Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte das polnische Justizreformvorhaben im Spiegel mit der Bemerkung: „Wir können in der Welt nicht Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen und unsere eigenen Standards nicht beachten“. Die twitterbekannte Rechtswissenschaftlerin Barbara Brandner meinte dagegen: „Wer Polen wegen der Justizreform kritisiert, sollte sich das deutsche Richterwahlrecht genauer ansehen.“
Ein zentraler Punkt der Kritik an der geplanten polnischen Regelung ist nämlich, dass der Sejm zukünftig über die personelle Bestückung eines Landesrichterrats entscheiden soll, der Richter ernennt. Damit, so die Kritiker, entscheide das Parlament indirekt auch über Richterposten, was ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei. Bezüglich der Sauberkeit dieser Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind auch die geltenden deutschen Regelungen angreifbar: Über die Vorsitzenden der Bundesgerichte entscheiden beispielsweise Bundesministerien – und die Verfassungsrichter werden nach Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes „je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt.“
Da der Bundestag dieses Recht an einen Wahlausschuss weiterreichte, der mit Zweidrittelmehrheit beschließt, entscheiden nur acht Personen. Faktisch können das den Parteihierarchien wegen sogar lediglich die Führer der beiden großen Volksparteien sein. Oder eine Kanzlerin, die eine Große Koalition anführt. Es ist auch möglich, dass sich eine Partei bei Koalitionsverhandlungen das Recht sichert, einen Richterkandidaten ihrer Wahl zu nominieren (vgl. Wenig transparent und der Bedeutung unangemessen). Juristische Kommentare halten diese Situation zum Teil für verfassungswidrig und fordern öffentlichen Anhörungen der Kandidaten, wie es sie beispielsweise in den USA gibt. Ob Verfassungsrichter wie die umstrittene Susanne Baer nach solchen Anhörungen problemlos an ihre Posten gelangt wären, ist zumindest zweifelhaft.