Die Söhne Mannheims „Marionetten“: Text und Interpretation (Münchner Merkur, 9.5.17)
Xavier Naidoo äußert sich mit dem Songtext kritisch gegenüber der politischen Elite, das ist kaum zu überhören – und natürlich legitim. Liest man den Text genauer und beschäftigt sich mit dem darin verwendeten Vokabular, geben allerdings rechtspopulistische Tendenzen zu denken:
„Wie lange noch wollt ihr Marionetten sein; Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter; Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein; Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“, singt Xavier Naidoo in seinem neuen Song „Marionetten“.
Ohne Hintergrundinformationen wird aus der ersten Strophe von „Marionetten“ noch nicht deutlich, was mit dem Liedtext gemeint ist: Wer sind die Marionetten, wer die Steigbügelhalter?
Indirekt könnte diese harmlos wirkenden Passage jedoch ein altes antijüdisches Vorurteil enthalten – darauf weist unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung hin. Das Bild des jüdischen „Puppenspielers“, der die Fäden im Hintergrund zieht, ist schließlich ein bekanntes Element des Antisemitismus. Die Bundeszentrale für politische Bildung warnt, dass „Verschwörungstheorien, die Juden Macht und Einfluss in der Finanz- oder Medienwelt“ zuschreiben, häufig nur unterschwellig und teilweise auch unbewusst transportiert würden. Möglicherweise ist dies auch hier der Fall.
„Und weil ihr die Tatsachen schon wieder verdreht; Werden wir einschreiten; Und weil ihr euch an Unschuldigen vergeht; Werden wir unsere Schutzschirme ausbreiten; Denn weil ihr die Tatsachen schon wieder verdreht; Müssen wir einschreiten; Und weil ihr euch an Unschuldigen vergeht; Müssen wir unsere Schutzschirme ausbreiten“, gehen die Lyrics von „Marionetten“ weiter.
Verdrehte Tatsachen? Das klingt verdächtig nach einer Anspielung auf Worte wie „Lügenpresse“, also den Vorwurf gesteuerter Medien. In den vergangenen Monaten hat dieser Begriff zum Beispiel bei Pegida-Anhängern ein Revival erlebt. Ursprünglich stammt der Begriff „Lügenpresse“ aus dem ersten Weltkrieg – damals betitelte man die Medien der Feindstaaten mit dem Wort. In der NS-Zeit benutzte das Propagandaministerium „Lügenpresse“ allerdings für Hetze gegen Kommunisten und Juden.
„Aufgereiht und scheiternd wie Perlen an einer Perlenkette; Geht eine Matroschka weiter, ein Kampf um eure Ehrenrettung; Ihr seid blind für Nylon und Fäden an eueren Gliedern und; Hat man euch im Bundestag, ihr zittert wie eure Gliedmaßen; Alles nur peinlich und so was nennt sich dann Volksvertreter; Teile eures Volks – nennt man schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter; Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid; Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid; Mit dem zweiten sieht man besser“, lautet eine weitere Strophe des umstrittenen Songs.
Zu Beginn spielen die Musiker wohl wieder auf das Marionetten-Bild der ersten Strophe an, einige Teilsätze bleiben jedoch unklar und wirr. Dafür tritt der Rechtspopulismus im zweiten Teil des Textes immer deutliche zu Tage: „Volksverräter“ ist ein weiterer Slogan, der mit der rechten Szene in Verbindung gebracht wird. „Volksverräter“, riefen auch die Demonstranten in Dresden – und meinten damit die Merkel-Regierung. Diese Passage des Songs „Marionetten“ deutet dagegen an, dass die Regierung Teile der Bevölkerung als „Volksverräter“ bezeichnet. „Der Begriff ‚Volksverräter‘ ist eine Ableitung von ‚Volksverrat'“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin Dr. Andrea-Eva Ewels gegenüber Spiegel Online. „Ein Straftatbestand, der sich erstmals in den Gesetzen des Nazi-Systems findet.“ Historisch bedenklich. Doch das war noch nicht alles: In den Lyrics wird auch mit dem Bauern mit der Forke, also der Mistgabel, gedroht. Damit sollen die Volksvertreter zur Einsicht gebracht werden. Kritiker wollen darin einen Aufruf zur Gewalt gegen Politiker sehen – die in Deutschland immerhin demokratisch gewählt sind. „Das Lied ist kein Aufruf zur Gewalt, es ist ein Aufruf zum Dialog“, verteidigt Band-Mitglied Rolf Stahlhofen dagegen den eigenen Song.
„Wir steigen euch aus Dach und verändern Radiowellen; Wenn ihr die Tür nicht aufmacht, öffnet sich plötzlich ein Warnung; durchs Fenster; Vom Stadium zum Zentrum eine Wahrheitsbewegung; Im Name des Zetters erstrahlt die Neonreklame im Regen; Zusammen mit den Söhnen werde ich Farbe bekennen; Eure Parlamente erinnern mich stark an Puppentheater; Ihr wandelt an Fäden wie Marionetten; Bis wir euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen!; Ihr seid so langsam und träge; Es ist entsetzlich; Denkt, Ihr wisst alles besser; Und besser geht‘s nicht, schätz ich; Doch wir denken für euch mit und lieben euch als Menschen; Als Volks-in-die-Fresse-Treter, stößt Ihr an unsere Grenzen; Und etwas namens Pizzagate gibt‘s ja noch auf der Rechnung; Bei näherer Betrachtung steigert sich doch das Entsetzen; Und wenn ich nur einen in die Finger bekomme; Dann zerreiß ich ihn in Fetzen; Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragraphen und Gesetzen“, geht der Skandal-Text weiter – und wird immer kruder.
Klar kommt aber heraus, dass unsere demokratischen Parlamente als „Puppentheater“ bezeichnet werden. Doch erneut stellt sich die Frage: Von wem werden sie gelenkt? Bei solchen Anspielungen fühlt man sich fast unvermeidlich an Xavier Naidoos Auftritt im Morgenmagazin 2011 erinnert. Da einer seiner Songs „Freiheit“ heißt, fragten die Moderatoren den Sänger, ob er sich in Deutschland frei fühle. „Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend kein echtes Land und nicht frei“, antwortete er darauf. Seitdem wird er immer wieder mit den sogenannten Reichsbürgern in Verbindung gebracht. Am Tag der Deutschen Einheit wetterte er zum Beispiel im Berliner Regierungsviertel über die von den USA besetzte Bundesrepublik und rief zum Widerstand auf. Die Zuschauer beklatschten den Sänger dafür. Möglicherweise sind es also auch die Amerikaner, die Naidoo mit „Puppenspieler“ meint.
Ein weiteres Stichwort in dem Liedtext, das für heftige Kritik sorgt, ist das „Pizzagate“. Dabei handelt es sich erwiesenermaßen um eine Falschmeldung, die Hillary Clinton im us-amerikanischen Wahlkampf mit einem Kinderpornoring in Verbindung brachte. Wie Buzzfeed nachzeichnet, gingen die Gerüchte von einem Neonazi-Twitter-Account aus. Die Verschwörungstheoretiker behaupteten, dass sich in den E-Mails Codewörter befänden. Es gab weder Beweise, noch Zeugen. Schließlich führte die Falschmeldung sogar zu einer Schießerei. Das berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung.„Marionetten“ von Xavier Naidoo: Das sagen Politik und Medien zu den Lyrics
Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche Medienvertreter den neuen Song der Söhne Mannheims heftig kritisiert. So kommentierte Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der Bild: „Wenn das Kunst ist, dann ist es ziemlich braune Kunst. Hetzerisch, vergiftet, es ist ein fürchterlicher Text. Ein Text zum Fürchten.“ Der Westen titelte derweil: „Spinnt Xavier Naidoo jetzt völlig?“ Und auch Katharina Schneider, Autorin bei der Huffington Post, findet: „Was Naidoo da singt, zeigt, dass er jetzt wirklich zu einer untragbaren Gestalt im deutschen Musik-Geschäft geworden ist – und dabei ist, vollkommen durchzudrehen.“
Satiriker Jan Böhmermann hat sich ebenfalls in den Streit um den Song „Marionetten“ der Söhne Mannheims eingeschaltet. In einer Parodie sang er Ausschnitte aus Xavier Naidoos bekanntesten Songs – nur mit anderem Text. Zum Beispiel veränderte den Hit „Und wenn ein Lied“ folgendermaßen: „Und wenn ein Lied meine Lippen verlässt, dann nur damit du Wahrheit erfährst – Der Jud ist schuld, es steht zu hundert Prozent fest – ich sag nur Rothschild, schaut mal im Netz.“ Aus dem Song-Titel „20.000 Meilen über dem Meer“ wird bei Jan Böhmermann „20.000 Chemtrails über dem Meer“. Chemtrails-Verschwörungstheoretiker behaupten, dass Regierungen Stoffe versprühen, um Menschen zu vergiften. Als Beleg werden die von Flugzeugen verursachten Kondensstreifen am Himmel angeführt.
Radio Bremen Vier hat inzwischen die Zusammenarbeit mit den Söhnen Mannheims aufgekündigt. Auf der Homepage des Senders schreibt Helge Haas, Chef von Radio Vier, zu dem Songtext: „Das kann man alles so in Songs ausdrücken und veröffentlichen – das ist aber so weit von den Werten entfernt, die wir mit Bremen Vier vertreten, dass wir diese Künstler und ihre Konzerte nicht präsentieren wollen.“ Ursprünglich waren zwei Kooperationen mit Xavier Naidoo geplant. Auf eine Anfrage der Deutschen Presse Agentur erklärte der Bremen-Vier-Chef, dass die Berichterstattung über die Konzerte unabhängig von der Absage der Kooperation sei. Eine Präsentation ähnle jedoch einer Empfehlung. „Und die wollen wir angesichts der Aussagen in „Marionetten“ nicht mehr aussprechen.“
Sogar Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) äußerte sich zu dem umstrittenen Song. Am Rande einer Ausstellung in Mannheim sagte er laut der Deutschen Presse Agentur: „Von allen, die sich betätigen, ob in der Kunst oder in der Politik, wünsche ich mir, dass sie die Würde des anderen respektieren, dass man ordentlich miteinander umgeht. Alles andere führt ins Elend, und das zeigt auch die Debatte um dieses Lied.“
Die Stadt Mannheim ist von dem neuen Lied „Marionetten“ der Söhne Mannheims überhaupt nicht begeistert. Die Stadtführung warf der Pop-Band vor, „anti-staatliche Aussagen“ zu verbreiten. Bisher hat die Stadt Mannheim eng mit den beliebten Söhnen kooperiert. Wie die Deutsche Presse Agentur berichtet, arbeiten beide aktuell bei Kulturprojekten zur Erfindung des Fahrrads vor 200 Jahren in Mannheim zusammen.
Söhne Mannheims und Xavier Naidoo verteidigen den Text ihres Songs „Marionetten“
Die Pop-Band hält der Kritik entgegen: „Ich verstehe das Lied als Appell zum Nachdenken darüber, dass Politik oft missbraucht wird. Und da wollen wir – mit zugegeben überzeichneten Worten – aufrufen, etwas dagegen zu tun“, sagte Sänger Henning Wehland der Deutschen Presse-Agentur. 2015 stritt der Sänger Xavier Naidoo im Stern-Interview auch ab, Verschwörungstheorien anzuhängen: „Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, ich bin Wahrheitssuchender“, sagte er damals. Außerdem gab er an, keiner Partei nahe zu stehen, betonte allerdings: „Die NPD kann ich nicht ernst nehmen, und ihre Thesen lehne ich strikt ab.“
Inzwischen haben die Söhne Mannheims und die Stadtspitze ein Gespräch vereinbart. Oberbürgermeister Peter Kurz habe die Einladung der Band um Sänger Xavier Naidoo zu einem Treffen angenommen, sagte ein Sprecher der nordbadischen Stadt.