Gemeingüter
Das Mietshäuser Syndikat in Tübingen

Am Samstag, den führte eine Exkursion der AnStifter zum Mietshäuser Syndikat nach Tübingen. Ziel war es, die theoretischen Grundlagen, die Axel Burkhardt bei seinem Vortrag am 1. Dezember in Stuttgart gelegt hatte, durch einen Eindruck vor Ort zu vertiefen.

Vom Bahnhof führten uns Marc Amann und zwei seiner Kollegen vom Mietshäuser Syndikat zuerst Richtung Epplehaus, dem ältesten besetzten und immer noch in Selbstverwaltung befindlichen Haus in Tübingen – nicht, ohne dabei auf die neueste Besetzung von Anfang Dezember 2014 hinzuweisen, die Anfang Dezember auf dem Gelände des Tübinger Güterbahnhofs stattfand. Beide Projekte zeigen nach Angaben der Drei, das Funktionieren der sogenannten Tübinger Linie.

Diese liberale, durch die Universität geprägte Tradition spielte eine wichtige Rolle für das Funktionieren von Hausbesetzungen, die für die meisten selbstverwalteten Projekte in Tübingen zentral waren. Kern der Tübinger Linie seitens der Stadt ist, nicht auf Konfrontation zu setzen, sondern gemeinsam mit der Gegenseite Lösungen zu erarbeiten.

Eine wichtige Rolle spielte hierbei auch das Tübinger Studentenwerk e.V., das – im Gegensatz zur später entstandenen Tübinger Studentenwerk, Anstalt des öffentlichen Rechts – großen Wert auf Selbstverwaltung legt und somit mit den Anliegen vieler Besetzerinnen und Besetzer teilweise kompatibel war.

Das Epplehaus

EpplehausVorbereitet von einer kleinen Gruppe, wurde nach einem Konzert von Ton, Steine, Scherben das leerstehende Haus in der Karlstraße 13 besetzt und nach Verhandlungen zum Jugendhaus unter Trägerschaft der Stadt umgewandelt. Wohnungen befinden sich im Epplehaus keine. Seit seiner Gründung durchlief es verschiedene Phasen von mehr und weniger starker Selbstverwaltung. Benannt wurde das Haus nach Richard Epple, der im Zuge polizeilicher Fahndungen nach der Roten Armee Fraktion erschossen wurde.

Nach dem Epplehaus folgten u.a. 1977 die Münzgasse 13, 1979 die Ludwigstraße 15 bis dann 1980 die Schellingstraße 6 an der Reihe war.

Die Schellingstraße

Schlussstein SchellingstraßeDie Schellingstraße ist Teil eines ehemaligen Kasernengeländes südlich des Hauptbahnhofs dessen Geschichte 1872 begann und auf dem bis 1914 weiter Gebäude entstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die französische Armee auf dem Areal ein und nutzte es bis 1977. Anschließend stand das Gelände drei Jahre leer bis dann schließlich eines der Gebäude 1980 wiederum nach einem Konzert in der Unimensa besetzt wurde. Hintergrund dieser Besetzung war, dass insbesondere unter den Studierenden große Wohnungsnot herrschte, die soweit ging, dass sich 1979 ca. 300 von ihnen wieder abmeldeten, da sie keine Unterkunft fanden. Zu Beginn der Besetzung teilte sich die Besatzung das Areal mit Flüchtlingen und später mit Aussiedlern.

1999/2000 plante das Studentenwerk, die gesamte Kaserne an einen Investor aus Bahlingen zu verkaufen. Damals wohnten nur 10 Menschen im besetzten Haus, doch das Interesse war groß, was sich u.a. daran zeigte, dass bis zu 50 Personen zu den Plenen kamen.
Als Lösung kam das Freiburger Syndikatsmodell auf, das jedoch zu Beginn viele der Beteiligten aufgrund einer GmbH als zentralem Bestandteil abschreckte und ganz bewusst nicht mit dem Wirtschaftssystem bricht. Doch das Syndikat versprach am ehesten eine dauerhafte Entprivatisierung bei gleichzeitig optimaler Kontrolle durch die Bewohnenden.

Die Position der Besetzenden wurde durch die Kombination einer seriös auftretenden  Verhandlungsgruppe mit dem Druck der Straße in Form von Demonstrationen und Besetzungen an verschiedenen Stellen in Tübingen gestärkt. Überzeugt wurde die Stadt schließlich von einer Demonstration mit 1.500 Menschen, sodass 2004 nach fünf Jahren zäher Verhandlung der Kauf gelang und die Schellingstraße das erste Syndikatsprojekt außerhalb Freiburgs wurde. Auch hier spielte die Tübinger Linie wieder eine sehr wichtige Rolle.

Heute leben 110 Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Gelände. 50 von Ihnen wohnen im Hauptgebäude, das komplett saniert wurde, um sowohl dem Denkmalschutz als auch den Wärme- und Brandschutz gerecht zu werden. Das etwa 60 Meter lange und zwischen acht und 15 Meter (Zentralbau) tiefe, 2,5 geschossige Gebäude ist symmetrisch aufgebaut und besitzt Deckenhöhen von 3,4 Metern. Im Zentralbau befinden sich das Haupttreppenhaus und pro Stockwerk zwei große Wohnküchen. Von hier gehen lange Flure ab an denen sich wiederum Wohn- und Sanitärräume anschließen. Pro Wohngemeinschaft/Stockwerksflügel teilen sich etwa zehn Personen zwei Bäder, zwei Toiletten und eine große Küche. Als Gemeinschaftsräume stehen eine Hausbar, ein Infoladen, ein Umsonstladen, ein Proberaum, eine Werkstatt und ein Raum für die FoodCoop zur Verfügung.

Alle 14 Tage treffen sich die Bewohnerinnen und Bewohner zu einer Gelände-Vollversammlung, auf der die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Aufgrund des hohen Kommunikationsaufwands ist die Schellingstraße sehr studentisch geprägt, auch wenn es immer wieder Phasen gibt, in denen viele Eltern mit Kindern die Gemeinschaft bereichern. In letzter Zeit sind aber viele Kinder ins neue 4-Häuser-Projekt umgezogen.

Das 4-Häuser-Projekt

DirektkrediteWie der Name schon andeutet, besteht das 4-Häuser-Projekt aus vier Gebäuden, die baugleich an verschiedenen Standorten als großzügige Offiziershäuser für die französische Armee nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tübinger Südstadt errichtet wurden. 2007 wurde durch die damaligen Bewohner bekannt, dass nach ihrem Auszug keine Neuvermietung mehr stattfinden sollte. Dies rief eine Gruppe auf den Plan, die anfing, die Häuser ohne Einwilligung der Eigentümerin LBBW zu nutzen. Nach polizeilichen Ermittlungen und Beschlagnahmungen gab die Gruppe bekannt, dass sie die Häuser nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats kaufen wolle. Nach längeren Verhandlungen willigte die Besitzerin ein, sodass 2011 der Kaufvertrag unterschrieben werden konnte. Nach einer Sanierung zogen ab Juni 2011 die neuen Bewohnerinnen und Bewohner ein.

Die vier Häuser zeichnen sich für Tübingen dadurch aus, dass sie aus kleineren Einheiten bestehen und somit für Familien attraktiver sind. Momentan leben 100 Personen (davon 64 Kinder) im Alter zwischen 0 und 55 Jahren in den Gebäuden, die zu einem Drittel von Kleinfamilien und zu zwei Dritteln durch Wohngemeinschaften genutzt werden. Eine weitere Besonderheit stellt eine Wohngemeinschaft psychisch kranker Menschen dar, die von Anfang an im Projekt mitgedacht wurde.

Akademiker unter sich

Doch auch trotz dieser wichtigen Integrationsleistung zeigt sich auch hier, dass das Syndikatsmodell keine Lösung aller gesellschaftlichen Probleme darstellt (was es auch nicht anstrebt). Vielen Syndikatsprojekten fehlt eine soziale Durchmischung. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass viele ihrer Projekte aus der studentischen Community als Selbsthilfemaßnahmen heraus entstehen und andererseits ihre Struktur eine bestimmte Debattenkultur und den Willen zur Beteiligung an Prozessen voraussetzt und so vorrangig Akademikerinnen und Akademiker anzieht.

Doch auch diese Gruppe bringt nicht unbedingt Erfahrung mit Konsensprozessen mit sich, sodass die Projekte Lernprozesse mitmachen. So wird mittlerweile sehr viel Wert auf die Vorbereitung von Vollversammlungen gelegt und z.B. der Wunsch von Nicht-Anwesenden bei Entscheidungen mitbedacht. Im 4-Häuser-Projekt existiert eine gesonderte Gruppe, die die Gruppenprozesse im Auge behält und so Unstimmigkeiten frühzeitig erkennt.

Für solche und ähnliche Herausforderungen hat das Mietshäuser Syndikat einen Leitfaden erstellt.

Syndikat in Kurzform

Das in Freiburg gegründete Mietshäuser Syndikat ist eine GmbH, deren einziger Gesellschafter ein Verein ist, der als Dachverband aller Syndikatsprojekte dient. Es berät auf ehrenamtlicher Basis neue Projekte und steigt bei deren Gründung als Minderheitsgesellschafter mit Vetorecht in Fragen eines Verkaufs in die Hausbesitz-GmbHs ein. Das mehrheitliche Stimmrecht in den Hausbesitz-GmbHs besitzt jeweils ein Verein, deren Mitglieder die Bewohnerinnen und Bewohner des Projekts sind.

Durch diese etwas kompliziert anmutende Konstrukt wird gewährleistet, dass die erworbenen Gebäude dauerhaft dem Immobilienmarkt entzogen sind und dass alle sonstigen Entscheidungen komplett den Bewohnerinnen und Bewohnern überlassen bleiben.

Finanziert werden die Syndikatsprojekte über Direktkredite und Bankdarlehen. Das Budget des Dachverbands speist sich aus einem Solidarbeitrag, den alle Projekte quadratmeterbezogen entrichten und der mit dem Alter der Projekte steigt.

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.