Wolfgang Schorlau über seinen neuen Thriller „Der große Plan“ Dengler unter den Griechen
Von Roland Müller 21. Juli 2017 – 14:32 Uhr
Unter den Krimi-Autoren der Republik ist er der politischste: Acht Romane mit dem Ermittler Georg Dengler hat der in Stuttgart lebende Bestsellerautor Wolfgang Schorlau bisher geschrieben. Im November erscheint sein neunter: „Der große Plan“ untersucht die Griechenlandkrise.
Stuttgart – Unter den Krimi-Autoren der Republik ist er der politischste: Sein Privatdetektiv Georg Dengler geht den Machenschaften von Geheimdiensten und Neo-Nazis, Militärs und Konzernen nach. Acht Dengler-Romane mit einer Gesamtauflage von fast zwei Millionen Exemplaren hat der in Stuttgart lebende Wolfgang Schorlau bisher geschrieben. Mit dem im November erscheinenden neuen Thriller will der 66-jährige Bestsellerautor die Erfolgsserie fortsetzen: Im „großen Plan“ lässt er Dengler nach Athen, in die Welt der Troika und der internationalen Finanzpolitik reisen.
Herr Schorlau, wie kommt Ihr in Stuttgart lebender Privatdetektiv dazu, Ermittlungen im Fall Griechenland aufzunehmen?
Georg Dengler erhält einen Auftrag vom Auswärtigen Amt: Eine Mitarbeiterin ist verschwunden. Sie hatte eine hohe Funktion im Stab der Troika, der Institution, die über die Finanzhilfen für Griechenland entscheidet. Ich wollte wissen, auf welchen Konten die vielen Milliarden der „Griechenlandhilfe“ letztlich gelandet sind. Mir fiel auf, dass man dazu trotz überbordender Berichterstattung nichts erfuhr. So machten wir uns beide an die Arbeit. Georg Dengler ist gut im Suchen und Finden von Personen. Er hat schon in der Pharmaindustrie, in der Fleischindustrie, in multinationalen Konzernen ermittelt . . .
. . . und ist dabei zuverlässig auf Verschwörungen gestoßen.
(lacht) Ja, ja, weil Dengler bei seinen Ermittlungen immer hinter die Kulissen schaut, wird mir hin und wieder der Vorwurf der Verschwörungstheorie gemacht.
Wie gehen Sie damit um?
Meine Erfahrung ist: Diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, mögen Denglers Blick hinter die Kulissen nicht sonderlich. Aber ich halte es mit Friedrich Dürrenmatt: Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Bei der „Schützenden Hand“, dem Roman über den NSU-Komplex, interpretierte ich die offiziellen Fakten in der fatalsten Version, die ich mir vorstellen konnte: dass der Verfassungsschutz den terroristischen Rechtsradikalismus weitgehend finanziert, organisiert und steuert. Verblüffenderweise stellte sich heraus, dass die katastrophalste Deutung die wahrscheinlichste ist. Immerhin kann Dengler häufig sehr gründlich nachweisen, dass die offiziellen Geschichten, die uns erzählt werden, falsch sind. Das ist auch bei seinem neuen Fall so. Er stößt tatsächlich wieder auf einen Komplex aus Wirtschaft, Politik und Verbrechen. In Athen, Berlin und auch in Stuttgart dringt er ins Dickicht der Griechenlandkrise ein, die sich ihm letztlich als Bankenkrise darstellt. Um auf die Spur der vermissten Frau zu kommen, muss er diese Krise verstehen . . .
. . . und der Leser den Romantitel vermutlich ernst nehmen: „Der große Plan“ – wer hat da was und wozu geplant?
Schauen Sie: wenn Sie mir Geld leihen, obwohl Sie wissen, dass ich pleite bin, tragen Sie dann nicht auch Verantwortung, wenn ihr Investment in mich verloren geht? Tatsächlich haben Banken und institutionelle Anleger – reiche Privatleute, Versicherungen und so weiter – griechische Anleihen wegen ihrer hohen Verzinsung gekauft, in der Hoffnung, dass bei einer griechischen Zahlungsunfähigkeit der europäische Steuerzahler einspringt. Genau das ist geschehen. Die Europäische Zentralbank kaufte ihnen die Anleihen zum vollen Wert ab, obwohl sie de facto nur noch einen Bruchteil davon wert waren. Mit Ihrem Geld, mit meinem und dem der Leser dieses Interviews. Nun schuldet Griechenland das Geld nicht mehr privaten, sondern öffentlichen Einrichtungen. Diese Entschuldung von Privaten wurde uns als Hilfe für Griechenland verkauft, verbunden mit einer ziemlich üblen Kampagne, die uns einen Sündenbock präsentierte: Die Griechen seien faul und unzuverlässig. Ein ökonomisches Strukturproblem wurde in die Charakterschwäche eines Volkes umgedeutet. Unser Zorn sollte sich auf die griechische Bevölkerung richten und nicht auf die tatsächlichen Nutznießer des großen Plans: Bis heute glaubt die Öffentlichkeit, das Geld sei in den griechischen Staatshaushalt geflossen.[…]
(Die AnStifter werden das Buch vorstellen)
Der für die Stuttgarter Zeitung als Theaterkritiker arbeitende Redakteur Roland Müller interviewte am 21. Juli 2017 den Krimi-Autor Wolfgang Schorlau. Dieses Interview beginnt er mit den Worten: „Unter den Krimi-Autoren der Republik ist er der politischste“. Mal abgesehen davon, ob es sinnvoll ist, „politisch“ zu steigern (aber das sei der Zeitungsschreibe mit Effekthascherei nachgesehen), so kann man auf jeden Fall von diesem Urteil nicht ableiten, dass er die besten politischen Krimis schreibt. Anfänglich sehr holperig geschrieben (die ersten Bände seiner Dengler-Reihe), hat sich Wolfgang Schorlau freigeschrieben, um mit dem letzten Krimi eine Form zu wählen, die weder Krimi noch Sachbuch ist, was dem Roman „Die schützende Hand“ nicht gut getan hat. Die literarische Bearbeitung des Themas rechtsextremistischer Terror ist Oliver Bottini besser in seinem Roman „Im weißen Kreis“ gelungen als Wolfgang Schorlau mit seiner Dokufiktion, sowohl vom erzählerischen Ansatz her als auch von der literarischen Qualität.
Die Qualität des neuen Romans von Schorlau wird man an dem Krimi des griechischen Schriftsteller Petros Markaris „Faule Kredite: Ein Fall für Kostas Charitos“ messen können, der darin auch das Thema der Troika behandelt hat.
Die Vertriebsstrategie des Verlages Kiepenheuer & Witsch ist äußert ärgerlich: Hatten der Verlag die ersten Bände der Denglerromane noch als Taschenbücher veröffentlicht, so sind sie seit „Die schützende Hand“ dazu übergegangen, sie als Klappenbroschur zu veröffentlichen, zu einem 50% höheren Preis als das Taschenbuch ohne einen wirklichen Mehrwehrt damit zu bieten. Verständlich wäre eine gebundene Ausgabe. Diese würde auch den höheren Preis rechtfertigen. Eine Ausgabe als Klappenbroschur unterscheidet sich nicht substanziell von einer Taschenbuchausgabe.
In seinen Büchern geht nicht um die Überwindung des System, es geht um Beschreibung abartiger Auswüchse dieses Systems. Massentierhaltung, Pharmaindustrie, Privatisierung von Wasser. Das Attentat auf dem Oktoberfest von 1980 thematisierte auch schon die Frage nach der Verbindung zwischen Staat und Rechtsterrorismus: Schorlau traf und trifft ins Schwarze. Literatur mit politischem Anliegen ist ein komplexes Feld – sie hat Neider und Besserwisser, aber sie hat selten nur erfolgreiche Aufklärer, die den Obrigkeiten und der Zeit auf der Spur bleiben und das düstere, aber reale Bild des Staates malen. Der Begriff „literarischer Ermittlung“ speist sich aus der gleichen Quelle wie der Erfolg der politischen Satire als Fernsehformat in den USA oder (heute show, Böhmermann, Pelzig, Die Anstalt). Unterm Strich gelungene Aufklärung, hinter der die meisten Medien, Parteien etcpp weit zurückbleiben. Schorlau gelingt es wie kaum einem anderen, zB. den NSU-Terror so zu erzählen, dass auch der Laie angesichts der vielen Details nicht verzweifelt, sondern zu zweifeln beginnt. Der erste Schritt nach dem Glauben. Ab November übernimmt der AnStifter die Poetik-Dozentur an der Universität Tübingen.