Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! Der dort ruhig über die Straße geht, ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde, die in Not sind?
Was bis neulich noch weit weg war, ganz woanders, haust nun nebenan. Krieg. Allezeit war Krieg, von den „Unseren“ meist geflissentlich übersehen. Allezeit war Hunger, wurden 100.000 Tonnen Lebensmittel vernichtet, Tag für Tag. Allezeit gab es Hoffnung, dass sich die Mächtigen dem Druck der Völker beugen würden über kurz oder lang. Allezeit gab es die Alternativen der Vielen, Wege zur Gerechtigkeit und Solidarität, 1.000 Möglichkeiten des Teilens, Hoffnung auf andere Wege, Chancen, den Frieden zu hüten, die Waffen zu ächten. Aber allezeit sind da doch viele, die das Unentschuldbare entschuldigen oder erklären. Lassen sich Bomben auf Kinder erklären? Lässt sich der Finger am Atomsprengkopf wortreich erläutern mit den Sünden der Nato oder der alten Nomenklatura? Macht es einen Sinn, die Zensur in Russland mit der Presse-Einfalt bei uns zu entschuldigen?
In diesen Tagen gilt unsere Solidarität den Millionen Menschen, die sich mit dem Rucksäckl aufmachen, nicht ostwärts, was sie könnten, sondern westwärts. Es hilft nun nicht, mangelnde Fürsorge für jene zu beklagen, die in Moira im Elend vegetieren, die sich an den Zäunen Europas blutige Hände holen. Es hilft nichts, um die zehntausend Toten zu klagen, die wir, die Roten und die Grünen, die Schwarzen und Gelben, im Mittelmeer ertränkt haben. Es hilft nichts, um unsere Doppelstandards bei den Menschenrechten zu jammern, wenn wir nicht gleichzeitig und unmissverständlich NEIN sagen zu jedem Krieg. Was sich da an grüner, roter, an gelber und schwarzer Politik selbst bejubelt, ist von uns gezeugt, ist unser Kind, selbstgerecht und gut gefüttert von Wahl zu Wahl. Wir haben schon immer Lebensmittel ins Meer geworfen – und schon immer aus den Rettungsringen die Luft rausgelassen. Nun ist der Krieg bei uns angekommen. Wer gut hören kann, hört die Sirenen.
Geht an die Bahnhöfe und holt die Flüchtlinge ab oder bringt ihnen eine warme Suppe. Putin ist in Sicherheit, noch, muss keine Angst haben, anders als die Menschen in den dünnwandigen Kellern von Kiew. Angst haben die 1,2 Millionen Menschen in Russland, die einen Appell für den Frieden unterzeichnet haben. Angst haben die zehntausend russischen Kulturschaffenden und WissenschaftlerInnen, die Gesicht zeigen und morgen vielleicht geächtet, arbeitslos sind. Angst haben die DemonstrantInnen in Leningrad und Moskau.
Auch wir müssen Angst haben. Vor einem Weltkrieg. Vor Russenhass und Russenhetze, vor Atomkraftwerken unter Raketenbeschuss, vor Kriegsjubel für den Sieg, Angst vor dem Ende der Meinungsfreiheit, wo auch immer. Die Kriege der USA sind dabei so wenig vergessen wie die Kriege Russlands – und unsere.
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser. Ach, wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein. (Bertolt Brecht)
Heften Sie sich einen weißen Friedensbändel ans Revers wie die Frauen in Turin und Belarus und Havanna. Danke, dass Sie laut sind und für die weißen Fahnen!
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator von Bürgerprojekten.