Dankesrede von Ruben Neugebauer anlässlich der Verleihung des Stuttgarter FriedensPreises 2019 an Sea-Watch e. V. am 15. Dezember 2019 im Theaterhaus Stuttgart.
Vielen Dank, dass ich hier heute sprechen & den Stuttgarter Friedenspreis entgegen nehmen darf, das ist mir wirklich eine große Ehre. Stellvertretend für alle, die sich mit uns einsetzen, für das Recht zu gehen und für das Recht zu bleiben.
Vielen Dank an die Anstifter und an alle, die sich nicht nur hier in Stuttgart, schon jetzt täglich für eine solidarische Gesellschaft der Vielen einsetzen.
Es ist ein großes Privileg für mich, heute hier her kommen zu dürfen – ohne Angst. Ich denke dabei an all jene, denen dieses Privileg nicht zuteil wird.
Ich denke an die kleine Roya, deren Körper, oder das was die Fische davon nach zwei Wochen im Wasser übrig gelassen hatten, meine Crew Anfang des Jahres vor Lesbos bergen musste, wo Sea-Watch die Organisation Refugee Rescue beim Betrieb eines Rettungsbootes unterstützt.
Das war kein schöner Anblick, aber ich möchte Euch diese Vorstellung auch nicht ersparen, denn Roya wurde nicht Opfer einer Naturkatastrophe, sondern einer politischen Entscheidung.
Das Boot war bei Nacht in die Felsen gekracht. Hätte es bei Tag und gutem Wetter übergesetzt, wäre auf der kurzen Strecke sehr wahrscheinlich nichts passiert.
Dass die Boote aber bei Nacht und häufig nicht bei den besten Wetterverhältnissen fahren hat einen einfachen Grund: Bei Tag und flacher See ist es für die Schergen der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex ein Leichtes, die Boote vor Überschreiten der Seegrenze aufzuspüren.
Mit welchem Recht nehmen wir es uns heraus, diesem jungen Mädchen sichere und legale Routen zu verweigern – mit welchem Recht?
Die Idee zu Sea-Watch entstand vor 5 Jahren am Jahrestag des Mauerfalls, aus dem Unverständnis darüber, wie dem Unrecht an der Mauer gedacht & gleichzeitig um Europa eine neue noch viel tödlichere Mauer hochgezogen werden kann.
Eine Freundin aus dem Kosovo, die mit 22 Jahren damals bereits mehr europäische Fremdsprachen sprach, als sie Aufenthaltsgenehmigungen für EU-Länder bekommen hätte, hat es mal ganz gut auf dem Punkt gebracht. Sie sagte mit Blick auf den Passport Index, auf dem Deutschland ganz oben steht: I simply don´t understand this, your country has invaded the world twice and you can still go everywhere.
Afghanistan von wo die 9 jährige Roya fliehen musste, belegt auf diesem Index den letzten Platz, wer von dort fliehen muss riskiert sein Leben.
Die Zeit Redakteurin Mariam Lau hat mir in „oder soll man es lassen,“ ein kompromissloses Verständnis von Menschenrechten vorgeworfen. Aber was denn auch sonst, die heissen nicht umsonst unveräußerlich.
Nie wieder, dürfen wir einen Unterschied in der Wertigkeit von Menschenleben zulassen, das ist die zentrale Lehre aus Auschwitz, doch genau das passiert gerade. Der Passport Index ist ein Gradmesser dafür wie viel ein Menschenleben derzeit wert ist.
Der Unterschied den der Pass macht ist dafür verantwortlich dass ich hier stehen und einen Preis entgegennehmen kann und Roya tot ist – und der Grund dafür heisst Rassismus.
Wir haben einen Außenminister, der vorgibt „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen zu sein, der aber nicht mit der Wimper zuckt, Menschen von der sogenannten Libyschen Küstenwache in Lager verschleppen zu lassen, die sein eigener Auswärtiger Dienst mit KZs verglichen hat.
Das ist Neoliberalismus im Endstadium: Selbst Menschenrechtsverletzungen, die die Deutsche Marine niemals begehen könnte werden einfach an Libysche Milizen outgesourced. Und das passiert täglich selbst aus der Maltesischen Rettungszone, Frontex koordiniert das, alle wissen Bescheid!
Der staatliche Rassismus den wir heute erleben schiesst nicht mehr selbst, er agiert perfider, hüllt sich in Sachzwänge, sichert sich juristisch ab, und er möchte Fluchtursachen bekämpfen. Er will der AFD den Wind aus den Segeln nehmen.
Und diejenigen die sich tatsächlich an internationales Recht halten werden kriminalisiert. Mein Freund Salam Aldeen wurde am Dienstag in Griechenland erneut verhaftet.
Salam, Sarah, Caro, Pia, die Namen kennt man aber die Kriminalisierung von Flucht betrifft viel mehr Menschen & meist sind es Geflüchtete selbst, die die staatliche Willkür trifft und die oft keine Lobby haben. Nour zum Beispiel, der seit Monaten sitzt, nur weil er einen Notruf abgesetzt hat, oder die 3 Jungs von der El Hiblu, zwei davon minderjährig, die in Malta in Einzelhaft schmorten, bis wir die Kaution bezahlt haben.
Das alles passiert im Übrigen in einer Zeit, in der Cum-Ex Millionenbetrüger aus Personalmangel nicht verfolgt werden. Was in und um Europa passiert, hat mit Rechtsstaatlichkeit oft nichts mehr zu tun, deswegen fordern wir mit aller Deutlichkeit ein Ende der Kriminalisierung von Flucht und Freiheit für Salam, Nour und alle anderen!
Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht die Würde des Deutschen. Sea-Watch ist ja im Grunde stock konservativ, denn eigentlich fordern wir nichts weiter als dass Normen, auf die man sich nach dem zweiten Weltkrieg aus gutem Grund geeinigt hat konsequent umgesetzt werden. Wer das für verhandelbar hält, der hat den Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung verlassen und das sind so einige in unseren Regierungen.
Dennoch bin ich optimistisch: Die rassistische Achse Salvini, Strache, Seehofer ist im letzten Jahr zerbrochen auch wegen dem massiven Druck aus der Zivilgesellschaft und in Deutschland gibt es Mehrheiten FÜR Seenotrettung. Wenn Regierungen versagen müssen wir das halt selbst in die Hand nehmen.
Über 100 Städte gibt es mittlerweile, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben, die Menschen aufnehmen wollen – und vllt schliesst sich ja auch Stuttgart noch an.
Und ich bin auch deshalb so zuversichtlich, weil die nächste Generation längst begriffen hat, dass es kein „weiter so“ geben kann und dass der Kampf für eine solidarische Gesellschaft intersektional sein muss. „Es geht immer um das gute Leben für alle und das Hinterfragen von Macht und diskriminierenden Strukturen, es sind patriarchale, rassistische und kolonialistische Strukturen, die die Klimakrise ermöglichen,“ schreibt Carla Reemtsma von Fridays for Future – das sind die, die als einzige hier glaubwürdig Fluchtursachen bekämpfen und die gemeinsam mit unserer Kapitänin Carola Rackete eine Arbeitsgruppe zu Klima & Migration gegründet haben. Ich bin mir sicher, dass unsere Gesellschaft eine bessere wird, wenn alte weisse Männer wie Donald Trump und Winfried Kretschmann von Carla und ihren Freund*innen abgelöst werden.
Aber bis dahin werden wir wohl weiter Seenotrettung betreiben müssen. Und deshalb sind wir so dankbar für Eure Unterstützung. Wir werden uns selbstverständlich nicht unterkriegen lassen, ich komme gerade direkt aus der Bretagne. Mit unserer Kapitänin Pia Klemp haben wir dort ein neues Schiff Probe gefahren. Wir machen weiter, auch weil Ihr und so viele hinter uns stehen und gemeinsam werden wir uns eine solidarische Gesellschaft erkämpfen hier in Stuttgart und auf dem Mittelmeer, vielen Dank.
Fotos: Timo Kabel und Ali Carman