Baustelle öffentliches Leben 2

Stuttgart im April 2014: An jeder Ecke in der Innenstadt ist eine Baustelle, Bauzäune, Straßensperrungen, Verkehrsschilder, mobile Ampelanlagen, Durchfahrtsverbote. Neben den Baustellen an öffentlichen Gebäuden ist aber hauptsächlich der öffentliche Raum betroffen: Gehwege, Fahrradwege, Straßen.
Stuttgart war schon immer eine Baustellenstadt. In diesem Jahr erreicht sie ein neuen Rekord. Angeblich bis zu 18.000 Baustellen sollen dieses Jahr in Stuttgart errichtet werden.

Was macht das mit den Menschen? Was bedeutet es, wenn man von jedem x-beliebigen Punkt in Stuttgart höchstens drei Minuten Fußweg zur nächsten Baustelle benötigt? Was heißt es, wenn auf einer fünfminütigen Fahrradstrecke bis zu zehn Baustellen umkurvt werden müssen?
Als Passant fragt man sich manchmal, was hier wieder gemacht werden muss. Als Anwohner fragt man sich, warum das mitten in der Nacht gemacht werden muss.

Stuttgart ist also das realisierte Modell für Baustellen-Lehrbücher. Jede theoretisch mögliche Art von Baustelle kann hier zur Zeit real besichtigt werden. Kleine, mittlere und große Baustellen. Auf Gehwegen, Straßen und Gleisen. An Häusern, in Parks, in S-Bahn-Haltestellen und wahrscheinlich auch in Flüssen. Private, öffentliche, privat-öffentliche Baustellen. Unnötige und nötige Baustellen.
Es könnte ein Fach „Baustellogie“ eingeführt werden, die Baustellen klassifiziert und kategorisiert werden, ähnlich dem Ordnungssystem der Chemie oder Biologie. Ähnlich naturwüchsig schießen auch die Baustellen in Stuttgart aus dem Boden und scheinen eine unverrückbare Konstante im lokalen Kosmos zu sein.

Sind sie aber nicht.

Also: Was soll man tun, um sich nicht aus Wut über das nächste Durchfahrtverbot am Baustellenstaub zu verschlucken? Wie kommt man bald ohne Baustaub auf dem Jackett oder der Bluse zur Arbeit?
Sich bei der Stadtverwaltung beschweren? Einfach selbst Absperrzäune, Blinklichter, Bagger und andere Verkehrssicherungsgegenstände mieten, an die Straßenecke zu stellen und nach ein paar Wochen an die andere Straßenecke zu stellen? Aus diesem olympischen Gedanken heraus: Dabei sein ist alles? Die schönste Baustelle der Stadt zu küren? Baustellenpartys organisieren: mit Bauhelmen, Bollerwagen und Bauarbeiterfrühstück (Bier) um die Blocks ziehen? Oder Baustellen-Golf spielen. Bei 18.000 Löcher in der Stadt können 1000 Menschen ihren individuellen 18-Loch-Parcours spielen.

(Die Verschwörungstheorie im Twitter-Format: Die vielen kleinen Baustellen sollen nur für die kommenden fünfzehn Jahre Großbaustelle „Stuttgart 21“ desensibilisieren.)

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Kleine Baustelle im oberen Schlossgarten.

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Große Baustelle im mittleren Schlossgarten.

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Marienstraße: Neuer Gehweg, neue Straße, alter Gehweg (von links nach rechts)

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Rotebühlstraße: verengte Fahrbahn, Gehweg auf Straße, Abgesperrter Gehweg (v.l.n.r.)

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Rotenwaldstraße: Fahrbahnverengung an eine der wichtigsten Ausfahrtstraßen Stuttgarts. Abschnittsweise wurde die Rotenwaldstraße aufgerissen und Rohre verlegt. Erfolgreiche Geschwindigkeitsreduzierung des Berufsverkehrs oder notwendige Baumaßnahme?

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Im Untergrund wird auch gebaut. Z.B. feuerfeste Fluchttreppen in den S-Bahn-Haltestellen Hauptbahnhof, Stadtmitte und Schwabstraße. Oder einfach so irgendwas monatelang reparieren: Haltestelle Universität.

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U-Bahn-Station Staatsgalerie: Manchmal sollen in Stuttgart auch ganze U-Bahn-Stationen umgebaut werden wie bei einer Modelleisenbahn. Die wichtigsten Knotenpunkte Charlottenplatz und Staatsgalerie werden im Laufe der nächsten zwei Jahre monatelang geschlossen.

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Zur Zeit die beliebtesten Verkehrsschilder in Stuttgart: Fußgänger und Fahrradfahrer dürfen irgendwo nicht durch. Autofahrer müssen Umwege fahren und im Stau stehen.

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Tübinger Straße: Rund ums Gerber-Einkaufszentrum werden Kunstrasenmatten auf provisorische Schotterwege gelegt. Aber warum eigentlich?