Buchbesprechung
HANDELN STATT HOFFEN von Carola Rackete

Verlag: Droemer HC, Droemer eBook
176 Seiten
ISBN: 978-3-426-27826-0 (Gebundene Ausgabe – 16 Euro)
ISBN: 978-3-426-45897-6 (E-Book – 12 Euro)

„HANDELN STATT HOFFEN“ – ein Aufruf

Das Schicksal der Menschen, die im Mittelmeer auf Rettung hoffen, liefert immer wieder Bilder und Schlagzeilen, löst Anteilnahme aus, erzeugt Diskussionen, die sich nicht selten im Kreis drehen. Auf der politischen Bühne steht die „Flüchtlingskrise“ auf dem Spielplan, Lösungen werden selten geboten.

So sehr es richtig und gut ist, menschliches Mitgefühl zu zeigen, den Hilfsorganisationen Geld zu überweisen – die Ursachen zu bekämpfen, damit Menschen ihr Leben erst gar nicht unsicheren Schlauchbooten anzuvertrauen, das muss das eigentliche Ziel sein. Dazu müssen die politisch Mächtigen gedrängt werden. Dafür reicht es nicht auf deren Einsicht zu hoffen – wir alle müssen handeln.

Dafür kommt Carola Racketes Buch „HANDELN STATT HOFFEN – Aufruf an die letzte Generation“ zur rechten Zeit. Als Kapitän der Sea Watch 3 schildert Carola Rackete in nüchterner Sprache ihre und der Schiffsbesatzung Arbeit im Mittelmeer. Dieser sachliche Berichtston wirkt deshalb um so nachhaltiger auf Leserin und Leser. Diese Art der Berichterstattung macht das Buch bereits lesenswert.

Warum dieses Buch aber hauptsächlich zu empfehlen ist: Carola Rackete bleibt bei der Reportage zur Lage nicht stehen. Sie geht ebenso nüchtern der entscheidenden Frage nach, warum „Menschen ihr Leben Booten“ anvertrauen. Ihre Analyse ist kurz und klar:

Carola Rackete traf als Kapitän der Sea-Watch 3 die mutige Entscheidung,  sich über das Verbot des italienischen In­nenministeriums hinwegzusetzen, und brachte 40 aus dem Mittelmeer gerettete Menschen in den sicheren  Hafen von Lampedusa. So wurde sie über Nacht weltweit bekannt – und zum Vorbild für alle, die nicht länger zusehen wollen, wie die Rettung von Menschenleben systematisch verhindert wird.

„Wenn es um Bootsflüchtlinge geht, müssen wir zuerst über globale Ungerechtigkeit reden: Der Wohlstand weniger Länder, multinationaler Unternehmen und reicher Personen basiert auf der Arbeitsleistung und den Bodenschätzen armer Länder. … Die Industrienationen in Europa … tragen an Bürgerkriegen und wirtschaftlicher Not, an Ausbeutung und Misshandlung eine hohe Mitverantwortung – mehr noch, sie verdienen daran.“

Und Rackete zieht daraus den Schluss: „Solange dieses Wirtschaftssystem weiter so massive soziale Ungleichheit erzeugt und die Natur in fast allen Gegenden der Erde ausgebeutet wird, werden Menschen ihr Leben Booten anvertrauen. … Und darum ist es keine ‚Flüchtlingskrise‘. Es ist eine Krise der globalen Gerechtigkeit.“

Nicht Halbwahrheiten führt Rackete an, um ihren Appell zum Handeln zu untermauern, sie legt den Kern offen: „Zu sagen, dass sich der einzelne Mensch aufgrund seiner Konsumentscheidungen schuldig mache, lenkt vom eigentlichen Problem ab: Das System, in dem wir leben, ist falsch. … Die Mechanismen des Wachstums und auch die falsche Reaktion der Politik darauf haben uns durch die Ausbeutung von Menschen und Umwelt erst in die aktuelle Krise geführt.“

Diese Krise ausführlich beschreiben will Rackete nicht. Sie will zum Handeln für ein besseres Leben aufrufen: eben Handeln statt hoffen. Nach ihrer Einschätzung schließt sich das Zeitfenster immer mehr. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Und deshalb: „Wir müssen anfangen, eine bessere Geschichte zu erzählen über die Zukunft, die wir erreichen wollen. … Wir müssen überlegen, welche Gesellschaft wir sein könnten. Von einer Zukunft erzählen, die so lebenswert und schön ist, dass andere auch dorthin wollen, und den Wunsch auslöst, diese Welt mitzugestalten. Erst dann wird aus scheinbarem Verzicht Gewinn.“

Carola Rackete weiß, dass Appelle allein nicht genügen, um Veränderungen zu erreichen. Deshalb fordert sie auf zum Handeln: „Wir leben in Zeiten, in denen die Ordnung, die wir haben, falsch und zerstörerisch ist. Sie muss gestört werden, weil sonst Menschen sterben. … Und weil wir nicht hinnehmen können, dass das System dazu führt, dass die Menschheit im Namen der Ordnung bestohlen, belogen und unterdrückt wird. … Der zivile Gehorsam ist das Problem, nicht der zivile Ungehorsam. – Lasst uns handeln, statt zu hoffen.“

Hermann Zoller

Autorinnen- Fotos: Ruben Neugebauer und Till M. Egen