!

Dieser Tage demonstrieren vielerorts Freunde und Feinde der Verfassung – dafür und dagegen, und manchmal ganz unbewusst. Die jüngsten Demos in Stuttgart, bei denen die meisten Demonstranten zu Hause geblieben sind, richteten sich nicht nur gegen die Rechtspopulisten, sondern auch an die Öffentlichkeit. Die Botschaft ist klar: Wir sind der Verfassungsschutz! Wir sind Vielfalt. Aber dazu brauchen wir euch, sonst klappt das nicht. Dass es im Lande an Gerechtigkeit fehlt, ist nichts Neues – aber vor allem fehlt’s an einer Bewegung, die vehement für Verfassung und Demokratie eintritt – nicht im stillen Kämmerlein, sondern „draußen vor der Tür“. Wer wollte sich der Erkenntnis verschließen, dass die größten Gefahren für die Menschen von Isolation, Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit ausgehen? Humanität und Menschlichkeit sind hohe Ansprüche – aber sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind, wenn sie nicht wieder und wieder im Handeln eingelöst werden. Oder so: Wer zu Hause hocken bleibt, hat schon verloren. Das sagt sogar Winfried Kretschmann.

Bei allem Aufbruch und Aufstehn und Ruckeln durchs Land schaut es eher so aus, als sei kaum jemand (außer Ihnen) in der Lage, die Verfassung, die Demokratie angemessen zu schützen. Das Problem: Den staatlichen Akteuren selbst und ihren Aufsichtsräten im Bundestag trauen viele schon lange nicht mehr so recht über den Weg – und nicht erst seit der Causa NSU. Zum Mitdenken: Große Teile des NSU-Komplexes sind nicht aufgeklärt. Nach dem Verfahren und dem Urteil von München bleiben mehr Fragen offen als vorher – auch, weil die Dienste ihren Kontrolleuren die Kontrolle verweigern. Die politisch-militanten Szenen, recht wie links, sind bekanntermaßen mit V-Leuten durchsetzt, und so stehen Untersuchgasausschüsse, Abgeordnete und erst recht die Medien wie der Ochse vorm Berg, wie meine Omi Glimbzsch in Zittau gern sagte. Nicht erst seit dem G20-Gipfel in Hamburg, auch aus der Vergangenheit und lange „vor NSU“ sind genügend Beispiele bekannt, in denen der Verfassungsschutz als Animateur für Straftaten fungierte. Wenn irgendwo gezündelt wird, muss die Rolle der „Dienste“ konsequent ausgeleuchtet werden. Der Hinweis auf ein angeblich umfassendes rechtes Netzwerk unterschlägt geradezu die Beteiligung deutscher Dienste. Fragt sich, welche Motive die dienstbare Geister der Verfassung haben. So oder so: Für Demokraten ist der Einsatz für die Verfassung alternativlos.

Solidarität mit den Besetzerinnen und Besetzern des Hambacher Forsts!


Die AnStifter, Stuttgart, erklären sich solidarisch mit den Forderungen der Besetzerinnen und Besetzer des Hambacher Forsts

  • sofort jegliche Braunkohleförderung zu stoppen,
  • keinen Quadratmeter des 12 000 Jahre alten Waldes des Hambacher Forsts mehr zu roden,
  • sich dem Klimawandel entgegenzustellen und
  • weltweit Klimagerechtigkeit durchzusetzen.

Der Klimawandel, an dem die Förderung von Braunkohle erheblichen Anteil hat, ist längst Realität: Die extreme Hitze dieses Sommers mit historischen Höchsttemperaturen, führte nicht nur zu Dürre und Ernteausfällen hierzulande, sondern auch zu extremen Waldbränden in Schweden, zu außergewöhnlichen Überschwemmungen in Indien und Bangladesch, zu den größten Waldbränden in den USA, dem wärmsten je gemessenen Winter in der Antarktis und zu bislang unbekannten Höchsttemperaturen in Japan sowie in Russland. Alles deutet darauf hin, dass sich der Jet-Stream auf der Nordhalbkugel verlangsamt und verlagert, was weitere extreme Wetterlagen erzeugt. Klimaforscher gehen davon aus, dass das Jahr 2018 das heißeste je gemessene Jahr werden könnte – noch wärmer als die letzten drei Jahre, während der die Höchstwerte ohnehin schon überschritten wurde.

Der RWE-Konzern trägt durch die Förderung von Braunkohle und die Rodung des Hambacher Forsts zur Verstärkung des Klimawandels mit all seinen zum Teil existenz- und lebensbedrohenden Folgen für die Menschen bei.

Im Schatten der umweltzerstörenden Politik der US-Regierung betreiben die großen Energiekonzerne in der Bundesrepublik eine Verschleppung der Energiewende mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit. Während in den USA das Wort „Klimawandel“ per Sprachregelung von allen offiziellen Regierungsseiten verbannt wurde, verbreiten Energiekonzerne hierzulande in teuren und subtilen Werbekampagnen falsche Informationen, etwa die Energiewende würde zu höheren Strompreisen und zu Blackouts führen. Tatsächlich wird in der Bundesrepublik mehr Strom erzeugt, als gebraucht wird. Den Konzernen geht es damit um die Generierung von Profit, etwa unter Ausnutzung des „Erneuerbare Energien Gesetzes“ (EEG).

Proteste der Zivilgesellschaft, wie der Besetzer des Hambacher Forsts sind auch deshalb wichtig, da der Umweltschutz gerade in Deutschland politisch vernachlässigt wird. In Baden-Württemberg etwa ist nicht nur Fracking zu Versuchszwecken erlaubt, auch der kriminelle Abgasbetrug der Automobilindustrie wird nicht strafrechtlich verfolgt, sondern als „Schummelei“ verharmlost.

Mit der Durchsetzung der Energiewende geht es auch um die Frage, welches Wirtschaftsmodell verwirklicht werden soll: eines, das für die Gewinnmaximierung der Energiekonzerne auf Kosten eines immer stärkeren Raubbaus der natürlichen Ressourcen funktioniert oder eines, das ein gutes Leben für möglichst alle Menschen dieses Planeten in den Mittelpunkt stellt.

Auf hunderten Demonstrationen in über 90 Ländern weltweit setzten sich letzten Samstag (10.9.18) zivilgesellschaftliche Initiativen für ein solidarisches Wirtschaften ein: in Frankreich, auf den Philippinen, in Australien oder in San Franzisco etwa, wurde die weltweite Dringlichkeit der Energiewende während des global climate action day deutlich gemacht. Der Klimawandel ist ein globales Problem und erfordert ein globales zivilgesellschaftliches Handeln, vom Hambacher Forst über das Stuttgarter Neckartor bis auf die Philippinen und San Franzisco.

Vortragsreihe
Vom Scheitern unserer Hoffnungen und vom Mut eines neuen Anfangs

Über die Vortragsreihe:

Geschichtswissen für unser Handeln in der Gegenwart: Wir greifen in den Vorträgen aktuelle Enttäuschungen – und vielleicht auch Ohnmachtsgefühle – auf, die uns gerade in Stuttgart bewegen.  Gemeinsam stellen wir Fragen an die Geschichte, ob und vorallem wie sie uns zum Weitermachen ermutigen kann. Dabei hilft ein Blick zur sozialistischen Bewegung in Stuttgart – denn Stuttgart bzw. Württemberg hat viel zu bieten: Clara Zetkin, Fritz Rück, Fritz Lamm, August Thalheimer, Georg Elser, Eugen Eberle, Theodor Bergmann, Willi Hoss, Peter Grohmann …

Spenden und Eintritt:

Der Eintritt ist frei. Spenden (Stichwort „Vortragsreihe Geschichte“) sehr erwünscht, steuerlich absetzbar über die Konten von:

SÖS Stuttgart Ökologisch Sozial IBAN: DE95 4306 0967068 9987 00

Die AnStifter IBAN: DE31 4306 0967 7000 5827 01

Die Referenten:

Dr. Axel Kuhn, früher apl. Prof. für neuere Geschichte an der Uni Stuttgart, seit 2008 im Ruhestand
Dr. Annette Ohme-Reinicke ist Soziologin, Lehrbeauftragte der Universität Stuttgart, Mitgründerin des Hannah-Arendt-Institut für politische Gegenwartsfragen, Stuttgart (HAIS) und Vorsitzende der AnStifter

Literatur:

Axel Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung. Stuttgart (Reclam-Taschenbuch) 2004.

Die Veranstaltungen im Einzelnen:

Mi, 26. September 2018, 19:00 Uhr
Dr. Axel Kuhn: 100 Jahre Novemberrevolution in Deutschland

Mi, 24. Oktober 2018, 19:00 Uhr
Dr. Axel Kuhn: Die Machtübernahme der NSDAP 1933

Mi, 21. November 2018, 19:00 Uhr
Dr. Axel Kuhn: Über Parteitreue, Links- und Rechtsabweichler

Mi, 12. Dezember 2018, 19:00 Uhr
Zeitzeugenbericht: 1968 in Stuttgart- Kurz-Geschichten

Mi, 23. Januar 2019, 19:00 Uhr
Dr. Axel Kuhn: Der Zusammenbruch der DDR und der Mythos von der ersten erfolgreichen Revolution in Deutschland

Mi, 27. Februar 2019, 19:00 Uhr
Dr. Annette Ohme-Reinicke: Der Kampf gegen »Stuttgart 21« im Kontext weltweiten Aufbegehrens

Veranstaltungsflyer zum Herunterladen: Hoffnung light

 

Schwaben-Demokraten

Dass die schwedischen Sozialdemokraten am Sonntag das schlechteste Ergebnis seit Erfindung der freien Wahlen eingefahren haben, ist der SPD nichts Neues. Hier bei uns liegen bekanntlich die Hellroten heute gleichauf mit den Blauen, und die setzen gerade zum Überholen an. Da und dort (dort vor allem) sind sie schon stärkste Partei. Also Aufstehen, Sitzenbleiben, Wegsehen, zu Hause bleiben, wie blonden deutschen Töchtern zu raten ist?

Unterdessen trödeln und tendeln immer mehr Länder, von Marx bis Mainau, von der Etsch bis an den Belt, putzmunter ins demokratische Abseits. Bei vielen Menschen im Lande überwiegt aber vor allem die Sorge, dass es bei künftigen Wahlkampfkosten-Rückerstattungen (aus Steuermitteln) noch düsterer aussehen wird als jetzt schon. Wir finanzieren das Abseits – voll ins Blaue hinein.

Ein gewichtiger sesshafter Repräsentant der Schwaben-Demokraten, bei dem man künftig ebenfalls etwas genauer hinsehen muss, ist Volker Kauder (beide CDU). Kauder hat sich über Macron echauffiert. Der Franzose wandte sich dieser Tage frech an die christ-demokratische Europäische Volkspartei (EVP), in der auch die CDU wohnt: „Man kann nicht gleichzeitig Merkel und Orban unterstützen“. Kann man zwar, macht man zwar – doch wo ein Rechter Recht hat, hat er recht. Kollega Seehofer hingegen bereitet gerade ein Treffen mit Orban vor – bei der Jahrestagung der Modelleisenbahner in der kleinen ungarischen Grenzstadt Gyékényes. Achtung, Fake news! Aber warum nicht?

Eher Muslimisch-sunnitisch-weltoffen geprägt sollte dagegen ein Sonntagsbraten sein, zu dem die Menschen in einer Stuttgart Flüchtlingsunterkunft ihre vorwiegend deutschstämmigen Nachbarn eingeladen hatten. Essen, Trinken, Kennenlernen – das war das Mott des Nachbarschaftsfestes. Eintritt frei. Ein niederschwelliges Angebot, das freilich viel Überwindung kosten mag – soviel, dass nicht ein Einziger, keiner, niemand, Null die Einladung zum integrativen Gastmahl annahm. Man muss wissen, dass im Stuttgarter Fasanenhof viele Flüchtlinge wohnen – aus Pommern, Ostpreußen, Schlesien, dem Sudetengau, neuerdings auch aus Russland, und die wissen, wie schwer es ist, sich in Deutschland zu integrieren. Etliche haben es bis heute nicht geschafft, wie wir sehen. Auch die Kauders blieben weg – weg wie die Sozis, die Christen, die Antifa, die Liberalen und die Normalen. So mussten die 188 Bewohner am Ehrlichweg ihre Suppe selbst auslöffeln. Aber sie konnten sich trösten: Zu ihrem Sommerfest seinerzeit kam auch nur einer.

Video der Manifestation contre le GCO – Stuttgarter Solidaritätserklärung an die Protestbewegung GCO non merci

Manifestation contre le GCO – Stuttgarter Solidaritätserklärung an die Protestbewegung GCO non merci

Video: Grit Berenz
Die große Westumgehung Straßburgs (auch GCO, COS oder A355) ist ein 24 km langes Maut-Autobahn Projekt zur westlichen Umgehung Straßburgs (über Kochersberg/Ried de la Bruche) von Vendenheim (nördlich) bis Innenheim (südlich). Betroffen sind 24 Gemeinden. Trotz 7 negativer Gutachten der Untersuchungskommissionen, des Nationalrats für Naturschutz, der Umweltbehörde und anderer Experten, droht das Projekt mit Vollgas wieder aufgenommen zu werden. Am Samstag, 8.9.2018, fand eine große Demonstration gegen die Große West-Umgehung – Grand Contournement Ouest (GCO) statt. Einige S21-Gegner*innen und AnStifter unterstützten die Demonstration vor Ort, hier unser gemeinsames Grußwort, vorgetragen von Maggie vom Arbeitskreis Stuttgart 21 ist überall.

Weitere Infos und Text der Rede: https://www.die-anstifter.de/2018/09/manifestation-contre-le-gco-stuttgarter-solidaritaetserklaerung-an-die-protestbewegung-gco-non-merci/