Nein, Ihr seid natürlich nicht gemeint, Gott bewahre, sondern wir! In den Sommern nach dem verlorenen Krieg (oder war’s eine Niederlage?) jagte uns meine Omi Glimbzsch morgens in aller Herrgottsfrühe aus den Federn: Kartoffelstoppeln! „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger. Klar, wenn wir die Bimmelbahn verpassten, war’s nix mehr mit der Spätlese. Vor allem wir, Flüchtlinge,
Aussiedler, Ausgebombte, Heimatvertriebene, aber wenigstens deutsch, kaperten die Dritte Klasse der Kleinbahn, fuhren zur übernächsten Station oder sogar bis Zittau und suchten die abgeernteten Felder der Bauern heim, begleitet von den mitleidig-verächtlichen Blicken der Eingeborenen.
Mal warn’s Gardoffln, andermal vielleicht Korn: Ährenlesen, sobald der Mähdrescher außer Sicht war. Es gab da noch nicht diese Vollautomaten, die über die Felder stänkern und gut programmiert die zu kleinen Früchte links liegen lassen. Nicht nur das: Sie erkennen und verachten komplett selbständig auch die grün gefärbte Kartoffel: Vorsicht, Solanin, giftig, im Gegensatz zu Chlorophyll, das Flüchtlinge gern essen.
Der Ernteautomat von heute wäre großzügig zu den Flüchtlingen von gestern. Nu gutt, der Mensch ist sein eigener Fraßfeind. Im übrigens kommt die Kartoffel aus Chile, bekannt durch den Chile-Putsch, teilweise auch aus Peru, bekannt durch die Ruinen.
Was beim Essen aber gern vergessen, ja verschluckt wird: Die Kartoffel als solche ist eine kulturelle Aneignung, egal ob als Kartoffelpuffer, gemeine Pommes frites, Kartoffelbrei oder leckere Bratkartoffel mit Zwiebeln und Speck vom schwäbisch-hällischen Landschwein aus dem Biohof Hubicek (auch nicht wirklich ein deutscher Name!). Denn die diversen Zubereitungsarten verstecken nur die Realität. Es gibt jedoch allerlei
hilfreiche Definitionen, was kulturelle Aneignung ist. Einig sind sich alle, dass es eine Handlung ist (in diesem Fall: Essen), „Dinge einer Kultur zu verwenden oder zu entnehmen, die nicht die eigene ist, vor allem ohne zu zeigen, dass man die Kultur verstanden hat oder sie respektiert.“ Dabei bleibt offen, wie dieses Verständnis und der Respekt zu zeigen sind.
Mahlzeit. Aber man müsste. Man sollte. Man könnte. Gerade In diesen Zeiten, meinte ein guter Freund, müsste man jetzt. Ganz dringend sollte man, meinte eine Kollegin. Wichtig wäre vor allem, dass man mal.
Aber wann endlich, fragte mich mein Zahnarzt. Wann? Ein engagierter Freund klagte schon vor Jahren, dass, wenn man damals schon hätte.
Eben. Auf zum Handgemenge: Rein oder raus?
Lusche Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter