Zum traditionellen Neujahrsempfang der Anstifter, am 10.Januar im Württembergischen Kunstverein, stellte sich Peter Grohmann wieder den aktuellen Themen der Zeit. Hier seine Rede im Wortlaut:
Liebe Gemeinde,
jeder Dritte will Menschenmassen meiden- schlechte Aussichten also für Neujahrsempfänge, für Massendemonstrationen, Fußballspiele und Einkaufszentren wie das Milaneo. Let’s go!
Fürs Gewesene gibt der Jude nischt, sagte unser Freund Fritz Lamm gerne. Deshalb wenden wir uns dem Heutigen zu, dem Kommenden, ohne das Gewesene aus den Augen zu verlieren. Dazu gehört die Ausstellung über den Mitbegründer der AnStifter, den Performer und politischen Multi-Künstler albrecht/d im Württembergischen Kunstverein Stuttgart. So sehenswert wie „Die Bestie ist der Souverän!“
„Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, die Deutschland nicht hinnehmen wird“, so Frau Merkel. Und am 9.1.16 fügte sie hinzu: „Wir erwarten von den Flüchtlingen den Willen zur Integration.“ Um hier anzuknüpfen: Wird der Wille zur Integration auch von den Sachsen erwartet? Oder von jenem größer werdenden Teil der Bevölkerung, der keine Ahnung davon hat, was im Grundgesetz steht, was das für den Alltag bedeutet, jenen Teil der Menschen, den der Geist des Grundgesetzes noch nie heimgesucht hat?
Frau Merkel und die Geisterredner des Grundgesetzes sprechen in diesen Tagen auch nicht über die Brandstiftungen, nicht über Dunkeldeutschlands Dunkelziffern, nicht über 200 Tote, nicht über die NSU-Morde. Die gütige Kanzlerin sprach auch noch nie über tausende Missbrauchsfälle von Kindern und Jugendlichen durch die Kirche – denn die Richter Gottes haben ihre eigenen Gesetze! Das Rechtssystem der Kirche ist so autonom wie die Regensburger Domspatzen. Die Kirche hat eine Paralleljustiz mit eigenen Gerichten und mit eigenen Juristen, die verbindliche Urteile fällen. Oder keine. Oder Freisprüche. Und natürlich wissen Sie: Frau Merkel sprach über das, worüber alle sprechen, über „Köln“.
Über Köln kann sprechen, wer den Blick öffnet: Unser Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, ist ein kluger Mann mit saudummen Vorurteilen. Er weiß natürlich aus der Geschichte des Christentums, dem er ja als CDU-Mitglied relativ nahesteht, dass wir damals bei den Kreuzzügen nicht zimperlich sein konnten, sonst wären wir nie in Jerusalem angekommen. Das war 1500 Jahre später, bei der Inbesitznahme der Welt durch die Kolonisatoren, auch nicht anders. Es ist wichtig, sich nach so langer Zeit daran zu erinnern: Wir waren ja die Akteure. Wir.
Kolonialismus bezeichnet die Ausdehnung der Herrschaftsmacht europäischer Länder auf außereuropäische Gebiete mit dem vorrangigen Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Klar, es gab auch missionarische Gründe für den Kolonialismus, etwa das christliche Wertesystem, im Vordergrund stand jedoch immer die Mehrung des Reichtums der Kolonialherren – und der Mutterländer.
1914 befand sich über die Hälfte der Weltbevölkerung unter dem Schirm der Christen. Obwohl die ehemaligen Kolonialstaaten nach dem 2. Weltkrieg formal unabhängig waren, blieben aufgrund der geschaffenen Strukturen- künstliche Grenzen, mangelhafte Infrastruktur, einseitige wirtschaftliche Orientierung etc.- kulturelle, wirtschaftliche und andere Abhängigkeiten bestehen. Und unter denen leider wir auch heute noch, nicht wahr? Wie wahr.
Hilfe, sie kommen. Und wir beten.
Stuttgarters Schairer fasst sich am 8. Januar 2016 so zusammen:
„Es ist wichtig, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen wissen, wie das Zusammenleben bei uns funktioniert.“
So so. Und wie funktioniert es denn so im Deutschen Kulturkreis?
Im Jahr 2014 wurden in Deutschland durchschnittlich zwei Kinder pro Woche getötet, 40 Kinder wurden jeden Tag Opfer sexueller Gewalt, zwölf erfuhren – pro Tag! – körperliche Gewalt.
Für ihre Polizeistatistik, Herr Schairer.
Die Zahl der Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen aus unserem Kulturkreis liegt wesentlich höher, als bisher bekannt. Jeder dritte der 2400 Domspatzen wurde in den letzten 20 Jahren zum Gewaltopfer. Das ist eine Nachricht vom 7. Januar 2016.
In der altgermanischen Großfamilie, gewissermaßen in unserem früheren Kulturkreis, galten Kinder so viel wie Haustiere. Das wirkt nach. Der Patriarch konnte sie aussetzen, verstoßen, verkaufen oder auch töten.
In der neugermanischen Familie werden bundesweit jeden Tag etwa 40 Kinder sexuell missbraucht.
Und, lieber Herr Schairer, jede dritte befragte Frau hat seit ihrem 15. Lebensjahr schon einmal körperliche und sexuelle Gewalt erfahren, 58 % der Frauen und Mädchen wurden in unserem Kulturkreis sexuell belästigt, fast jede siebte Frau erlebte sexuelle Gewalt durch Vergewaltigung oder Nötigung.
Sascha Lobo, einer von uns- im Gegensatz zum Schönschwätzer Schairer- redet zu Köln Klartext und verwendet einen Begriff, der im sozialen Kontext zum hässlichsten gehört:
Mob.
Ein Mob ist eine Ansammlung von Leuten, die eine eigene soziale Dynamik entfaltet, in der mehr oder weniger alle anderen Regeln ignoriert werden. Ein Mob ist ein mobiler, temporärer, rechtsfreier Raum. Aufgespannt unter denjenigen, die für den Moment den dünnen Firnis der Zivilisation abblättern lassen. Mobs bestehen aus der explosiven Verstärkung bereits vorhandener sozialer Strömungen. Das ist der Grund, weshalb deutsche Mobs ausländisch aussehende Menschen jagen, ein soziokulturell vorhandener Rassismus detoniert.
Die Verharmlosung sexueller Gewalt ist allgegenwärtig und tief in die- ja, auch in die deutsche- Gesellschaft und Kultur eingebrannt, sagt Sascha Lobo weiter. Die Kölner Angriffe von Männermobs auf Frauen wären ein sehr passender Anlass, um sich dieser Tatsache zu stellen und herauszufinden, weshalb ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit sich erschütternd wenig um sexuelle Gewalt schert- außer sie kommt von „nordafrikanisch oder arabisch aussehenden“ Männern. Was für ein Kapitel- aber es sind unsere Sorgen!
Die AnStifter, liebe Leute, sind gewissermaßen ein Instrument, das zur Benutzung einlädt. Sie sind – anders als die Massenorganisationen, die wir aus bekannten Gründen meiden- eine Ansammlung von aufständischen Haufen, heute mit einer kleinen Erinnerung an die Bauernhaufen, die vor knapp 500 Jahren, im Jahre des Herrn 1525, in unserem Lande mit den 12 Artikeln von Memmingen als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa gelten.
Die Bauernhaufen, die erste verfassungsgebende Versammlung, die schwäbischen Bauernhaufen als Urväter weltweiter Revolutionen, der Unabhängigkeitserklärungen- was für ein schönes Bild!
Sie wurde Haufen um Haufen in langen Kämpfen der Christen mit Kirche und Obrigkeit umgesetzt.
Heute streiten wir als AnStifter auf den Jahrmärkten der Medien darum, überhaupt gehört zu werden.
Die wichtigste Erkenntnis der AnStifter lautet:
Wir sind nicht einer Meinung. Wir sind nicht einmal meiner Meinung. Das ist das Handicap der kulturellen Vielfalt.
Heute mischen wir uns in die Debatten ein mit Wort-Ungetümen, wie „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.
Heute streiten wir drüber, ob Pegida in Dresden mit 18 000 Teilnehmenden den Zenit überschritten hat, verlieren Horst Seehofer & Co. KG aus den Augen und stauen, dass vieles von Pegida bei den Parteien angekommen ist.
Und stellen wir fest, dass sich 55% der Deutschen darüber ärgern, dass uns heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden. Aber mit Antisemitismus hat das natürlich nichts zu tun.
„Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf‘ allein“,
sind einige der widerwärtigsten Sprechchöre gewesen. Dass solche Parolen teilweise von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht als volksverhetzend eingestuft wurden, ist skandalös und Beleg, wie wenig staatliche Stellen für Antisemitismus sensibilisiert sind. Daher gilt es, auch hier die Mitte der Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Und nicht uns selbst, wir sind ja Teil der Mitte.
Das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konfliktforschung stellte zum Beispiel fest, dass 90% der Deutschen, die Israel in ihrer Befragung ohne antisemitische Zuschreibungen kritisierten, in weiteren Fragen antisemitischen Aussagen zustimmten. Eine Sensibilität für den täglichen Rassismus, für Gewalt gegen Frauen, für die Gewalt im Alltag gegen Schwache, gegen Minderheiten, für Antisemitismus gibt es in Deutschland nicht. Das ist ein furchterregendes Fazit zu Beginn des Jahres 2016, das einhergeht mit der Sorge, dass Positionen des Humanismus, der Gewaltfreiheit, der radikalen Demokratie weiter an Boden verlieren.
Merke: Tägliche Beleidigungen, Einschüchterungsversuche, verbale Angriffe behalten viele der Betroffenen oft für sich. Frauen, die Übergriffe anzeigen, werden von der Polizei häufig nicht ernst genommen, die Mehrzahl von Flüchtlingen, Asylbewerbern, Emigranten samt Hintergrund sind ratlos oder halten es für zwecklos, bei Polizei, Heimleitungen, Betreuern so etwas anzuzeigen, weil es zu alltäglich ist. Die Dunkelziffern in Dunkeldeutschland sind kaum erkennbar- dafür sorgen auch die Behörden.
Es ist wichtig für uns als AnStifter, für eine Gesellschaft einzutreten, in der Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben. Aber das reicht nicht. Wir dürfen die sozialen Felder nicht außer acht lassen, die zunehmende Konkurrenz um Wohnraum, um Plätze in Kindergärten, um schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Je mehr die traditionellen Parteien diese Felder vernachlässigen, je mehr sie sich hier um Antworten drücken, von Lösungen ganz zu schweigen, umso stärker wird Pegida und Co. zur ApO der nächsten Jahre.
Und glauben Sie bloss nicht, ich hätte die Antworten!
Wir sind nicht in der Lage, allein sowieso nicht, Konflikte zu verhindern. Aber wir können sie benennen. Momentan sehen wir, wie eine europäische Mauer gegen Flüchtlinge errichtet wird. Der zunehmender Wettbewerb um Meeresgebiete, Land Grabbing in Afrika, Klimamanipulation, die politische Polarisierung der USA, um nur ein paar Stichworte zu nennen, – das alles sind reale Gefahren. Bliebe zu sagen:
Oh Heimatland!
Vielleicht entsteht ja eine Art heilsame Unruhe, ein gewaltfreier Volksaufstand, vielleicht sollten wir lieber streiten statt „Streit schlichten“.
Aber Gott steh mir bei:
82% der Menschen befürworten eine stärkere Videoüberwachung,
72% sind für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen,
50% würden auch den alten Stacheldraht der DDR recyceln, um Nordafrikaner oder anderes Gesockse abzuhalten,
4,9 Prozent wollen die DDR wiederhaben, nehmen aber vorerst mit Pegida vorlieb.
Doch wie sieht demgegenüber unsere Praxis aus? Verspricht sie Besserung? Das Paradies? Eine andere Landesregierung? Starke Gewerkschaften? Eine emanzipierte Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger? Bitte, 2016.
Der AnStifter-Friedenspreis, Sant’Anna di Stazzema, Lampedusa, die Ausplünderung des Planeten von Amazonien bis Zentralasien, die Seelenrettung der Republiken, der Kampf gegen Dummheit, Dünkel, Hass, die Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, nach Gerechtigkeit, ohne die es keinen Frieden gibt:
Das ist unsere Agenda 2016.
Mit dem Friedenspreis ausgezeichnet werden Persönlichkeiten, Verbände, Initiativen, die sich im Namen der Menschenwürde für Freiheit, Recht, Gerechtigkeit einsetzen, die Machtmissbrauch aufdecken, die ermutigende, motivierende Vorbilder für die Gesellschaft sind. Machen Sie sich statt des Abendbrots Gedanken, wen Sie für den AnStifter-Friedenspreis 2016 vorschlagen. Sie haben Zeit bis zum 31.März 2016.
Freiheit ist zu allen Zeiten ein Gestaltungsprozess, nie abgeschlossen, oft gefährdet, ein Prozess, der das Gespräch mit allen Gruppen der Gesellschaft braucht, der Recht und Gerechtigkeit formuliert und fordert. Freiheit ist auch die Fähigkeit, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.
Die Natur hat den Menschen mindestens fünf Sinne geschenkt, manchen von Ihnen auch einen sechsten: Den Tastsinn, Gehörsinn, den Gesichtssinn, Geruchssinn, den Geschmackssinn. Im Laufe der Geschichte kamen dann der Unsinn, der Schwachsinn, der Blödsinn, der Stumpfsinn und der Wahnsinn dazu.
Wir können lesen, relativ viele jedenfalls. Wir können schreiben und es anderen beibringen, wichtig genug! Wir können nicken oder widersprechen. Wir können hören, viele von Ihnen viel besser als ich, und wir können gehört werden. Das Dumme ist nur: Zu wenige verstehen, was wir sagen.
Wir könnten’s ändern:
Wir können spenden, damit wir nicht sitzenbleiben im Minus.
Wir können sehen statt nur zuschauen.
Wir können riechen: den Braten, die Kriege aus Möhringen und Vaihingen, den Feinstaub über der Stadt.
Wir können fühlen- und mitfühlen, wie es dem Nachbarn geht und denen auf der anderen Seite der Welt.
Wir können uns Sorgen mache und dennoch glücklich sein.
Wechseln wir die Plätze und die Worte, schau mir in die Augen, Kleines! Nutzen wir die Zeit zum Widerspruch, zur Anschauung, zur Unterhaltung. Machen wir die AnStifter zu Rettungswesten, die die Hoffnung tragen.
Ausführliche Informationen zu allem, was wir tun, auf www.die-anstifter.de
Zu guter Letzt unser Dank an Fritz Mielert: Werd‘ gesund, Junger!
Und ein dickes Danke an alle, die da sind, die sichtbar oder hinter den Kulissen mit oder ohne Wera rechnen, schreiben, lesen, denken, pfeifen, jodeln, schreien, weinen und lachen.
Verlernt es nicht- nicht das eine, nicht das andere.
Die missionarischen Gründe für den Kolonialismus – u. a. das christliche Wertesystem – würde mich näher interessieren. atten die Missionierten kein Wertesystem? Warum müssen alle überall auf der Welt missionieren? Lassen wir doch jeden seine eigenen Gedanken denken solange sie anderen nicht schaden. Wir können uns ja die uns passenden heraussuchen.
Aber da ist das Problem: Jeder sieht sich vom anderen in seiner Inbesitznahme – von was auch immer – behindert (Konkurrenz). So denken diejenigen, die nichts oder wenig haben und mehr haben wollen und auch die, die schon viel haben. Wer sagt, was gerecht zugeteilt ist? Der Koran?, die Bibel?