Literaturhaus Stuttgart, Breitscheidstraße 4, 70174 Stuttgart
Veranstalter: Literaturhaus Stuttgart
Auftaktveranstaltung:
Freitag, um 19 Uhr mit Saša Stanišić.
Hochstapeln Zur »Letzten Lockerung« ruft der Dadaist Walter Serner in seinem berühmten Handbrevier von 1920 auf. Frei nach dem Motto »Die Welt will betrogen sein, gewiss« werden Täuschung und Inszenierung zur Maxime des mondänen Bürgers und die 591 Lockerungsübungen des Breviers zur Pflicht für alle »Hochstapler und solche, die es werden wollen«. Serners dadaistisches Spiel mit Schein und Sein ist von bestechender Aktualität, seine lustvoll entlarvende Gesellschaftskritik scheint mitten auf unsere Gegenwart zu zielen. Denn der Hochstapler, wie Serner ihn imaginiert, lässt nicht nur an literarische Figuren wie Felix Krull denken, sondern auch an Personen wie den »falschen Rockefeller«, der jüngst in den USA zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Gehört der eine als veritabler Vertreter seiner Zunft zu den Literaturklassikern des 20. Jahrhunderts, so scheint der andere Symptom einer Gegenwart, die Inszenierung und Täuschung zur Pflichtübung für alle erhebt.
Sie begegnen uns in schillernden Farben: Was sie vorgeben zu sein und was sie sind, dazwischen entsteht Raum – der oft kriminell, aber auch kreativ, subversiv, originell gefüllt wird. Bringt eine leistungsorientierte Gesellschaft, in der beruflicher wie privater Erfolg als höchstes Ziel gelten, auf besondere Weise Formen des Täuschens, des Inszenierens und des Bluffs hervor? Müssen heute alle bluffen, um überhaupt voran zu kommen auf der Karriereleiter zum Erfolg oder in der Erfüllung privater Wünsche? Angefangen von der Optimierung des eigenen Lebenslaufs im Bewerbungsverfahren bis hin zu falschen Identitäten, die eine erfolgreiche Fassade vortäuschen – die Spannweite der inszenierten Selbstoptimierung von der kleinen Lüge bis zum großen Verbrechen ist weit: Falsche Titel, berufliche Betrüger, Erbschleicher, falsche Ehegatten und fahrlässige Finanzjongleure – gerade im Netz lässt sich Identität beliebig inszenieren. Die neuen Medien bieten für jeden eine große Bühne für das Spiel mit dem Ich, für Camouflagen jeglicher Art.
Das Festival des Hochstapelns lädt SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und JournalistInnen ein und beleuchtet mit ihnen die Zwiespältigkeit und Doppelbödigkeit der Hochstapelei und Täuschung in Literatur, Kunst, Geschichte und Gegenwart.
Stapeln Sie mit uns hoch und seien Sie herzlich willkommen!
Verschlagwortet mit: Gesellschaft, Literatur