Alle Beiträge von Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

Wettern der Woche
Ku Klux Klan

Polizei und Ku-Klux-Klan – Peter Grohmanns "Wettern" vom 22.10.2014

Zwar befinden sich momentan keine verhaltensgestörten Personen mehr auf den Gassen, auch von Dschihadisten, Salafisten oder ISIS-Kämpfern ist in realen Umwelt wenig zu sehen – vom NSU ganz zu schweigen. Aber die arbeiten ja eh im Untergrund. Doch wie sagte meine Omi Glimbzsch in Zittau so treffend? Vorsicht ist die Mutter der Kalaschnikow! Insoweit ist es regelrecht zuvorkommend, wenn die Polizei in Stuttgart beispielgebend den Leuten im Haus Werastraße 10 den Hinweis gibt, dass „dieses Objekt gefährdet“ sei. Also ab in den Luftschutzkeller? Mit den sechs Kindern? Und Essen mitnehmen? Die Polizei: „Näheres weiss man nicht.“ Mensch, man ist auf gar nichts mehr vorbereitet!
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Wettern der Woche
Nicht denken, kaufen!

Nicht denken, kaufen! – Peter Grohmann's "Wettern" vom 15.10.2014

25 000 neue Kauflustige braucht unser eben eröffnetes Einkaufszentrum am Bahnhofbauplatz – täglich. Macht im Jahr rund neun Millionen Türkischstämmige, Älbler, Neu-Ulmer, Esslinger und anderes Volk. Mooomentle! Das Gerber, unser zweites eben eröffnetes Einkaufszentrum, braucht aber auch 25 000 Kauflustige – also zusätzlich! Das wären dann die Heslacher, Vaihinger, Pforzheimer, Karlsruher, Ulmer und Hotzenwädler. Ideal wäre natürlich, wenn die alle mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr kämen, trotz der Gefahren, die ihnen bei der Passage maroder Brücken und Tunnels drohen. Denn wenn nur an einem einzigen Tag im Jahr ein Zug irgendwo stehenbleiben muss, weil die Brücke plötzlich weg ist oder Betrunkene in der Oberleitung hängen – gibt es – abgesehen vom gern zitierten Personenschaden und dem Imageschaden – gravierende Umsatzeinbußen! 50 000 Espressos weniger, 50 000 mal weniger Pinkeln, vom großen Geschäft ganz zu schweigen. Wer sparen will, geht geht zur Notdurft bei Primark oder pisst die Wand an.

Beim Zustand der Bahnanlagen (alles marode, das bleibt aber unter uns!) ist allerdings noch mit ganz anderen Un- und Ausfällen zu rechnen. In Böblingen hat eben ein hipper Einkaufstempel seine Pforten geöffnet, in Ludwigsburg scharrt schon der Kaufhengst im Marstall-Center ungeduldig mit den Hufen, in Ulm und um Ulm rum reibt sich in Ehren ergraute Kaufmannschaft die Augen und der Investor die fettigen Hände: Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt die Kaufkraft auch zu dir!

Inzwischen geht die kommunale Infrastruktur flöten, wenn sie nicht schon auf dem letzten Astloch pfeift. Der Einzelhandel geht am Stock, das gastronomische Angebot hat Dünnpfiff, auch wenn die Region Stuttgart noch die wohlhabendste ist im Bund (die Niedriglöhner, Aufstocker und Kurzzeitverträgler nicht gerechnet, von Hartz IV ganz zu schweigen). In diesem Gewerbe heisst das Motto: Nicht denken, kaufen. Oder, umgemünzt auf die meisten Damen und Herren in den Rathäusern: Nicht denken, bauen.

Von den etwa 16 Milliarden (regionale Kaufkraft) werden nur rund 14 auch in der Region ausgegeben – 2 Milliarden gehen fremd. Daher muss uns meine Omi Glimbzsch aus Zittau helfen: Omi, hau Dein Geld in Stuttgart auf den Kopf, nicht in Karl-Marx-Stadt! Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, geh‘ doch in die Oberstadt, mach’s wie Deine Brüder!

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Aufstand

Aufstand – Peter Grohmann's "Wettern" vom 1.10.2014

Rechtzeitig zum Schwarzen Donnerstag gibt es von der Börse wieder freundliche Nachrichten. Der Abwärtstrend des Dax ist gestoppt, wir haben alles im Griff. Am Black Thursday allerdings, einem sonnigen 24. Oktober im Jahre des Herrn 1929, vor exakt 85 Jahren, fand der erfolgreichste Börsencrash der Geschichte statt: Panik unter den Anlegerinnen – wer am 23. noch ein reicher Cupongschneider war, fand sich am 25. in den Gossen von Harlem oder Wedding wieder. Zwei Tage nach meinem Geburtstag versuchten dann alle Investoren gleichzeitig, ihre Aktien zu verhökern. So etwas kann nur schiefgehen, das weiß heute selbst die LBBW.

Rechtzeitig zum Schwarzen Donnerstag, dem Tag des Aufstands der Polizei gegen die Stuttgarter Schüler, beklagen die wenigen übrig gebliebenen Printmedien weinerlich das mangelnde Interesse des Volkes an anderen Spielen als dem Volksfest. Null Bock für Erörterungen. Das Volk will Brot und Spiele, sprich Bier und Göckele. Und da wir ja so total auf Mehrheiten pochen: Es hat sogar überwiegend nicht nur das Interesse an Powerpoint-Präsentationen in cleanen Messehallen, sondern auch an Wahlen verloren. Jeder Zweite wählt, wenn sie wählt, lieber das Bierzelt. Da weiß Mann: Die Maß ist nie ganz voll, aber auch nicht halb leer und mit Sicherheit teurer als letztes Jahr. Das hat die Maß mit den Parteien gemeinsam – aber immer frisch verzapft!

Doch wenn Aufstand, dann bitte woanders. In Hongkong beispielsweise. Aufstand bei die Schlitzaugen?, tät meine Omi Glimbzsch aus Zittau jetzt treuherzig fragen. Die Ungläubige! Sie hat halt so ihre Erfahrungen mit den Gelben und den Roten gemacht, gelle? So braust Jubel auf, wenn die Schüler Hongkongs das Finanzzentrum stürmen und dem Tränengas trotzen. Sie tun es ja auch für uns, und so lange in Frankfurt oder Stuttgart alles ruhig bleibt, ist alles okay. Für Ordnung sorgt in Hongkong und Frankfurt die paramilitärisch ausschauende Polizei (wie von der Geisterbahn auf dem Wasen). Occupy, Blockupy. Beifall.

Der Kollege Holger G. von der StZ (der Name ist der Redaktion bekannt) wahrsagte vor Tagen, dass „die kleiner gewordene Gruppe der Fundamentalgegner“ wahrscheinlich bei der Eröffnung des Tiefbahnhofs (nicht in Hongkong, sondern in Stuttgart) „Oben bleiben“ rufen wird.

Die müssten dann freilich bei guter Gesundheit bleiben und ein Durchschnittsalter von 120 Jahren erreichen. Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Freunde des börsenorientierten Tiefbahnhofs froh wären, wenn sie oben geblieben wären: So viele Züge auf 16 Gleisen gibt’s sonst nirgends.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Rom heißt Mensch

Ins Gas! Ins Gas! Ins Gas!
skandierten am 19.9. 2014 in Duisburg 200 Bürger: Die Stadt musste eine Ortsbegehung am St. Barbara-Hospital absagen. Dort sollen Asylbewerber u.a. aus Mazedonien und Serbien untergebracht werden. Heute, 26.9., , 18 h, Altes Feuerwehrhaus Heslach: Tag des ausländischen „Mitbürgers“ – Internationales Fest (AK Asyl).

Alles Zigeuner
Angehörige dieser Volksgruppe fliehen aufgrund ihrer existenzbedrohenden Diskriminierung.
Sie beginnt damit, dass sie oftmals nicht über Geburtsurkunden verfügen und sich auch daher oftmals nicht als Staatsbürger registrieren lassen können. Sie sind vom Arbeitsmarkt, von medizinischen Leistungen wie auch von Bildung nahezu ausgeschlossen. Ihre Lebenserwartung ist deutlich geringer als die der Mehrheitsbevölkerung. Sie leben zumeist in Slums, die eher an die ärmsten Länder der Welt als an Europa erinnern. Dort herrscht Hunger und Verelendung. Rassistische Übergriffe nehmen dramatisch zu. Roma werden meist weder geschützt noch werden Übergriffe aufgeklärt. So sieht es in sicheren Herkunftsländern aus.

Die Arbeit der AnStifter setzt auf eine starke Zivilgesellschaft, auf Diskussion und Aufklärung, gegen Gewalt und Vergessen.

  • Am So, 28.September 2014, zeigen wir um 11 h im Planetarium (Schloßgarten, Keplersaal) Emir Kusturicas Klassiker „Schwarze Katze, weißer Kater“ (Jugoslawien 1998), eine Hommage an die Sinti-Kultur. Zeitgleich findet auch die letzte Fahrt zur Festung Schoenebourg/Elsas statt: Kunst im Underground (ab 11 h, Rück 22 h) Anmelden/Details: underground@die-anstifter.de
  • Am Mo, 29. September, 19:30-21:30 h, sind wir mit Brigitte Kratzwald im Württ. Kunstverein: Commons – Selbstorganisation zwischen Lust + Notwendigkeit.
  • Am So, den 12.Oktober, 16 h, gastiert der Tübinger Ernst-Bloch-Chor im Cannstatter Kursaal – es erwartet Sie ein exzellentes Konzert rund ums Thema Wasser: Steter Tropfer – Lieder aus aller Welt, kritisch, leichtsinnig, erhellend, für Herz und Verstand. Der Erlös geht an Poema – Armut und Umwelt in Amazonien, es laden ein die Ambulante Hilfe, AnStifter, Wasserinitiativen und Poema. Karten 12.- (ermäßigt), 15.- und 20,- bei peter-grohmann@die-anstifter.de, T 2485677
  • Am Sa, 8. Nov 2014, laden wir zur Bürgerschaftlichen Konferenz „NSU im Staat“ in die Staatl. Musikhochschule (Urbanstraße, Stuttgart). Die Konferenz (von 9:30 h bis 17 h) fragt mit prominenten Referenten und in 4 Arbeitsgruppen ua. und drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU: Was hat sich seitdem am Staat geändert? Was müssen wir fordern? – Bedroht, verfolgt, ermordet – Was sagen Betroffene, Angehörige, Anwälte der Opfer? – Das rechtsextreme Feld in der Mitte der Gesellschaft – und die Behörden? Wie agiert der „Verfassungsschutz» im Kampf gegen Rechtsextremismus? Und das Versammlungsrecht heute: Ausgehöhlt und abgehobelt?
    Also: Eine spannende Tagung der Zivilgesellschaft – die AnStifter gemeinsam mit der Neuen Richtervereinigung und der Internationalen Liga für Menschenrechte. Das Thema ist jede Anstrengung wert. Anmeldung erbeten.

Wettern der Woche
Alles verdächtig

Alles verdächtig – Peter Grohmann's "Wettern" vom 24.9.2014

Nicht nur in den Staaten macht sich mehr als verdächtig, wer den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera hört – eine gelungene Gründung des Investors Tamin bin Hamad Al Thami, kurz: Emir von Katar. Sieben Frauen, 25 Kinder. Meine Omi Glimbzsch in Zittau würde sofort die Straßenseite wechseln,wenn ihr dieser Scheich über den Weg liefe. Nein, nicht weil der fast ein Schwarzer ist, sondern wegen seiner Begleiterin, auch eine Schwarze: Angela Merkel. Aber ob Schwarz, weiß, rot oder grün – das juckt keinen mehr: Wer investiert oder deutsche Waffen kauft, dem werden die Füße geküßt. Der Emir ist ein Freund der Muslimbrüder – mein Gott Walter! Merkel und Steinmeier sind ja jetzt auch Freunde der Pech mergas – und die wiederum sind der militärische Arm der PKK, die bei uns verboten ist. Erst wenn sich das (verbotene) Mitglied der Kurdischen Arbeiterpartei nach Hause zu Mutti aufmacht und zur Kalaschnikoff oder einer deutschen Feuerwaffe greift, um für uns die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, gibt’s das Ritterkreuz der Demokratie. In Katar wiederum, das Israel in Sachen Demokratie

einholen will, sitzen ja nicht nur Beckenbauer & Co, sondern faktisch die gesamte Elite des praktizierten Kapitalismus. Viele von deren Geschäftspartnern wiederum stehen unter dem dringendem Tatverdacht, die Terroristen des Islamischen Staats zu finanzieren.

Die Ehefrau vom Beckenbauer hat in Katar noch nie Probleme gehabt, sagt man. Mag sein – es ändert aber nichts daran, dass die inländischen Frauen dort wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Nicht nur das. Es gibt sogar eine dritte Klasse: Die Sklaven, die Erbauer der schönsten Fußballstadien, die die Welt je gesehen hat. Der „Sponsor des Schreckens“ hatte im Gegensatz zu seinen Sklaven in Berlin einen fulminanten Auftritt. Nicht so ganz hundertprozentig im Sinne der Pflichten unseres Landes zu den Menschrechten. Aber wenigstens trägt der Emir keine Burka – denn inzwischen weiss man, dass unter mancher Burka genauso oft ein kluger Kopf stecken kann wie unter einem Polizeihelm, ob in Stuttgart, Berlin oder Katar. Um mit Hannes Wader zu singen: Nichts bleibt, wie es war. Katar ist schon lange ein sicheres Herkunfsland fürs Kapital, und Diskriminierung als Fluchtgrund steht nicht auf Merkels Agenda.

Damit Sie wissen, was ich meine, ein Nachsatz zum schlechter gewordenen Wetter für Sinti und Roma, das Kretschmann gemacht hat. Die Leute kommen nicht aus Katar, sondern aus Serbien. Und im grün-roten Koalitionsvertrag heißt es ganz schlicht: „Humanität hat Vorrang.“

Nichts als schöne Worte – alles verdächtig!

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Monster

Wir waren Monster – Peter Grohmann's "Wettern" vom 17.9.2014

Beim strömenden Regen versammelten sich dieser Tage in Stuttgart Kinder, Frauen und Männer vor allem aus Serbien – vom Regen in die Traufe. Die verfolgte Minderheit bettelt um Asyl – Sie wissen schon, dieses mehrfach generalüberholte Grundrecht, für viele ein Fetzen Papier. Weil? Weil dieser Tage der Bundestag dem Grundrecht wieder mal ein paar Fäden aus dem Rückgrat ziehen will: Deutschland den Deutschen, da ist man sich weitgehend einig, unabhängig von Geldbeutel oder Bildung. Deshalb blieben die zigeunernden Protestanten, die sich vor neuer Verfolgung und Abschiebung fürchten und die man (immerhin!) in der hintersten Ecke des Schlossplatzes duldete, unter sich. Solidarität, noch dazu bei Regen, ist eben selbst für die progressive Intelligenz eine Zumutung.

Da ging’s der regierungsamtlichen Demo in Berlin gegen Judenhass nicht viel besser: Ob eitel Sonne mit Merkel oder Regen mit Gabriel: „Die Straße“ war noch nie Sache der Mitte der Gesellschaft: Man geniert sich halt und proklamiert lieber den Aufstand der Anständigen auf Büttenpapier. Dabei wissen wir doch: Auch der intelligenteste Mob wirft sie alle in eine Kiste – Juden, Sinti und Roma, Homos, Asoziale, Behinderte, Ausländer…

Rechts vorbei an Zittau, südwärts, der Omi Glimbzsch noch eben Guden Taach sahen, ist’s nach Auschwitz eben mal drei Stunden. Im „Zigeunerlager“ ermordeten die Deutschen Hunderttausende, nicht ohne ihnen vorher die Zähne zu ziehen. Auschwitz, das Massengrab für Millionen Juden, bleibt eher unbesichtigt. Birkenau und Auschwitz legen Zeugnis ab, dass wir, ja wir!, jederzeit jeden Terror der Welt, jede Brutalität und Gemeinheit, jeden individuellen und jeden Massenmord auf dieser Erde in den Schatten stellen. Demütigen, aus dem Land jagen, zusammentreiben, köpfen, erschießen, erschlagen – alles öffentlich. Vergasen. Verbrennen. Vergessen. Wir waren es, die deutsche Terrormiliz: Unmenschlich, grausam, verbohrt, kalt, dogmatisch. Manchmal haben wir nur zugesehen und abgewartet. Wir waren die Monster, äh: Menschen.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Galle-bitter

Galle-bitter – Peter Grohmann's "Wettern" vom 10.9.2014

Bibeln und Koalitionsverträge, so sagte der Herr Gall, kann man so oder so interpretieren. Das ist genauso wie mit den Parteiprogrammen. Denn ein Stuttgarter Innenminister muss ja die Zeiten vor und nach den Wahlen im Augen haben, so wie der Herr Seehofer, unser Horsti Schmandhoff aus Ingolstadt: Der hatte vor dem sächsischen Weltuntergang auf Teufel komm raus gegen die AFD gewettert. Nun aber, das Desaster der kommenden Tage ahnend, gibt’s im nationalen Streichelzoo nix mehr auf die Mütze oder hinter die Ohren, sondern es wird gesäuselt, was das Zeug hält, um die Halb- und Ganznationalen mit und ohne Glatze bis zur Stimmabgabe am Sonntag bei Laune zu halten.Wer weiss schon, wer wie tickt?

Um bei Gall zu bleiben: Nehmen wir die Polizei, die uns bei größeren Polit-Ereignissen wie ein Monster gegenübertritt, als Kohorte: Sackschutz, Sichtschutz, Sturzhelm, Knieschoner, Tarnklamotten, Pferdehalfter, alles unbrennbar und wie mein neuer Fahrradschlauch: Unplattbar. Der Polizist von Welt sieht aus wie Louis Armstrong bei seinem ersten Mondspaziergang, oder, um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, wie der Mann am Hochofen von Thyssen – hart wie Kruppstahl. Da ist kein Augenzwinkern, kein Lächeln hinter Fielmanns Brillen zu sehen, nur eine Ahnung von Gesicht. Im seinem Innersten ist der Polizist kein Bulle, sondern einer wie wir, der nur seine Pflicht tut, der weiss: Befehl ist Befehl. Der wär‘ heute auch gern auf ein Bier ins Schlesinger oder zur Cosi fan Tutte, statt den wilden Mann zu geben. Brust raus, Arsch rein, sonst siehst du aus wie ein Krümelmonster, meinte meine Omi Glimbzsch aus Zittau, wenn ihre Enkel, die noch bei der NVA (nicht NSU!) ihren Dienst taten, sich im guten Zimmer (!) eine F 6 zwischen die Zähne schoben: Die schmeckte noch nach echtem Teer und Lungenkrebs. Heute findet der wiedervereinigte Kollege in den tausend Taschen seiner gesamtdeutschen Ausgehuniform weder Zündhölzer oder ein Päckle Schwarzer Krauser, sondern allenfalls Ersatzbatterien für Hörgeräte. Was ich sagen will: Wenn die Jungs und Mädels in diesen miesen Zeiten auf Streife gehen, um Verfassungsfeinde, krumm geborene Störer oder renitente Rentnerinnen aufzuhalten, müssen sie das anonym tun, ganz so wie die Vermummten aus der Roten Zora, Sprayer oder Salafisten. Wäre ja noch schöner, wenn man der Nachbarin Ohnesorg sagen könnte: Neulich hat mich Ihr Sohn getroffen – mitten ins Gesicht.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Braun gebrannt

Braun gebrannt – Peter Grohmann's "Wettern" vom 3.9.2014

Jetzt machen Sie sich nicht gleich wegen der paar Prozent in die Hosen! Erstens wollen die Sachsen seit je lieber einen König, dass ist bekannt. Und wetten, dass sie jederzeit Kurt Biedenkopf krönen statt köpfen würden, wenn’s legal wäre? Zweitens, dass man in Dresden und Umgebung den Rechtsradikalen gut, gern und freiwillig für 15 % Vertrauen schenkte, kann uns doch in Stuttgart nicht schrecken! Hier erhielt 1968 die Nationale Front alias NPD bei den Landtagswahlen auch knapp 10 %, und da sind die Scheindemokraten gar nicht mitgerechnet! Wir wussten eben damals schon, was Demokratie heisst, haben es aber glücklicherweise schnell wieder vergessen. Schön, bliebe noch die schlaffe Wahlbeiteilung: Von fast 75 % kurz nach der Machtübernahme 1990, als man noch von Kohls grünen Landschaften träumte, der außerparlamentarische Absacker 2014. Heute träumt man von der Mauer. Rund die Hälfte aller Wahlberechtigten blieb doch in Sachsen auch 1990 zu Hause! Die zwei Prozent zwischen damals und heute machen das Kraut auch nicht mehr fett. Doch es ist ein grausames Menetekel: Die Zukunft der Parteien-Demokratie sieht düster aus, und das Geschrei wird übermorgen umso größer werden, je mehr die Wahlbeteiligung abnimmt. Es riecht nach rechts außen, nach scharfem Populismus, nicht nur in Sachsen und nicht erst seit dem 31.8.2104. Und bitte sehr: Wer will sich schon von den Kohorten der AFD die Diäten vom Teller nehmen lassen? Die knapp hunderttausend Wählerinnen und Wähler von CDU, FDP, Linken, NPD und SPD haben gewusst, was sie wählten: Das markige DM-Gefühl, die Abscheu vor der Homo-Ehe, das Nein zur Frauenquote, den Stopp für Einwanderer und Flüchtlinge. Insoweit muss nun nicht nur Stanislaw Tillich (auch kein echter deutscher Name, oder?) vorsorgen. Er hat sich zwar bereits den Slogan seiner linken Ex-Freunde „Mehr Lehrer und Polizisten“ zu eigen gemacht: Nu ja ja, nu ne ne – helfen wird’s ooch nischt, wie meine Omi Glimbzsch aus Zittau weiss. Die Hochwasseropfer der Asylantenflut empfangen ihre Machthaber immer mit Pfiffen. Kein Wunder, dass nun die insolvente Frauke Petry samt Bernd Lucke für die AFD ein „Arbeitsrecht für Asylanten“ fordert – ein durchaus populärer Ruf, der wie vieles andere aus der Mitte der guten Gesellschaft ertönt: „Kinder statt Inder“. Auch die in Sillenbuch oder am Killesberg wollen keine Moschee – Sie etwa?

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Lompapack

Lompapack – Peter Grohmann's "Wettern der Woche" vom 13.8.2014

Hans Bayer, der Stuttgarter aus Cannstatt, hätte jetzt viel zu tun, lebte er noch. Vielleicht, weil es so aktuell ist, widmet die Stiftung Topografie des Terrors dem Kriegsberichterstatter aus dem Zweiten Weltkrieg eine Sonderausstellung (Berlin, ab August): Bayer musste 1938 zu den Soldaten und war ab 1941 bei einer Propagandakompanie an der Ostfront. Propaganda und Ostfront – das tät auch heut passen, Ausstellung hin oder her.

Für unsereins hat der Kollege viel getan, unter anderem als Motor für den Schriftstellerverband, als Zuredner für eine freie, unabhängige Presse, als Zeitzünder für eine Künstlersozialkasse. Und er hat unglaublich viel dazugelernt – eine Fähigkeit, die zunehmend verloren geht: Bayer wurde Pazifist und politischer Akteur. Mit Heinrich Böll und Günter Grass wurde er 1974 gewissermaßen zur SPD vorgeladen: „Eine Dichterlesung wird es nicht werden“, schrieb seinerzeit die „Frankfurter Rundschau“. Bayer empfahl der SPD die Provokation und den Mut zu einer klaren Absage an den Staatskapitalismus, den Mut zum Widerstand gegen die Pressionen der internationalen Konzerne, die Abkehr von der Mauschelei um Ämter als Sinekuren für ausgediente Funktionäre. Und 1977 forderte er die Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass ein Radikaler noch lange kein Terrorist ist und dass Persönlichkeiten wie der junge Schiller, Hölderlin, Schubart, Hegel und Brecht Radikale waren, dass Pestalozzi, Fichte, Lessing, Leibniz, Arndt, die Brüder Grimm, Jahn und Hoffmann von Fallersleben als staatsgefährdend galten, ihre Ämter und Professuren verloren und mit Berufsverbot bestraft wurden.

Eingebettet in die Furzmullen der Macht, mit vorauseilendem Gehorsam den Verbündeten hinterher, ohne Ecken und Kanten präsentieren sich dieser Tage die Farben tragenden Parteien. Da muss, im Falle Sant’Anna di Stazzema, ein Gericht dem Justizminister sagen, wo der Barthel den Moscht holt, um einen Prozess neu aufzurollen, da braucht es einen Bundesverfassungsrichter, der Abgeordnete vor ihren Diäten warnt und meine Omi Glimbzsch in Zittau, die – von Ossi zu Ossi – die Kanzlerin um die Aufnahme jesidischer Flüchtlinge bittet: zwar Türken, aber immerhin Christen.

Trauern wir also um Thaddäus Troll, jenen aufsässigen, radikal-liberalen Schwaben, den Hans Bayer aus Cannstatt, der 100 geworden wär in diesem Jahr, und die zunehmende Abnahme von Courage, freier Rede und freier Presse, überall. Troll – das wär ein Wetterer gegen die Griffelschpitzer und Lugabeitel, die Erbsazähler und Wendbeitel.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Heute vor 70 Jahren
Im Gedenken an SS-Massaker im italienischen Sant‘Anna die Stazzema

Die geplanten Morde

Am 12. August 1944: Die Soldaten der 16. Panzergrenadierdivision »Reichsführer SS« trieben die Menschen aus ihren Häusern, schossen auf jeden, den sie sahen. Ihre Opfer waren vor allem Frauen, Kinder und Alte. Die Männer hatten sich zuvor in die Berge geflüchtet. Die Bewohner Sant’Annas gingen davon aus, dass die Soldaten in ihr Dorf kämen, um die Väter und Söhne nach Deutschland zur Zwangsarbeit zu verschleppen. Sie konnten nicht ahnen, mit welcher Grausamkeit fast alle von ihnen ermordet werden sollten. Die Deutschen schossen nicht nur um sich, sie warfen auch Handgranaten, zündeten Häuser und Ställe an. Schrecklicher Höhepunkt des Massakers war die Hinrichtung von 132 Menschen auf dem Kirchplatz des Ortes durch Maschinengewehrfeuer. Nach weniger als vier Stunden war alles vorbei.

»Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema hat in unserem Land unauslöschliche Narben hinterlassen«, sagte Piero Grasso, Präsident der italienischen Senats. Bei der Feierstunde heute, an der mehrere hundert Menschen teilnahmen – unter ihnen Überlebende und Angehörige der Opfer, Regierungsvertreter, Parlamentarier und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Über eine- offizielle Vertretung aus Deutschland wurde bislang nichts bekannt – einzig eine Gruppe der Stuttgarter AnStifter ist seit Tagen in Sant’Anna bei einem Arbeitseinsatz. Das Bürgerprojekt hatte 2013 den Stuttgarter Friedenspreis an Enrico Pieri und Enio Mancini verliehen- stellvertretend für das Dorf in der Toscana.

Von vier Seiten stiegen damals 300 SS-Soldaten, teils geführt von italienischen Faschisten, in den Morgenstunden in das Bergdorf hinauf. Die Sonne schien, der Himmel war strahlend blau – so wie an diesem Gedenktag. Der 12. August 1944 sollte ein herrlicher Sommertag werden. Doch es war der Tag, an dem Sant’Anna vernichtet wurde.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft versuchte rund 10 Jahre lang an der Vorbereitung eines Prozesses – die Täter waren bekannt – und stellte im Herbst 2012 unter Protest von Überlebenden, Historikern und den AnStiftern ihre Ermittlungen ein. Der Justizminister des Landes, Stickelberger, stellte sich in dem Verfahren hinter den ermittelnden damaligen Oberstaatsanwalt Häußler. In Sant’Anna di Stazzema wurde einer Nachricht mit besonderer Freude aufgenommen: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass zumindest gegen einen damaligen Kompanieführer doch Anklage erhoben werden kann.
»Dies ist ein weiterer Schritt vorwärts in der Suche nach der Wahrheit«, kommentierte Bildungsministerin Stefania Giannini die Karlsruher Entscheidung in Sant’Anna. Für Opfer,Hinterbliebene und Historiker steht die längst fest. »Sie ermordeten 560, so viele wie möglich, ohne Mitleid im Herzen«, steht auf der Gedenktafel am Ort des Verbrechens.

Wettern der Woche
Semitismus? Antisemitismus?

Semitismus? Anitsemitismus? – Peter Grohmann's "Wettern" vom 6.8.2014

Es wird gut sein, vorher einen Anwalt zu konsultieren, wenn man dieser Tage auf die Straße will, um seine Meinung zu sagen. Auf den gesunden Menschenverstand ist so wenig Verlass wie auf guten Geschmack oder den politischen Instinkt, vor allem, wenn man mit einem selbstgefertigten Demonstrationsmittel – einem Schild etwa – zur Kundgebung eilt. Doch gemach: Im Falle des Nahost-Konflikts warten, gut gedeckt, Staatsanwalt und Arabisch-Übersetzer, links- und rechtshändig stehen gutgerüstete Ordnungskräfte parat, damit das Versammlungsrecht nicht ausufert. Sie können bei Bedarf direkt vor Ort entscheiden, was erlaubt und was verboten, was beleidigend, semitisch oder antisemitisch ist – Kyrillisch und Xinjiang-Dialekte mal ausgenommen. Von erfahrenden Montagsdemonstranten in Stuttgart hört man, dass die Staatsmacht auch Gebärdendolmetscher honoriert, die auf größere Entfernung und ohne Einsatz technischer Mittel dem Gegner jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Nicht die Rede sein soll hier von weiteren Hilfstruppen – mehr oder minder bewaffneten Zivilisten, die Knarre im Hosenbund, die auf einer Demo nichts verloren haben und dennoch suchen, von V-Leuten, verdeckten Ermittlern oder Scharfmachern und Provokateuren, die ein welterfahrener Demonstrant wie der Kontext-Wetterer auf hundert Meter riecht. Die Ordnung sorgt auch dafür, dass quasi jeder Furz vorsorglich mit Video aufgezeichnet wird. Die nicht versteckte Kamera ist überall dabei, und jede Demo kann bei genügend Bedarf jederzeit komplett eingekesselt werden. Bei der Blockupy-Party 2013 in Frankfurt hatten die Saubermänner der hessischen Regierung sogar schon im Vorfeld Dixi-Klos ankarren lassen. Ach, Kinder – was das alles kostet!

Der große Aufreger dieser Tage sind die Antisemiten: Sie kommen, obwohl ungerufen, wie gerufen. Als in Stuttgart Palästinenser-Komitees und Freunde zum Protest gegen Bombardement und Gaza-Einkesselung aufriefen, machten sie vorab klar: Antisemiten sind nicht erwünscht – hier geht’s gegen Israels Politik und nicht gegen Juden. Die Veranstalter bekamen freilich keine Hilfe von der Polizei, als sie das durchsetzen und provozierende Plakate entfernen lassen wollten. Und leider konnte die Polizei nicht einmal die Namen der Provokateure geststellen, wo doch im Vorfeld jeder linken Demo Rucksack- und Gesichtskontrolle zum guten Ton gehören. Cui bobo, frag‘ ich den Mann mit der dunklen Sonnebrille. Und kein Wort davon in der Presse – aber wir haben ja kontext.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
1 Million nebenher

Neidhammel – Peter Grohmann's "Wettern" vom 30.7.2014

Dass der CSU-Parlamentarier Peter Gauweiler rund eine Million mehr oder weniger so ganz nebenbei eingenommen hat, schmerzt allenfalls die Geringverdiener und mich. Neidhammel, ruft mir in diesem Augenblick meine Omi Glimbzsch aus Zittau zu – ich hätte ja auch Karriere machen können, wenn ich fleissig genug gewesen wäre. www.abgeordnetenwatch.de ist da die eine gute Seite unserer Mediengesellschaft, die Karriere macht, und die andere, die ebenfalls furchtbar die Leute ärgert, heisst www.transparency.de. Auf der einen oder anderen Liste taucht früher oder später jeder auf, der Rang und Namen hat in unserer Demokratie. Es sei denn, man macht rechtzeitig gutes Wetter, um einem Getwitter zuvorzukommen. Unsere Landesregierung etwa, die neulich in Berlin zur Stallwächterparty des Landes einlud, ging mit dem 250.000-Euro-Fest absolut souverän um. „100 Prozent Öko“ war die Devise. Deshalb reiste die ganze Klicke von Stuttgart aus mit dem Flieger nach Berlin – der wäre ja so oder so geflogen. „Ja, Grohmann, Du Seckel“, wird mich jetzt vielleicht Genosse Friedrich fragen, „hättet mir etwa mit ‚m Fahrrädle kommen solle? Über Helmstedt?“

Die Party des Landes kostete rund 220.000 Euro. Eingeladen waren alle, die irgendwie irgendwo zur Berliner Haute volee zählen, darunter natürlich auch der eine oder andere Steuersünder, zwei-drei handzahm gewordene Journalisten, Bankrotteure und Banker, Zuhälter der Rüstungsindustrie, Zocker aus dem Immobilienmilieu, wie Spötter aufzählen dürfen – vor allen aber wohlverdiente und verdienende Zeitgenossen, wie sie unser Land braucht.

Ich sag‘ mal so: Die Schickeria,die Großkopfeten brauchen auch solche Events, bei denen es ein Verbrechen wäre, wie Anno Dunnemal die Roten am Holzstecken ins Feuer zu halten. Die gepamperte Demokratie trinkt in Maßen – nur der Pöbel würde sich sinnlos besaufen.

In Wahrheit hat das Fest das Land so gut wie gar nichts gekostet, denn es wurde gesponsert. Nehmen wir die Firma Diehl, Kennwort: Schwerter zu Pflugscharen. Diehl hat 5.000 gegeben, Daimler das Vierfache, die AOK 10.000. Das sieht dann die „Stiftung Entwicklungszusammenarbeit“ (SEZ) mit ihren 1.000 Euro (Sachleistung!) richtig alt aus. Die Stiftung hat wenigstens bei dieser Party „ein wichtiges Zeichen dafür gesetzt, dass die Bekämpfung von Armut und die Schaffung von Zukunftsperspektiven in den Ländern des Südens nicht nur eine Aufgabe auf internationaler Ebene ist, sondern auch Handeln auf Landesebene erfordert.“ Schön gesagt.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Auge für Auge

Auge um Auge ... – Peter Grohmann's "Wettern" vom 23.7.2014

Es erzählt eine Legende von fünf blinden Männern, die einen toten Elefanten finden. Sie wissen sofort: Es ist etwas Großartiges! Und so beschließen sie, das Fundstück von allen Seiten zu untersuchen. Der eine entdeckt inspiziert den Stoßzahn, der andere den gewaltigen Rücken, der dritte untersucht den Schwanz, der vierte den Rüssel und der fünfte Blinde die Zehen der Vorderbeine. Als sie ihre Erfahrungen austauschen, stellen sie fest, dass sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Guantanamo oder Gaza, Ostukraine oder Omertà – wir wissen nicht mehr, wo vorn und hinten ist, vor allem, wenn man den Elefanten nachts umdreht oder wiederbelegt. Während im Falle Gaza bewusst wie unbewusst antisemitische Klischees mobilisiert werden, überwiegt bei der Ostukraine der Blick auf den Putinschen Stoßzahn. Russische Nachrichten – No wosti, Genosse? – werden im Gedenken an den Antikommunismus so gut wie nirgends zitiert, und die Akteure von Revolution und Konterevolution mahnen die Betroffenen mit einem Spruch des Kinderschänders Berlusconi: „Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden.“
Die mit den Waffen Krieg und Frieden spielen, proklamieren ungeniert Bibel oder Tora, Koran oder Schari’a und jagen den Gläubigen nicht nur einen Heidenschrecken ein, sondern lassen den frommen Worten gemeine Taten folgen: Raketen aus dem Wohnzimmer, Granaten ins Kinderzimmer. Das neue Volkslexikon Wikipedia meint, dass nach überwiegender rabbinischer und historisch-kritischer Auffassung bei der Vergeltung ein angemessenen Schadensersatz verlangt wurde, um die im alten Orient verbreitete Blutrache einzudämmen und durch die Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe abzulösen. OK, das ist lange her und war früher so.

Unrecht? „Das sieht ja ein Blinder mit dem Krückstock“, tät‘ heute meine Omi Glimbzsch aus Zittau sagen. Aber ihr Blinder würde spätestens vor dem toten Elefanten kapitulieren, weil es zu dunkel ist geworden ist. Dafür sind die fünf Blinden dieser Tage sind laut: Auge für Auge, rufen sie, Zahn für Zahn!

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Schwarz. Rot. Gold.

Dass wir mal Papst waren, damals, unter Ratzinger, Gott hab‘ ihn selig, war meiner Omi Glimbzsch aus Zittau so was von egal! Als gute Atheistin war sie sich des Himmels auch unter Pieck, Grotewohl, Ulbricht und Honecker ganz sicher – bei Helmut Kohl freilich zweifelte sie, zu Recht, wie wir heute wissen. Und kann mir lebhaft vorstellen, wie sie jubelte, als wir 2003 und 2007 Weltmeister wurden! Von der grandiosen Europameisterschaft 1989 ganz zu schweigen: Das Finale ausverkauft, alle im Siegesrausch, im Freudentaumel. Unglaublich, was da geleistet wurde. Und für den Sieger gab’s ein 40-teiliges Kaffeeservice aus Meißner Porzellan, allerdings nur 2.Wahl. Was für Zeiten! Da saß die Omi Glimbzsch noch hinter Mauer und Stacheldraht, schenkte sich einen Nordhäuser Doppelkorn ein und sah das 4:1 gegen Norwegen illegal im Westfernsehen. Freie Sicht auf die schwarz-rot-goldenen Siege gab es aber dann sofort nach dem Mauerfall – und was für eine Erfolgsserie für das wiedervereinigte Deutschland und den Fußball: Wir waren Europameister 1991, 1995, 1997, 2001, 2005, 2009, 2013! Und jetzt, in diesen Stunden, läuft die EM in Norwegen, Anfang August die Weltmeisterschaft in Kanada, und Omi bügelt schon mal fürs public viewing vor der Volksband Zittau-Löbau ihr historisches Trikot mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf Schwarz-Rot-Goldnem Grunde. Auf die Farben ist sie übrigens ganz schön stolz, die alte Glimbzsch, auf den März 1848 in Berlin, auf das Hambacher Fest und den Donnersberg, na ja, und wenn ich schon mal dabei bin, schließe ich mich ihr an: auf den 14.Juli 1789, den Sturm der Pariser Bürger die Bastille, auf das 125 Jahre alte Bundeslied für den Pariser Arbeiterkongress am 14. Juli 1889 des Stuttgarter Dichters Georg Herwegh: „Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“ Nach dem November 1918 gingen sie in Berlin und Stuttgart noch mal auf die Straßen, für Freiheit, Gleichheit, Brüder-lichkeit. Auch für die mies bezahlten Schwestern. Die kriegen zwischen Baden-Württemberg und Sachsen im Monatsdurchschnitt nicht mal 2000 Euro. Brutto natürlich. Die Diätenerhöhung der Schwestern ist der kalte Kaffee fürs Service. Schau doch! Denn es gibt ein Leben nach dem Fußball – aber das meiste davon sieht man nicht, es lohnt sich nicht, dieses Leben. Keine Direktübertragung. Kein public viewing.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Wahnsinn

Fußball-Wahnsinn! – Peter Grohmann's "Wettern" vom 8.7.2014

Millionen Menschen, Lebende und Sterbende, verfolgen in diesen Augenblicken diese kühne, ja grandiose Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Und sie vergessen vielleicht für einen Augenblick, vielleicht auch für immer, was sie bislang bedrückt oder beflügelt hat, Mord und Totschlag in der Welt, Hunger, aber auch Fettleibigkeit, oder, wie der Italiener gern sagt: Adipositas. In diesen Augenblicken brandet beispielhafter Jubel auf, zum Teil sogar Trubel. Viele der Zehntausende haben Tränen in den Augen, selbst Frauen, als die beiden Mannschaften, angeführt von dem umstrittenen, aber dynamischen Schiedsrichter Master Card aus Purchase (NY), auf dem im saftigen grün angespritzten Rasen einlaufen. Konterfußball und Foulspiel pur – das erwartet hier der einfache Mafiosi genauso wie der Profi von Respect! Und just in diesem Moment wird angepfiffen, und Adidas sofort vorn, ganz vorn, wunderbar, schiebt den Ball fast lässig rüber zu Sony, dem Linksaußen, direkt auf die Socke – doch gaaaaaanz knapp verfehlt! Samsung greift sich sofort das Leder, mit einem zielgenauen Schuss rüber zu Pepsi, gekonnt, jetzt stürmt Lufthansa vor, gibt ab zu VW, Adidas – aber sicher gestoppt von Emirates! Was für ein fulminanter Auftakt. Die Viererkette mit Castrol steht, mit Oi, Apex und ihrem stärksten Mann Continentals. Auf der anderen Seite lauert CocaCola, komplett ungedeckt von Blattner, völlig abgefüllt von Budweiser ganz rechts jetzt Johnson Johnson. Knappe 6 Minuten nach dem Anpfiff die erste richtig gute Chance für Yingli, der haut den Ball im letzten Augenblick auf Emirates, Klasse gemacht. Kann sich aber nicht durchsetzen, Ballverlust, jetzt Freistoß Cola, das Leder hart auf Kante.

An der Außenlinie jetzt auch der 12. Mann, die erste richtig gute Chance mit der Aussicht auf Ausschreitungen nach der dritten Halbzeit – wenn nicht der Assistent wieder die Fahne hebt … Aber das Spiel verliert an Spannung, zu viele Pässe, zu wenig Tempo, und so mancher Hardliner hofft vergeblich auf eine Blutgrätsche, die dem Spiel noch eine Wendung geben könnte – Foul, rufe ich vorsichtshalber noch – das knallt mir einer das Rund in die Eier. Jetzt, spätestens jetzt zeigen mir alle, die noch lesen können, die Rote Karte. Ich, der beste Mann für einen gezielten Fernschuss im Zwölf-Meter-Raum, muss vom Platz. Welche Schandeden Meister aus Deutschland, für meine Omi Glimbzsch, die bei BSG Lokomotive Zittau die Wäsche gemacht hat. Und die hätte schon viel früher abgeschaltet.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Drei Mal nein!

3x Nein! – Peter Grohmann's "Wettern" vom 2.7.2014

Keine kleinkalibrige Kritik an der vollautomatischen Diätenerhöhung unserer Abgeordneten! Die Neidgierer vergessen, dass der Abgeordnete ausschließlich dem Wohle des deutschen Volkes verpflichtet ist und sonst allenfalls sich selbst. Und viele haben ja neben der Familie auch noch einen Job. Noch mal nein: Keine Kritik an unserer Bundes-Drohnen-Beauftragten Ursula von der Leyen! Die Verteidigerin ist sich ihrer Verantwortung für die Truppe und die Heimat selbstverständlich bewusst, sonst wäre sie ja nie auf diesem Posten gelandet. Natürlich reichen die Mittel des BMFV hinten und vorne nicht aus, um die traumatisierten Heimkehrer von der Front anständig oder überhaupt zu behandeln. Denen geht es zum Teil so beschissen, dass sich jetzt sogar die verhassten Kriegsdienstverweigerer für die Exsoldaten einsetzen. Der kampferprobte Freiwillige hat immerhin die Chance, seinen Seelenschmerz bei der „Tatort“-Serie meistbietend zu verscheuern und kann dann linkshändig seinen Therapeuten bezahlen. Es geht also!

Nein, aber nein auch zu den Kleingeistern und Leisebetern, die Sigmar Gabriel jetzt das Leben schwermachen wegen dieser paar erneuerbaren Energien. Da haben wir früher ganz andere Sache verfeuert! Klar haben sich der eine oder die andere vor der Wahl die Hände gerieben, weil es jetzt dem Atommüll, ja dem ganzen Uran an den Kragen geht. Meine Omi Glimbzsch aus Zittau würde jetzt einwerfen: Brennholzverleih der SPD! Aber auch sie vergisst gern, dass der Wirtschaftsminister faktisch am Tropf von CDU/CSU hängt. Gabriel ist ja ein echter Pferdeflüsterer, aber eben auch ein Bürgerversteher. Er weiß, dass er allein den Anstieg von CO2 in der Regierung nicht verhindern kann. Und wen hat er denn noch? Brandt ist tot, Helmut Schmidt schwächelt, und Ernst Ulrich von Weizsäcker will austreten.

Nein also, denn sonst verlieren wir und Deutschland in den nächsten 10, 15 Jahren unsere Konkurrenzfähigkeit. Ich sage nur russisches Gas! Nein auch zur linken Häme gegen Martin Schulz, unseren Hoffnungsträger und Chef der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, aus Eschweiler übrigens! Alle Jasager wussten doch schon lange vor der Stimmabgabe, dass es Jean-Claude-Juncker genauso wie Martin machen wird – und haben mit dieser Sicherheit eben erst gar nicht an den Wahlen teilgenommen.

Damit wir uns nicht missverstehen: Nein auch zum Fracking-Zwang, Genmais und Polizeiwannen, Privatisierung, Krieg und Kapitalismus.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Zwischen allen Toren

Zwischen allen Toren – Peter Grohmann's "Wettern" vom 25.6.2014

Natürlich dürfen bei den Spielen deutsche Fahnen gezeigt werden,

ob DDR-Fahne, Reichskriegsflagge oder eben das einfachere Schwarz-Rot-Geld. Das ist sich die Fifa seiner Demokratie schuldig. Klar, wenn jetzt jemand auf die Idee käme, ein Sinalco-Fähnele zu schwenken oder ein Boss-T-Shirt provokativ überzuziehen – das ginge der Fifa ihren offiziellen Partnern denn doch zu weit. Die FiFa hat dafür zu sorgen, dass kein einziges falsches Fernsehbild unzensiert ein Stadion verlassen kann. Nicht nur nackte Brüste und Ärsche (schade!) bleiben da außen vor, auch obszöne Gesten oder, viel schlimmer, Kritik an der Mafia im besonderen oder den Zuständen im Allgemeinen müssen werden beschnitten. Dass dennoch den Fans und einigen anderen Interessenten die Demonstrationen der Millionen gegen die Fifa und für den legalen Fußball nicht verborgen blieben, liegt an der freien Welt und der freien Presse. Das ist es, was wir den Negern und vielen andere Unterentwickelten voraus haben: Dieses tiefe Mitgefühl für Freiheit und Demokratie, zum Teil sogar für echte Menschenrechte. Nehmen wir nur mal Ghana, das uns jetzt nahesteht und das früher, als es den Menschen dort noch besser ging als heute, mehr oder weniger weiß war. Die reichen Rohstoffreserven wussten, wo sie hingehörten, und der Handel mit Gold und Elfenbein war ebenso lukrativ wie der Handel mit schwarzen Menschen. Das ist Gottlob vergessen, und nur ganz schwach erinnern sich heute multinationale Konzerne an die unvorstellbaren Erdöl- und Erdgasfelder an der Goldküste, an die immer noch nicht voll ausgebeuteten Vorkommen an Aluminium, Mangan und seltenen Steinen. Die meisten Schätze des Landes gehen, wie man gern sagt, nach Übersee, aber den Ghanaern bleiben, so will es das Gesetz, 10% der Erlöse. Da würden sich andere Ländern die Finger abschlecken. Na gut – es ist damit zu rechnen, das Ghana nicht Weltmeister wird, sondern wir. Dennoch muss man mit den Fouls vorsichtig sein, auch wenn die Zensur manches schönen kann.

Was ich sagen will: Wir sollten uns den Fussball nicht durch miesepetrige Kommentare versauen lassen! Wenn schon die deutschen Nationalspieler nur vor einer Reklamewand das sagen würfen, was sie nie denken, sollten wir einfachen Spieler ganz, ganz leise sein. Darauf ein Budweiser, würde meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt sagen und heimlich ihr Eibauer Schwarzbier knallen lassen. Prost.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Pest oder Präser?

Pest oder Präser? – Peter Grohmann's "Wettern" vom 18.6.2014

Mit tränernerstickter Stimme schildert ein Vertreter von Gen-Food und Co KG, wie in Asien oder Afrika die Kinder zu zehntausenden verhungern, weil die Umweltschützer den Einsatz von Pestiziden verhindern. Die starrsinnigen Grünlinge stehen jedem Fortschritt im Wege, klagt er, sie lassen sterben, während unsereins, Bayer und Monsanto, mit froher Botschaft für die unterernährten schwarzen Babys die und die ganze Welt vor dem Hungertod retten retten könnten. Aber man lässt sie ja nicht.

Im Rahmen des grassierenden Petitionismus haben in den letzten Monaten hunderttausende via Internet Druck auf nationale und internationale Parlamente gemacht, um den Gen-Food-Vormarsch aufzuhalten. Offenbar war’s aber doch nur Druckluft. So wie die Pestizide die fleißigen Bienchen orientierungslos machen, irren die Gläubigen der gelenkten Internetdemokratie durch die Netze, anstatt ihren Volksvertretern auch nur einmal richtig Feuer unterm Arsch zu machen.

Generalstabsmäßig und strategisch eingebunden über Gen-Mais-Stresstest und Bienen-Schlichtung, hofft man im Lande auf die günstigen Winde, die uns vor den bösen Pollen schützen. Denn die Winde kennen keine Grenzen, denen sind sogar Verordnungen oder Vorschriften der Europäischen Union egal.

Gerd Müller (nein, nicht der Ex-Fußballer und Bomber der Nation, sondern der Entwicklungsminister von der CSU, also der mit den Eigentoren) sorgt mit Initiativen wie der German Food Partnership oder der Neuen Allianz für Ernährungssicherung dafür, dass die großen Agrarkonzerne Bayer, BASF, Monsanto & Co. in Afrika satte Profite erwirtschaften können, während Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dort hinten ins Abseits gedrängt werden. Und kein Schiedsrichter auf dem Feld, keine Regel für’s Menschenrecht auf Nahrung.

Eine Chance, das ungewollte Wachstum von Pestiziden, Gen-Food und Menschheit aufzuhalten, wäre: Pille, Präser oder Aufklärung. Sicher ist sicher – und aller guten Dinge sind dreie, würd‘ da meine Omi Glimbzsch aus Zittau sagen und Lichtenberg zitieren: Man kann den Hintern schminken wie man will – ein ordentliches Gesicht wird nie daraus.

Peter Grohmann schreibt und spricht das Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Quotenluder

Liebe Tante SPD ... – Peter Grohmann's "Wettern" vom 4.6.2014

Liebe SPD, nu werd mir bloß kein Quotenluder, ich kenn genug von der Sorte! Als traditionsreiche Partei erinnerst du dich ja sicher noch an deine alten Freunde von der APO, die Außerparlamentarischen, die später (oft genug geschichtsvergessen) bei dir reihenweise auf- und abgestiegen sind. Aus dieser Zeit stammt ein Spruch mit Foto: Ein Haufen Sch … (Kacke) mittenmang auf der Titelseite der „Bild“-Zeitung und darunter die fröhliche Zeile: Millionen Fliegen können nicht irren. Wahr oder nicht, aber besser kann man die grassierende Quotensucht samt Klickfimmel nicht beschreiben.

Nicht dass ich dich besonders gern hätte, du einst so stolze Mutter der Arbeiterschaft! Dazu hast du zu oft gesündigt und uns hinters Licht geführt. Was für ein Trost, dass die anderen nicht besser, sondern eher schlimmer waren. Aber nun mal ganz unter uns: Bei der Demokratie machen bekanntlich immer weniger mit, Tendenz steigend. Und die, die mitmachen, sind auch nicht alles lupenreine Republikaner. Etliche wollen sogar die Demokratie ganz abschaffen und der SPD Berufsverbot geben. Ich würd da nicht so weit gehen, aber wer mitmacht, braucht nun mal die SPD für eine Mehrheit links von der Mitte, denn die Räterepublik lässt eher noch länger auf sich warten. Wenn die einst so stolzen Rosaroten mit langer, oft ehrenvoller Geschichte von einst 28 Mandaten (1972) im Stuttgarter Stadtrat 2014 bei 9 landen, dann sind nach Omi Glimbzsch in Zittau zwei Drittel der Felle den Bach runter.

Ich weiß ja – die Sehnsucht nach links hält sich in Grenzen, denn was da bei der SPD abgeht an Stimmen, kommt ja offenbar nirgends mehr an. Ein Naturwunder gewissermaßen. Sagen wir’s offen: Vielen ist die Demokratie inzwischen völlig Schnuppe, andere empören sich alternativlos, dritte fühlen sich verraten und verkauft, suchen einen neuen Führer (mit hohen Einschaltquoten) oder gieren parteiübergreifend nach Fußball oder der neuen S-Klasse. Bloß niemanden den Spaß verderben.

Schulz oder Juncker ist dir ja egal, da drehst du die Hand nicht um. Bei der Geheimniskrämerei ums Freihandelsabkommen hast du ebenso mitgestimmt wie gegen einen Untersuchungsausschuss. Welchen? Egal, du magst die einfach nicht, nicht in Berlin, nicht in Stuttgart. Das ließe sich fortsetzen, aber eins noch: So wie wir nun lange genug auf die Kennzeichnungspflicht für Polizisten im Lande gewartet haben, warten wir nun auf die Kennzeichnungspflicht für die SPD. Das wäre ein Anfang.

Peter Grohmann wettert jede Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
WWW – Was ist die Würde Wert

WWW-Was ist die Würde Wert – Peter Grohmann's "Wettern" vom 28.5.2014

„Biste erscht die Arbeit los, biste schnell die Würde los“, wusste meine Omi Glimbzsch aus Zittau. Sie hat zeitlebens nicht viel auf die feschen Sprüche und großen Worte gegeben und unterscheidet sich da kaum von den Daheimgebliebenen vom letzten Sonntag. Ob Schulz oder Junkers, Brüssel oder Straßburg, saure oder krumme Gurken – das geht den Leuten am Allerwertesten vorbei. In der Kommune nicht anders: Blau Weiss Rot, Schwarz Rot Geld: Wenn Du alles in einen Topf schmeißt und kräftig rührst, kommt’s unten oft Braun raus und fast immer Schwarz. Aus den demokratischen Fehltritten Land auf, Land zimmern sich die Leut‘ ihre eigene Farbenlehren. So lange die Parteien der Wählerschaft viele dumme Sprüche und keinerlei Denkarbeit zumuten, weil sie ihr das Denkvermögen absprechen, wird sich das kaum ändern.

Also, Parteien: Wenn die Hirnleistung zu wünschen übrig lässt, bleibt der Ausweg des Neurodopings als Kassenleistung. Es muss nicht immer gleich Haschmich sein.

In diesen Tagen feiern wir ja – feiern Sie mit!*) – den 65. Geburtstag unseres Grundgesetzes. Das war vielleicht eine Steissgeburt! Und mit ihr tausend tolle Versprechungen wie etwa diese hier, der Artikel 3 GG:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Oder nehmt den Artikel 10 – da lachen ja die Hühner! „(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Richtig Trost spendet den Armen und Daheimgebliebenen da schon eher der Artikel 12: (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Nu ja ja nu ne ne, was tun, wenn das dem Jobcenter zu Ohren kommt?

Der Artikel 16a klingt da fast poetisch: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Schon deshalb muss der politisch Verfolgte unter allen Umständen daran gehindert werden, jemals auf dem Boden des Grundgesetzes anzukommen. Denn wenn er erst mal in einem deutschen Lager ist, könnte er, theoretisch, auf den Artikel 1 GG pochen: „(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt,“ aber die treibt mit der Würde und mit Hilfe von Frontex, NSU, Hartz IV etc. pp. ganz schön Schindluder. Da tröstet mich auch meiner Omi Glimbzsch aus Zittau ihr Trost „Der liebe Gott sieht alles“ nicht – denn den interessieren solche Petitessen eher selten.

*) Georg Nüsslein (CSU) verlässt den Saal und diesen Text.

Peter Grohmann wettert jede Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.