Des Bündnisses Gentechnikfreie Landwirtschaft Baden-Württemberg vom 29.11.2014.
Vor dreieinhalb Jahren hat die grün-rote Landesregierung im Koalitionsvertrag erklärt: „Baden-Württemberg muss völlig gentechnikfrei bleiben“. Seither hat sie einiges getan, um diesem Ziel näher zu kommen:
- Auf den landeseigenen Flächen ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen über die Pachtverträge ausgeschlossen;
- Die tierhaltenden Landesanstalten in Aulendorf und Boxberg verwenden ausschließlich gentechnikfreie Futtermittel;
- Baden-Württemberg ist dem europaweiten „Netzwerk Gentechnikfreier Regionen“ beigetreten;
- Die Landesregierung hat per Erlass einen Umfeldschutz für Naturschutzgebiete von 3.000 Metern festgesetzt, welcher ebenfalls im neuen Naturschutzgesetz aufgenommen und verankert werden soll;
- Das Qualitätszeichen Baden-Württemberg schreibt für Fisch, Honig, Geflügel, Eier und Lammfleisch ab 2015 Gentechnikfreiheit vor.
Als Bündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft Baden-Württemberg begrüßen wir diese Ansatzpunkte sehr. Gleichzeitig sehen wir noch große Herausforderungen vor uns liegen, um dem klaren Verbraucherwunsch nach umfassender Gentechnikfreiheit in Baden-Württemberg gerecht zu werden. Denn: Baden-Württemberg ist heute noch lange nicht frei von Agro-Gentechnik.
Einfallstor schließen – keine gentechnisch veränderten Futtermittel!
Das große Einfallstor sind nach wie vor die eingesetzten Import-Futtermittel. Noch immer werden große Mengen an gentechnisch verändertem Soja aus Südamerika importiert und an unsere Nutztiere verfüttert. Dies geschieht obwohl gentechnikfreie Futtermittel in ausreichender Menge vorhanden sind und Öko-Bauern und eine wachsende Zahl von Erzeugergemeinschaften und Qualitätsprogramme zeigen, dass die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern ohne gentechnisch veränderte Futtermittel erfolgreich möglich ist. Zudem hat das Land eine Initiative für die Erzeugung heimischer Eiweißfuttermittel gestartet.
Nicht einmal das Qualitätszeichen Baden-Württemberg garantiert bislang Gentechnikfreiheit – die für Anfang 2015 versprochene Einführung des Standards „ohne Gentechnik“ für Milch, Schweine- und Rindfleisch wurde auf Ende 2017 verschoben.
Wir fordern:
- Die EU-weite Kennzeichnungslücke für tierische Produkte zu schließen: Tierische Produkte wie Fleisch, Milch und Eier, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln erzeugt wurden, müssen eindeutig gekennzeichnet werden, damit die VerbraucherInnen die Wahl haben;
- In Deutschland kurzfristig eine „ohne Gentechnik“-Kennzeichnung verbindlich einführen;
- Alle öffentlichen Einrichtungen und Ministerien in Baden-Württemberg, die pflanzliche und tierische Lebensmittel erwerben, sollen ausschließlich gentechnikfrei (entweder mittels Einhaltung der Vorgaben des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes oder mittels Einhaltung der EU-Öko-Verordnung) einkaufen und diesen Sachverhalt öffentlichkeitswirksam kommunizieren. Diese Vorgabe soll ebenfalls für Veranstaltungen der Landesregierung in den Regionen, als auch in Stuttgart, Berlin und Brüssel Umsetzung finden. Die derzeit in Überarbeitung befindliche Beschaffungsrichtlinie des Landes ist entsprechend zu ergänzen;
- Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Leitfaden für den Einkauf von regionalen Lebensmitteln „ohne Gentechnik“ für Kommunen und weitere öffentliche und privatwirtschaftliche Einrichtungen zu erstellen und zu kommunizieren;
- Um dem Verbraucheranspruch nach gentechnikfreier Produktion umfassend gerecht zu werden, muss das Qualitätszeichen Baden-Württemberg als „Leuchtturm“ heimischer Erzeugnisse nicht nur für die Bereiche Fisch, Honig, Eier, Geflügel und Lammfleisch, sondern auch für Milch, Schweine- und Rindfleisch das Attribut „gentechnikfrei“ garantieren und konsequent umsetzen – und dies nicht erst ab Ende des Jahres 2017;
- Wir appellieren an die Bevölkerung beim Einkauf vor Ort gentechnikfreie Lebensmittel aktiv nachzufragen und dadurch der Gentechniklobby mit der Marktmacht des mündigen Verbrauchers zu begegnen.
Kein Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen – auch nicht durch opt out oder TTIP!
Seit 2009 werden in Baden-Württemberg keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut, seit 2011 gab es auch keine Saatgutverunreinigungen mehr. Doch dieser Erfolg ist nicht gesichert: Acht gentechnisch veränderte Sorten warten derzeit auf die Anbauzulassung der EU. Der Vorschlag des Ministerrats zum „opt out“, der erleichterte Zulassungen im Gegenzug zu nationalen Ausnahmen vorsieht, kann zu einem unüberschaubaren und schwer kontrollierbaren Flickenteppich unterschiedlicher Zulassungen in Europa führen. Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA werden unter der Überschrift „Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ sehr wahrscheinlich Anbauverbote, Kennzeichnungsvorschriften und Haftungsregelungen aushebeln und damit der Agro-Gentechnik Tür und Tor öffnen.
Daher fordern wir:
- EU weit keine weiteren Zulassungen von gentechnisch veränderten Sorten;
- Eine stabile Rechtsgrundlage für einzelstaatliche Verbote von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU und Verschärfung statt Erleichterung der EU-weiten Zulassungspraxis;
- Ein Anbauverbot muss bundesweit einheitlich umgesetzt werden – die Bundesregierung darf ihre Verantwortung nicht auf die Bundesländer abwälzen;
- Keine Unterzeichnung des CETA-Abkommens und Abbruch der Verhandlungen über TTIP.
Vielfalt ernährt die Welt – Agro-Gentechnik erzeugt Abhängigkeit
Die Behauptung, die Agro-Gentechnik könne den Hunger in der Welt beseitigen, ist falsch. Gentechnisch veränderte Pflanzen bringen weder höhere Erträge, noch sind sie besser an Trockenheit oder extreme Klimabedingungen angepasst. Herbizidresistente Pflanzen ermöglichen es agro-industriellen Großbauern und -konzernen lediglich, größere Flächen mit weniger Arbeitskraft zu bewirtschaften, sie führen zum Landverlust von Kleinbauern, zu mehr Herbizideinsatz, zur Herausbildung von Resistenzen und zur Abhängigkeit von wenigen „Multis“. Patente auf Leben verschärfen diese Entwicklungen. Zur Sicherung der Ernährung braucht es ein vielfältiges, an die lokalen Verhältnisse angepasstes Sortenspektrum. Das kann die klassische Züchtung leisten, nicht aber die Agro-Gentechnik. Schon der Bericht des Weltagrarrats hat 2008 klargestellt, dass die beste Lösung für das Hungerproblem eine regional angepasste, nachhaltige Landwirtschaft ist.
Daher fordern wir:
- Ein weltweites Nachbaurecht für alle Bauern, kein Patent auf Leben;
- Zugang zu Bildung, Ressourcen und Märkten für kleinbäuerliche Erzeuger insbesondere im Süden;
- Gezielte Umlenkung der Forschungsgelder auf Landes- wie Bundesebene für die partizipative Züchtung angepasster, nachbaufähiger Sorten anstatt für „Gentechnik-Experimente“ und sogenannte neue Züchtungstechnologien.