Wolf Wetzel, Autor des Buches »Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?«, erschienen 2013 im Unrast-Verlag, hat uns folgenden Text freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Prüfen können wir diesen leider nicht.
Zur Zeit tagt im Stuttgarter Landtag der Untersuchungsausschuss »Rechtsterrorismus/NSU BW« zur Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des »Nationalsozialistischen Untergrunds/NSU« in Baden-Württemberg und der Todesumstände der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter, die 2007 in Heilbronn erschossen wurde. Sie gilt als zehntes und letztes Opfer des NSU – wenn man den Tod des Zeugen Florian Heilig als Selbstmord verbucht, um den es in diesem Beitrag geht. Den Ermittlern zufolge soll sich Florian Heilig aus Liebeskummer mit Benzin übergossen und dann selbst verbrannt haben. An dem Tag, an dem er Aussagen aus dem Jahr 2011 widerholen bzw. präzsieren wollte.
Florian Heilig war bis 2011 in der Neonazi-Szene rund um Heilbronn aktiv. In dieser Zeit hatte er u.a. auch Beate Zschäpe getroffen. Mitte 2011 machte er Aussagen zu dem Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 und nannte dabei Namen und Verbindungen zu weiteren neonazistischen Gruppierungen. Diese stehen in völligem Widerspruch zu den Überzeugungen der Generalstaatsanschwaltschaft, sie passen überhaupt nicht in die Anklageschrift: Dort wird die Behauptung aufgestellt, dass der Mordanschlag auf die beiden Polizisten in Heilbronn zufällig und symbolisch war und dass es ›erwiesen‹ sei, dass die beiden NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhard die Tat alleine ausgeführt hätten.
Florian Heilig wurde mehrmals von seinen ehemaligen ›Kameraden‹ bedroht. Immer wieder artikulierte er laut, dass er um sein Leben fürchtete. Er kam ins Aussteigerprogramm des LKA Stuttgart (BIG Rex), beschützt hatte er sich dennoch nie gefühlt. Trotzdem war er bereit, an jenem Montag, den 16. September 2013 seine Aussagen aus dem Jahr 2011 zu wiederholen bzw. zu präzisieren.
An die Selbstmord-These glauben vor allem Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Eltern und die Schwester widersprachen dieser Behauptung von Anfang an – zuletzt als Zeugen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss/PUA .Sie sind mit diesen Zweifeln nicht allein.
Nun kommt Beobachtungen eines Fahrlehrers hinzu, der sich als Zeuge der Polizei zur Verfügung gestellt hatte, aber nie gehört, nie befragt wurde. Im Gegenteil. Selbst die Tatsache, dass es ihn gibt, wurde in den Ermittlungsakten verschwiegen. Ein glücklicher Umstand ist es zu verdanken, dass sich dieser Zeuge beim Autor dieses Beitrages meldete und seine Beobachtungen vom 16. September 2013 auf dem Cannstatter Wasen wiedergab – kurz bevor das Auto brannte, in dem Florian Heilig auf grausame Weise umgekommen war.
Was der Zeuge am Todestag von Florian Heilig gesehen hat, schildert der Fahrlehrer gegenüber dem Autor wie folgt: Jürgen M. (Name wurde geändert) traf sich am 16. Spetember 2013 um acht Uhr morgens auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart mit einem Fahrschüler, um ihn auf eine Motorradprüfung vorzubereiten. Für Unterrichtstunden auf diesem Gelände hatte die Fahrschule eine Sondergenehmigung. Da bereits mit Aufbauten für das bevorstehende Volksfest begonnen worden war, verlegte M. den Fahrunterricht in den hinteren, südlichen Bereich. Gegen 8:30 Uhr fiel ihm ein allein stehender Peugeot auf, der ungewöhnlich abgestellt war. Auf der Fahrerseite sah er eine Person sitzen. Hinter dem geparkten Auto bemerkte er einen kräftig gebauten Mann, der eine Zigarette rauchte. Sein Alter schätzt er grob auf 30 bis 50 Jahre. Zu Beginn seiner zweiten Fahrstunde an diesem Tag kommt er wieder an derselben Stelle vorbei. Er erschrickt, denn nun sieht er dasselbe Auto – ausgebrannt. Die Feuerwehr hat den Brand bereits gelöscht. Als er sich dem Auto nähert, kann er darin grob die Person in derselben Position wiedererkennen. Der 21jährige Florian Heilig ist tot. Der Fahrlehrer geht zur Absperrung und teilt zuerst einem Polizisten, dann einer Polizistin mit, dass er vor dem Brand den rauchenden Mann in unmittelbarer Nähe des geparkten Wagens gesehen hat. Die Beamtin notiert seinen Namen und seine Telefonnummer, er nimmt seine Arbeit wieder auf. Da wenig später von einem tragischen Selbstmord die Rede ist, scheint für ihn die Angelegenheit erledigt – bis in seinem Bekanntenkreis Medienberichte über die Ungereimtheiten des angeblichen Selbstmordes Aufmerksamkeit erregen.
Zwar muss es keinen Zusammenhang zwischen dem rauchenden Mann und dem wenig später brennenden Auto (keinen Zusammenhang) geben. Wenn aber die Polizei dem Grundsatz folgt, in alle Richtungen zu ermitteln, dann ist diese Beobachtung äußerst wichtig, um herauszubekommen, wer dieser Mann ist und ob es einen Zusammenhang zu dem geparkten Auto und dem Insassen gibt. Der Fahrlehrer wurde jedoch nie befragt. Die Ermittlungsakten suggerieren sogar das Gegenteil: In der Strafanzeige der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 10.2.2014 findet sich der wahrheitswidrige Satz: »Ein Hinweis auf eine weitere Person liegt hingegen nicht vor.«
Es gibt noch weitere Hinweise dafür, dass die Selbstmordthese die unwahrscheinlichste ist. Denn ein weiterer unterschlagener Umstand spricht dafür,dass Florian Heilig auf dem Cannstatter Wasen vor seinem Tod nicht alleine war: Um ein Auto zu fahren und abzustellen, braucht man einen Autoschlüssel. Die Ermittler stellten jedoch keinen Autoschlüssel sicher. Weder befand er sich im Zündschloss, im Wageninneren, noch in der Nähe des Tatortes. Auch vom Schlüsselbund Heiligs fehlt jede Spur. Ermittler, die ›Fremdeinwirkung‹ ausschließen, müssten dafür ein plausible Erklärung haben. Stattdessen schweigen sie sich über diesen Umstand aus. Was die Polizei an Gegenständen von Florian Heilig sichergestellt hatte, findet sich in der Empfangsbescheinigung aufgelistet, ausgestellt auf den 24. September 2013,: »Geldbörse, 36,07 Euro, 5 Visitenkarten, Scool-Card, 3 Gesundheits-/Versicherungskarten, Führerschein, 9 Quittungen, Arztbericht, Schreiben LRA Heilbronn, BPA, je ein Paar Turnschuhe/Socken.«
Wenn Zeugen, die die Suizid-Annahme gefährden könnten, nicht gehört werden, wenn Umständen, die gegen ein Suizid-Ereignis sprechen, nicht nachgegangen wird, dann ist die Annahme berechtigt, dass das, was der Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses festgestellt hat auch für Baden-Württemberg gilt: »Freiwillige Erkenntisisolation«. Auch vom Verdacht gezielter Sabotage war in dem Bericht die Rede.
Man kann davon ausgehen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nicht willkürlich Ermittlungen einseitig führen. Sie wußten sehr schnell, welche politische Brisanz der Tod eines Zeugen hat, der seine Aussagen zu dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007 wiederholen wollte. Einem möglichen Mordgeschehen nachzugehen, würde die Tür zu folgenden Fragen aufstoßen: Wer wußte von der bevorstehenden Vernehmung? Mit wem hatte Florian Heilig bis in die Morgenstunden hinein telefonischen Kontakt? Wie kamen Neonazis in den Besitz der ständig wechselnden Telefonnummer von Florian Heilig? Warum wurde nie (offiziell) eine Auswertung der Telefon- und Verbindungsdaten vorgenommen?
Wenn sich nichts von allem in den Ermittlungsakten findet, darf man den Verdacht äußern, dass all diese selbstverständlichen Ermittlungschritte einen Suizid nicht stützen würden.