Verleihung des FriedensPreises 2019 an Sea-Watch e. V.
Einführungsrede zur FriedensGala von Ebbe Kögel

Dankesrede von Ebbe Kögel (AnStifter-Vorstand) anlässlich der Verleihung des Stuttgarter FriedensPreises 2019 an Sea-Watch e. V. am 15. Dezember 2019 im Theaterhaus Stuttgart.

Liebe BesucherInnen der Friedensgala,

wo ich ein junger Mann gewesen bin, in meinem Heimatort Stetten im Remstal, habe ich meinem Großvater Ernst David Beurer, Jahrgang 1892, immer geholfen, wenn er im Wengert [Weinberg] geschafft hat.

Wenn wir dann so über den Zustand der Gesellschaft und über die Welt allgemein gesprochen haben, und über die modernen Dinge, die er nicht mehr versteht, hat er immer gesagt: „Woisch, diå Welt gôôd onder“ [Weißt du, die Welt geht unter].

Dann habe ich in meinem damaligen revolutionären Überschwang – wo ich noch glaubte, dass wir die Welt aus den Angeln heben können – immer gesagt: „Ach Opa, was vrzählsch denn dôô“. [Ach Opa, was erzählst du da].

Heute, 50 Jahre später, ertappe ich mich gelegentlich dabei, dieselben Gedanken zu haben wie mein Großvater.

Wenn wir unsere Welt betrachten, sehen wir, wie das neoliberale, kapitalistische Projekt sich anschickt, die gesamte Welt und die gesamte Menschheit zu unterjochen, neokolonial und neoimperial. America first – oder, die deutsche Version, die fröhliche Wiederauferstehung feiert: Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.

Dazu gehört die Sicherung unseres Wohlstandes und unserer Privilegien durch den Ausbau der Festung Europa – nicht mehr nur im Mittelmeer, auch in Vorderasien und inzwischen schon in der Sahara. Wo inzwischen mehr Flüchtlinge sterben wie im Mittelmeer.

Damit die politische Klasse – und die sie unterstützende (Rüstungs-) Industrie wieder „Kriegerles“ spielen können – deutsche Soldaten in aller Welt, zur Sicherung unserer Rohstoffinteressen und Handelswege – brauchen sie ein sicheres und ruhiges Hinterland.

Deshalb bauen sie den Überwachungsstaat immer weiter aus, führen neue Polizeigesetze ein – s’Ländle, wo schon lange kein Ländle mehr ist, ganz vorne dran. Mit der Kretschmannisierung und Strobelisierung unseres gesamten Lebens – privat und politisch. Und der Anbetung des neuen Götzen Digitalisierung.

Einer dieser Angriffe auf eine widerständige Zivilgesellschaft wird auch auf juristischem Wege geführt. Über die sogenannte Abgabenordnung, die steuertechnisch regelt, wer Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen kann. Ganz vorne dran – wen wundert es – natürlich wieder die Sozialdemokratie in Person des Finanzministers Scholz. Flankiert von CDU/CSU und AFD.

Was ist der Hintergrund? Die Parteien wollen ihr Monopol auf die politische Meinungsbildung behalten. Deshalb der Angriff auf alle Organisationen, die gemeinnützig sind und sich zu tagespolitischen Themen äußern: bei attac und campact waren sie schon erfolgreich, auch bei der VVN. Und zuletzt jetzt beim Demokratischen Zentrum in Ludwigsburg, dem im Oktober die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Ein Problem dabei ist, dass für Spenden keine Bescheinigung mehr ausgestellt werden kann, die die SpenderInnen steuermindernd geltend machen können. Teilweise noch schwerwiegender ist aber die Tatsache, dass Zuschüsse, die z.B. von der Aktion Mensch oder von Stiftungen für bestimmte Projekte gewährt werden, an den Status der Gemeinnützigkeit des Empfängers gekoppelt sind.

Auch die AnStifter sind da bedroht, die Allmende in Stetten, die Manufaktur in Schorndorf. Und viele andere Politik- und Kulturvereine, sowie andere zivilgesellschaftliche Organisationen, wie z.B. change.org, die diese Woche Post vom FA Berlin bekommen hat.

Gemeinnützig sind dagegen die Dt. Gesellschaft für Wehrtechnik e.V., ein Zusammenschluss der deutschen Kriegsindustrie. Und natürlich die Atlantikbrücke und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als neoliberale Propagandaorganisationen.

Doch wir lassen uns nicht mundtot machen. Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen haben wir die „Allianz Rechtssicherheit – Zivilgesellschaft ist gemeinnützig“ gegründet.

Und wir werden unsere zivilgesellschaftlichen politischen Aktivitäten fortsetzen. Zum Beispiel durch die Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises, den ihr jedes Jahr durch eure Spenden und eure Wahl ermöglicht. Dieses Jahr zum 17. Mal.

Noch ein Hinweis in eigener Sache:

Der Ruben Neugebauer, wo nachher im Namen von Sea-Watch den Preis entgegennehmen wird, ist heute nachmittag um 17 Uhr im Museumskeller in Stetten im Remstal, wo er dann auch ausführlich erzählen wird, wie er zu Sea-Watch gekommen ist und was sie so machen.

Herzlich willkommen bei unserer Friedensgala.

Fotos: Timo Kabel und Ali Carman