21. Juli 2017
Für Barbara Simons
1937 – 2017
Liebe Kinder,
ja, an Euch, die Kinder, will ich mich zuerst wenden.
Denn Ihr seid es ja, die Erinnerungen an Barbara Simons
am längsten mittragen werden, weit in die Zukunft hinein,
auch dann noch, wenn die Blumen von heute längst verblüht sind.
Es sind die wiederkehrenden Erinnerungen
an eine Frau, die sich weit aus den Fenstern der Gesellschaft heraus gelehnt hat,
weiter als andere Frauen und viel, viel weiter als manche Männer,
denen ihre Themen manchmal peinlich waren.
Neue Frauen braucht das Land,
Kinder, die sich erinnern, an solche wie sie,
und Menschen, die diese Erinnerungen in die Zukunft tragen.
Denn es ist doch der dauerhafte Blick, der heute fehlt,
die Erinnerung an übermorgen,
die Erinnerung an knifflige Fragen und nachdenkliche Antworten,
an blühenden Blumen in den Gärten,
aber auch an den eigentümlichen Geruch von 21 Baustellen,
an verwegene Standpunkte und Standorte.
Denn es sind eben nicht die schnellen Antworten
der Herrschenden, die überzeugen,
sondern die tiefen Fragen der Leidenden, der Schmerztragenden,
die Fragen der Frauen und Kinder,
der Unterdrückten.
Vieles, was wir Älteren heute tun,
möchten wir gern für Euch tun, die Kinder unserer Zeit.
Aber wenn wir ehrlich sind, zweifeln wir daran, dass es uns gelingt.
Denn was wird übrig sein von unseren Versprechungen
an Euch in tausend und tausend Jahren? Oder übermorgen:
Was für eine Welt?
Wir würden Euch, wenn wir einst gehen müssen,
mit Freuden eine Welt hinterlassen,
in der alle Menschen satt werden,
in der niemand Angst haben muss,
eine Welt, in der die Kinder gesund und munter aufwachsen,
in der sie lernen können und fröhlich sind.
Dafür hat Barbara Simons gekämpft,
dazu hat sie andere angestiftet.
Die Ausdauer ist das eine, der Zweifel das andere,
die Freude das Dritte.
Zweifel, ob wir auch alles recht machen, was tausend Jahre währte.
Zweifel, ob es ausreicht, was wir tun
Zweifel an Methoden, an Wissen, an Ausdauer.
Und die Einsicht, dass man es nicht allen recht machen soll.
Zweifel an den Obrigkeiten,
an den zu großen Gewissheiten.
Aber keinen Zweifel, dass man den Streit nicht scheuen darf.
Jeder Mensch, sagte sie uns, muss Einfluss nehmen,
sich zu Wort melden, und keiner hat das Recht,
zu gehorchen, wie Hannah Arendt sagte.
Wer seine Sache nicht selbst in die Hand nimmt,
muss damit rechnen, dass andere ihr eigenes Süppchen kochen.
Beim Streiten dürfen wir nicht verletzen.
Es geht nicht um die großen Paukenschläge des Besserwissens,
es geht um die leisen Tönen,
nicht um die Trommelwirbel dieser Zeit.
Es ist die Mehrstimmigkeit, die Lebensprinzip sein kann.
Genau hinzuhören, um die feinen Unterschiede zu erkennen:
das Komplexe eines Themas und seine Variationen.
Wer verbittert ist beim HInhören,
wer mit schnellen Worten schreit und um sich wirft,
wird nicht erkennen, was uns Freude macht:
Menschen wie Barbara Simons,
ihre Buntheit, der Einfalt im Lande zum Trotze!
Ein Lob der Vielfalt.
Und da wird Barbara Simons unser Denkmal sein,
die Deserteurin gegen Dummheit und Intoleranz.
Das Leben ist schön,
aber man muss es selbst in die Hand nehmen.
Peter Grohmann
für Die AnStifter
Bürgerprojekte gegen Gewalt und Vergessen