Alle Beiträge von Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

Wettern
Platzpatronen

Platzpatronen – Peter Grohmanns "Wettern"

Am besten haben mir seinerzeit, als ich noch Pazifist war, Westernfilme gefallen. Zwei Männer, eiskalt, gehen aufeinander zu. Die Hände hängen locker über dem Revolvergriff – dann eine jähe, kaum wahrnehmbare Bewegung, zwei nahezu gleichzeitig fallende Schüsse, und einer der beiden geht zu Boden. Ich nicht.

Den Großen von heute hängen immer noch die Hände locker über den Griffen. Im Unterschied zu damals gehen heute alle zu Boden, wenn jemand die Nerven verliert. Die meisten Atomwaffen haben nicht die US-Amerikaner (etwa 8.000 Sprengsätze), sondern die Russen: 10.000 Sprengsätze, gefolgt von Frankreich mit 300, der Volksrepublik China (240), Großbritannien (225), Pakistan (110), Indien (100), Israel (80) und Nordkorea (10?). Weiß man’s? Das gilt für alle miteinander – ich trau den Brüdern nicht über den Weg. Gelagert und jederzeit gefechtsbereit gibt es zudem atomare Sprengsätze in Belgien, der Türkei, Italien und den Niederlanden. Doch wie schön die offizielle und verdummende Lesart: Deutschland besitzt keine Atomwaffen! Denn wir haben großzügigerweise darauf verzichtet, Atomwaffen zu entwickeln, zu bauen oder zu kaufen. Dass die amerikanische Armee in Deutschland auf dem Militärflughafen Büchel (in der Eifel bei Koblenz) 20 Atomwaffen gelagert hat? Die gehören den USA – und nur sie können über die Sprengköpfe verfügen. Das beruhigt. Denn wir haben ja notfalls Flugzeuge, die Atomwaffen transportieren und im Kriegsfall einsetzen können. Das muss allerdings wieder und immer wieder in Übungen mit Soldaten trainiert werden.

Hochrüstung? Die betrifft nicht nur die atomaren Waffen, sondern auch Raketen, Panzer, Flugzeuge, Kriegsschiffe und jene niedlichen Drohnen, auf die wir absolut scharf sind. Der fast ungehemmte Rüstungsexport sogenannter konventioneller Waffen hat das Vernichtungspotenzial vervielfacht, aber auch den Profit, was gern ungesagt bleibt. Die Millionen Kriegs- und Bürgerkriegsopfer seit 1945 sind durch konventionelle Waffen getötet worden, Zivilpersonen und Soldaten in gleicher Weise. Und Zigtausende Waffen sind inzwischen in die Hände machtideologisch verblendeter Personen geraten: 1000 Terroristen, und der eine oder andere von ihnen ist bereits an der Macht.

Die Bombe von Nagasaki wurde aus vier Gründen geworfen: Es war so beschlossen, man wusste nicht, wohin sonst damit, man wollte die Bombe testen und es waren nur Japs.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern
Kretschmann droht

Kretschmann droht – Peter Grohmanns "Wettern"

Haben Sie neulich auch gelesen, dass Winfried Kretschmann Schluss machen will? Unser Minischterpräsident? Eine leere Drohung, sagen Sie? Dass Sie sich mal nicht täuschen! Wenn er nicht mehr gewählt wird, hat er gesagt, tritt er nicht mehr an! Schon beleidigt, tät‘ meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt sagen.

Wenn er je eine Niederlage einheimsen sollte, wird er nicht mehr Ministerpräsident, meinte er sinngemäß. Mensch, wie soll man das denn auch machen – nicht gewählt zu werden und trotzdem Ministerpräsident zu werden? Ja Winfried, wo sind wir denn? Wir sind doch nicht mehr bei den Maoisten wie früher! Ich natürlich nicht – aber Du. Mal ganz unter uns: Gewählt ist gewählt und nicht gewählt ist nicht gewählt, da beißt die Maus keinen Faden ab! Da haben wir halt Pech. Wirr, Deine Wählerinnen und Wähler und Du und Deine Frau. Klar, wenn Du nicht mehr gewählt wirst, ist das ja schlimmer, als wenn ich nicht mehr gewählt werden würde. Der Vorteil bei mir liegt auf der Hand: Bei mir ginge dann das Abendland nicht unter, ich wäre faktisch auf der sicheren Seite. Aber Du! Na gut – Du könntest immerhin im ZK weitermachen, beim Zentralrat der Katholiken, mein‘ ich. Dieser Weg bleibt unsereins verschlossen. Und das wäre eine gute Wahl für Dich. Da ist man immer auf der richtigen Seite, egal, was kommt. Das gilt vor allem auch für später mal – ich sag’s mal so: Die richtige Seite ist, wenn man oben bleibt – oder eben nach oben kommt. Der einzige Trost: Über kurz oder lang müssen wir alle daran glauben.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern
Konstantinopel, 1453

Konstantinopel, 1453 – Peter Grohmanns "Wettern" vom 29.7.2015

Warum nicht gleich selbstfahrenden Gigaliner, Herr Hermann, wollte ich den grünen Verkehrsminister schon fragen, aber da fiel mir gerade noch rechtzeitig ein: Der Wahlkampf hat ja begonnen! mehr…

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Cuba Libre

Cuba Libre – Peter Grohmanns "Wettern" vom 22.7.2015

Unsereins wünscht sich ja weltweit lupenreine Demokraten, egal, was passiert. Nehmen wir Cuba. Dort muss man natürlich kräftig nachhelfen, bis aus normalen Menschen lupenreine Demokraten werden. In Guantanamo geht das nicht ohne Folter und Fußfesseln, aber eben im Namen von Freiheit und Demokratie: Statt kurzer Prozess gar kein Prozess. mehr…

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Schnauze!

Schnauze! – Peter Grohmanns "Wettern" vom 15.7.2015

Wie schön: Reporter ohne Grenzen verklagt den BND wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. Dass da kein Abgeordneter draufgekommen ist? mehr…

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Oxi

Oxi – Peter Grohmanns "Wettern" vom 8.7.2015

Das fällt uns Deutschen schwer: Oxi zu sagen und Oxi zu tragen. Dabei sind wir doch das Vaterland der Demokratie! Wir wissen, dass Wahlentscheidungen und Volksabstimmungen von den Verlierern zu akzeptieren sind – ob sie nun gefälscht, gefakt oder ganz einfach aus dem europäischen Himmel gefallen sind. mehr…

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Protest!

Protest! – Peter Grohmanns "Wettern" vom 1.7.2015

Wenn zum 6. Juli 2015 um 20 Uhr die sächsische Stadt Freital ins Stadtkulturhaus zur Einwohnerversammlung einlädt, dann will man unter sich bleiben, auch wenn Freital weltoffen ist, wie der Oberbürgermeister glaubt. Thema ist die Flut, also Asyl. Einlass erhalten aus gutem Grund und nach einer Ausweiskontrolle nur Freitaler Bürgerinnen und Bürger, Ton- und Filmaufnahmen sind nicht zugelassen. Selbst beim besten Willen könnten ja eh nicht alle kommen, denn der Kultursaal fasst mit Biegen und Brechen 650 Leute – bei rund 40000 Einwohnern reicht der eh‘ nicht. Aus der Beteiligung an den letzten freien Wahlen weiss man aber, dass die Bürgerbeteiligung so oder so unter 50 % liegt. Den Freitalern brennen die Flüchtlinge auf den Nägeln wie den Griechen der Euro: Fast 900 Ausländer sind schon da, weitere 250 drohen in Stadt mit ehedem sozialdemokratischem Profil einzufallen. Allein in den letzten beiden Jahren erhöhte sich der Ausländeranteil von 2,16 auf 2,33 %.

Das kann nicht gut gehen. Die Angsthasen unter den Freitalern, die schon ganz andere Hochwasser mit Gewinn überstanden haben, rieten den schwindenden deutschen Einwohnerschaft: „Kauft Euch Hunde, bringt Frauen und Kinder in Sicherheit!“ Aber wohin? Anderswo ist es noch weitaus schlimmer: In Meißen beträgt der Ausländeranteil weit über 3,5 % – dort wurde am letzten Wochenende vorsorglich ein Asylbewerber-Unterkunft angezündet – halt, halt, nicht so voreilig – das Haus war ja noch unbewohnt! Dagegen führte die öffentliche gestellte Frage, ob nicht „jemand auf den Tank vom Bus schießen“ kann, zu keinem Ermittlungsergebnis. Erstens hatte ja niemand auf den Tank geschossen und zweitens wurden auch eine Ermittlungen geführt. Vorsorglich wurde die Bewohner des Flüchtlingsheims allerdings wurden aufgefordert, die Fenster und Türen zu schließen – Fenster kennen die ja noch aus besseren Zeiten in Aleppo oder Damaskus, auch wenn die inzwischen längst ausgeschossen. Die paar Böller, da da flogen, können nicht mal Flüchtlingskinder schrecken. Und die könnten Ihnen Sachen erzählen – unglaublich! Aber wahr. Da hat’s meine Omi Glimbzsch in Zittau geradezu fürstlich: Ausländeranteil 1,37 %, Wessis und Studierende allerdings nicht mitgerechnet. „Glückliches Sachsen, nimm freundlich den Fremden mir auf“, wie Erich Honecker oft sang.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

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Franziskus will uns an Leder!

Franziskus will uns an Leder! – Peter Grohmanns "Wettern" vom 24.6.2015

Als 1827 Immanuel Kants Die Critik der reinen Vernunft von der katholischen Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde, konnten die Katholischen natürlich nicht ahnen, was ihnen fast 200 Jahre später mit Jorge Mario Bergoglio passieren würde: Zum Papst gewählt – und alles ging mit rechten Dingen zu, soweit bekannt. mehr…

Wettern
Die Feuerlöscher der Demokratie

Die Feuerlöscher der Demokratie – Grohmanns "Wettern" vom 17.6.2015

„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Als wir noch jung und hübsch waren, kannten wir die Antwort: Wir schrien lauthals „Nieeeeeemand“ und stürmten los. Denn der schwarze Mann ist der Rattenfänger. Beim immer noch beliebten Laufspiel in Schulen und Hinterhöfen warnt er aber ausdrücklich: „Und wenn er aber kommt?“ Die Antwort ist überzeugend: „Dann rennen wir davon!“ mehr…

Wettern
Geh sieben

Geh sieben – Peter Grohmanns "Wettern" vom 10.6.2015

Schloss Elmau! 360 Millionen Euro Kosten. Themen? Plastikmüll vermeiden, Kleinbauern-Versicherung groß und Griechenland kleinkriegen, Antibiotika beobachten, Demonstrationsrecht abschaffen. 2700 Journalistinnen schauen zu. 22 000 Beamten aller Waffengattungen sind vor Ort: Alles wird gut. mehr…

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O Gott

Oh Gott – Peter Grohmanns "Wettern" vom 3.6.2015

Der liebe Gott macht viel mit, wenn der Tag lang ist, auch mit seiner Kirche. Was hat er gewettert und gemahnt und Geduld gezeigt – nix zu machen. Die Kirche hat ihn nicht gehört. Heut auf den Tag genau vor 920 Jahren, am 3. Juni 1005, zogen die Christen von Konstantinopel nach Jerusalem und zeigten den Moslems, wo der Bartel den Moscht holt. mehr…

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Hegel

Subversives Nachdenken – Peter Grohmanns "Wettern" vom 27.5.2015

Abendrott, Arendt, Suttner, Luxemburg, Scholl, Merkel, Hegel, Herwegh, Schiller, Nietzsche, Kant, Goethe – soll ich wirklich weitermachen? Das ganze christliche Abendland versammeln, nur damit man mir nachweisen kann, wen ich alles vergessen habe? Unsere Toleranz geht so weit, dass wir sogar eine muslimischen Schützenkönig haben, in Werl. mehr…

Wettern
Restmüll

Restmüll – Peter Grohmanns "Wettern" vom 20.5.2015

Sturmgewehre miesmachen, Kampfdrohnen loben, Flüchtlingsboote abschießen, Libyen einnehmen, Weselsky abschieben: Meine Fresse, was denn noch alles? Griechenland – na klar, wie konnt‘ ich dette verjessen! mehr…

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Den 8. Mai feiern!

Den 8. Mai feiern! – Peter Grohmanns "Wettern" vom 6.5.2015

Nicht Achsen und Allianzen schmieden, sondern raus auf die Straßen und tanzen: Frieden lernen, dass die Fetzen fliegen! Den Tag des Sieges der anderen haben viele im Land so wenig verdaut wie die

Niederlage, die bedingungslose Kapitulation – nein, eben nicht die der Nazis, nicht der Hitlers, nicht der Wehrmacht, sondern der Deutschen.

Viele hätten lebend gern weitergekämpft mehr…

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Glück gehabt

Glück gehabt … – Peter Grohmanns "Wettern" vom 29.4.2015

haben jene 3113 Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts, die in diesen Tagen nach sieben Jahren gehört wurden. Sie erhielten eine freundliche, freilich abschlägige Antwort auf ihre Eingabe an den Petitionsausschuss des Bundestags. Man hat sie gehört, aber nicht erhört in ihrem impertinenten Wunsch, Stuttgart21 zu stoppen. Das wäre ja auch noch schöner! Alles Große und Gescheite, meinte Goethe, existiert nur in der Minorität, und die hat bekanntlich verloren. mehr…

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Übers Mittelmeer

Über's Mittelmeer – Peter Grohmanns "Wettern" vom 22.4.2015

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

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Jeder Schuss ein Russ

Jeder Schuss ein Russ – Peter Grohmanns "Wettern" vom 15.4.2015

Made in Germany – das war früher mal! Heute taugen selbst die Sturmgewehre von Heckler & Koch nicht mal mehr zum Taubenschießen. Heckler kocht vor Wut. Es kochen allerdings auch viele Friedensfreunde – Pazifisten reinsten Wasser, die für die Bundeswehr gefälligst einwandfreies Mordwerkzeug fordern – und weil das nicht klappt, einen Untersuchungsausschuss. Mit Fug und Recht, das Kroppzeug ist teuer genug, meint meine Omi Glimbzsch in Zittau. Dennoch ist es zum Gotterbarmen, noch vor dem Kirchentag! “Gott mit uns” – das stand doch Anno Dunnemal schon auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten, und neben Gott gab’s ja noch den Kaiser, den Führer, das Volk, das Vaterland. Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos: Aber es muss halt getroffen werden, Leute! Der zitierte Vers stammt von einer beliebten Postkarte aus dem Lande der Dichter und Denker war vor allem zur moralischen Stärkung der niederen Stände gedacht – in Auftrag gegeben von den oberen Ständen, die billig davonkamen mit einem blauen Augen als Sieger der Etappe wie immer.

Was nun die Zielgenauigkeit angeht – im Musterland der Demokratie liebt man die Knarre im Hause genauso wie die eigenen Kinder. Ohne die gezückte Smith und Wesson spaziert heute kein weißer Polizist mehr durch die Schwarzenviertel – und wetten? Er trifft immer jemanden. Bei der Waffe ist es eine Frage der Qualität, beim Waffenträger eine des Vertrauens in in die staatliche Autorität. Da kommt was zusammen, bevor das Jahr rum ist. 300? 500? 1000? Weißmanns?

Und was die Qualität angeht: Der Russe als solcher ist da nicht so zimperlich. Allein in drei Monaten des Jahres 2014 hat der Iwan 297 Warenpositionen aus der deutschen Bundesrepublik eingekauft, legal natürlich, mit schwarz-rotem Regierungsstempel. Pistolen, Revolver, Doppelflinten, Gewehre, Granaten, Munition und Geschosse – aber auch Waffenteile wie Läufe, Schäfte und Kolben. Es geht ja beim Kleinkrieg auch mal was kaputt, oder? Und wer hilft? Eben! Die Russische Föderation ist ein pünktlicher Zahler, weiß das Bundesfinanzministerium. Und sagt entschuldigend: Alles Sportwaffen, mehr oder weniger. Also genau die, die auch in der Ukraine eingesetzt werden, mangels größerer Kaliber. Ave Cäsar, die Scheinheiligen lassen grüßen.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern
Post scriptum

Post scriptum – Peter Grohmanns "Wettern" vom 8.4.2015

Wenn es morgen an meiner Tür klingelt, ist es nicht der Verfassungsschutz und auch nicht der Milchmann, sondern der Briefträger, der sich für seine Schweinereien entschuldigen will. Bei mir persönlich! Andernfalls wird sein Vertrag nicht verlängert, und dann sieht der Kerl alt aus! Warnstreik – dass ich nicht lache! Vierzig Stunden die Woche ordentlich Arbeit haben, Leute treffen, Schwätzchen machen, vielleicht zum Kaffee eingeladen werden – und dann Lohnerhöhung? Nee, nicht mit mir!

Briefträger an und für sich ist schöner Beruf, viel Bewegung, Kontakt mit netten Menschen, ein sicherer Arbeitsplatz bei der Post, möglicherweise sogar Beamter, wenn man sich gut führt, wie früher die Lokführer und ihr Alt-68-er Weselsky. Und heut? Da prügeln sich die Briefdienstleister vor der Haustür um den letzten Brief, das erste Paket: Der Briefträger siehst also jetzt schon alt aus. Aber er kann ja zwischen seinen Botengängen eben mal am Tafelladen vorbeischauen und den Schnee von gestern abholen oder in der Leonhardskirche seine Vesperpause machen, bevor er die Bußgeldbescheide zustellt. Merke: Viele Kommunen pfeifen schon lange auf die gute alte deutsche Post – sie lechzen nach minderbemittelten Sozialstaatsopfern, die die Briefe für fast umme austragen: 800 plus Kindergeld. Schon wieder gespart, freut sich der Kämmerer. Man spart beim Porto und legt beim Sozialen drauf. Mit dem Aufbau von 49 Regionalgesellschaften für die Paketzustellung flieht die Deutsche Post flugs aus dem bestehenden Haustarifvertrag und bricht den ebenfalls mit ver.di abgeschlossenen Vertrag zum Schutz vor Fremdvergabe in der Zustellung. Für diesen Schutz verzichten die Beschäftigten unter anderem auf Kurzpausen und arbeitsfreie Tage. Mit der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich soll der Vertragsbruch kompensiert werden. Keine Rede davon, dass der Postler quasi rund um die Uhr für seinen Dienstherren – die Zustellbasis – erreichbar sein muss, auch im Urlaub, „wg. Personalmangel“. Vielleicht hat sich ja wer aufgehängt aus Verzweiflung über prekäre Leben.

„Scheiß Privatisierung!“, seufzt mein Briefträger. Er hat sich’s auf meinem Sofa bequem gemacht, nippel am Espresso, drückt das zweite Stück Schwarzwälder Kirschtorte runter, wischt sich mit dem Handrücken über sein freches Maul und rülpst. „Hast Du vielleicht noch ein Schnäpsle, Kollege?“

„Pass bloß auf, sonst wirschte noch nach Tröglitz strafversetzt!“, rät ihm meine Omi Glimbzsch. Sie ist aus Zittau da, für ’n paar Tage.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

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Domina Vobiscum

Domina Vobiscum – Peter Grohmanns "Wettern" vom 1.4.2015

Allenthalben spendieren hilfsbereite Deutsche – Freunde des Asyls – den Negern in Deutschland Warnwesten. Der Schwarze an sich, denkt man sich, wird ja erst am Abend munter und könnte allzu leicht übersehen, sprich: überfahren werden, wenn er sich von seinem Lägerle entfernt und nicht rechts außen läuft. Am sichersten ist der Asylant allerdings in einem Auffanglager in Afrika. Er spart die Überfahrt. Deutsche Beamte können dann vor Ort am Rande der Sahel-Zone einen Quickie-Check machen: Muskeln mal Fettmasse, Gewicht mal Alter geteilt durch Größe, AIDS-Test, Sprachkenntnisse, Zustand der Glieder: Leute ohne haben so wenig Chancen wie Zahnlose – aber ausgebildete Zahnärzte werden durchgelassen. Vorher impfen und die Regeln beachten: Vor dem Essen – nach dem Essen Händewaschen nicht vergessen. Thomas de Maziere kennt die Regeln, und als Christ weiss er: Der Weg übers Wasser fiel nur dem Flüchtling Jesus leicht.

Ganz allgemein wird der gemeine Flüchtling als Feind der westlichen Wertegesellschaft angesehen: Er ist hinter unseren Weibern her, frisst dir die Haare vomKopf und hinter jedem könnt‘ ein vollausgebildeter Kindersoldat stecken, ein Hartz-IV-Tourist, der keine Skrupel kennt und nur aufs Kindergeld scharf ist, ein Drogendealer oder ein Sinti und Roma, verkleidet als Jugo. Und wenn er nicht mehr weiterkommt, beantragt er flugs Kirchenasyl, auch der Muselmann.

Im nahen Ausland ist die Situation nicht viel besser: Der Franzose fährt jetzt verstärkt rechts außen vor und hat seine Unschuld und sein Vertrauen in die herrschende Politik vollends verloren – und wird’s so schnell auch nicht wieder finden. Hier wie dort sinkt die Wahlbeteiligung. 50 % bleiben zu Hause, 50 % der Departements für die Linke futschikato. Ein Null-Summen-Spiel des Parlamentarismus. Helfen tät nur, direkt an der Wahlurne ein Begrüssungsgeld auszuzahlen. Aber unter einem Fuffi ist da nichts zu wollen, wüsste Omi Glimbzsch in Zittau.

Wir Deutschen wollen beliebt sein, notfalls bezahlen wir das, außer bei den Griechen, die müssen in die Knie. Angela Merkel als Domina Vobiscum, mit der die Angst grassiert, wir könnten wieder die sein, die wir sind. Am meisten Angst haben wir freilich, dass unsere Kinder drogenabhängig werden – da kann der Asylant nachhelfen. Fast jeder Dritte hat Angst vor Naturkatastrophen – da kannste eh nix machen – und 50 % fürchten, dass die Politker versagen. Das ist nicht ganz unbegründet, auch wenn immer nur die von der anderen Partei versagen.

Peter Grohmann schreibt sein Wettern der Woche für die Wochenzeitung Kontext – für lau.

Wettern der Woche
Verdammt lang her

Verdammt lang her – 30 Jahre Theaterhaus Stuttgart

Verdammt lang her, verdammt lang! Genauer gesagt: 30 Jahre. Hammern statt jammern, sagten wir uns – und machten einen Knopf dran an die Hoffnung. 30 Jahre Theaterhaus, und die Hoffnung hieß vorallem: Autonomie, also Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Eigensinn.

Leerstehende Fabrikhallen hatten es uns angetan – sie hatten allesamt einen größeren Charme als Turnhallen mit drohenden Hausmeistern, jene Unorte, die die unabhängigen Kulturschaffenden, die Musiker, Theatermacher, die Politischen mieten konnten für eigene Konzerte, Theater, Propaganda. Die Säle? Höchst vornehm meist, mit und ohne Stuck, livriert für die Sesselfurzer, Notlösungen unter Denkmalschutz. Da war ein Zeltspektakel am Karlsplatz sechs Wochen lang schon eine andere Nummer, Zirkusluft und Masse Mensch, ganz fröhlich-nachdenklich und scharf auf Alternatives. Da wehte plötzlich die Erkenntnis durch die Ränge, dass die Stadtgesellschaft nach einer anderen Art von Kultur geradezu lechzte, nach Frechheit und Freiheit und der Fortsetzung der wilden Achtundsechziger mit anderen Mitteln. Wir hatten, 1971, schon mit dem Festival „Zu Gast bei Gastarbeitern“ die größte Halle auf dem Killesberg heimgesucht und vollgemacht – später folgten von Gudrun und Werner Schretzmeier eben dort mit immer ausverkauften Solidaritätskonzerten für den Schorndorfer Club Manufaktur. Das Theaterhaus lag also vor mehr als 30 Jahren in der Luft. Luft. Luft.

Nach manchem Ach und Krach zogen Schretzmeier & Co KG – also wir – vor heute 30 Jahren ins Selbstgemachte und öffneten uns: Unter dem Argwohn des Stadtrats und dem Jubel der Szene luden wir zum ersten Wangener Hypotheken- und Wechselball in die Fabrikhallen. 14 000 Mark Miete, sagte mir der Schretzmeier – ich teilte durch 12. Alles, was unter 2000 Mark lag, macht mir bis heute keine schlaflose Nacht. „Der hat schon immer geträumt“, tät meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt sagen. Denn die 14 000 Mark waren nicht die Jahresmiete, sondern monatlich fällig. Kalt.

Der Anspruch der Szene, das Theaterhaus hätte die 68er-Revolution mit anderen Mitteln fortsetzen müssen, schwingt manchmal noch leise durch die Erinnerungskultur. Wir sollen frech sein und aufmüpfig und kritisch und politisch und aufklärerisch, na klar, zum Einheitslohn, zur Einheitsfront, und ihr werdet Beamte, Direktoren bei der Lufthansa, Staatssekretäre, ja Außenminister …

Die Rolle der Zirkusdirektoren steht uns allen gut. Dem Establishment laufen die Leute weg, uns laufen sie zu. Millionen.

Es war ein guter Deal, und kein Mensch darf je eine Verbeugung machen für Steuergelder, die in das Unternehmen Theaterhaus geflossen sind. Es steht uns zu, es steht euch zu. Aber ehrlich gesagt: Es ist zu wenig.

Glückwunsch, Theaterhaus! Küssle.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Mitbegründer des Stuttgarter Theaterhauses