Jetzt werden wieder massenweise falsche Fuffziger in Umlauf gesetzt, diesmal für Dieter Hildebrandt. Der Kollege würde sich im Grabe rumdrehen, tät‘ er hören, was ihm nachgerufen wird. Damit nicht auch das noch passiert, wird er sich wohl verbrennen lassen.
So gemein ist das Leben: Du warst jahrzehntelang aufmüpfig, frech, eine Münchner Schnodderschnauze aus Breslau, hast den Hartleibigen im Lande den Magen rumgedreht und den Goldfingern den Stinkefinger gezeigt – es wird Dir nichts nützen: Sie weinen, schluchzen, trauern, finden ganz, ganz große Worte, beteuern, dass der Verlust unersetzlich ist, daß man solche Dich braucht. Gestern noch haben sie Dir das Mikrofon abgedreht, Filmriss im Studio, haben Dich abgehört, verscheissert. Jaja, sie haben auch den Deckel gelupft, den Hut gezogen vor Dir, wer weiss, werden sie sie sich gesagt haben, vielleicht knöpfst Du sie Dir ja doch mal vor.
Deine Gewitter haben jedes Wetter in den Schatten gestellt.
Jetzt werden sie sich streiten, wer wie lange reden darf bei Deiner Trauerfeier, wer in der ersten Reihe sitzen darf neben dem Intendanten und den Honoratioren. Aber vielleicht hast Du ja vorgesorgt, Du weisst schon: „In aller Stille“.
Nein, das politische Kabarett ist nicht tot, wie der entertönende Scheinkollege Harald Schmidt – der vom Flachbildschirm – – offenbar meinte, als der die politischen Kabarettisten, die scharfen Alten im Fernsehen, neulich madig machte. Gemeint hat er mit den Alten offenbar die Hildebrandt, Schramm, Priol, die Polt, Zimmerschied & Co. Die sind lebendiger als die Demokratie in diesem Lande, das scheintote Luder, mißbraucht, gebenedeiht, gedemütigt und immer wieder auferstanden aus Ruinen. Tot sind die Sender, die öffentlich-rechtlich alles Anspruchsvolle, alles Kritische an den Rand des Tages schieben, je später, je lieber – wenn überhaupt. Und scheintot sind die verschnorchelten Rundfunkräte, die zusehen, wie den Sendern die Luft zum Atmen genommen wird. Tot ist die Unabhängigkeit der Presse, tot sind die Feuilletons und politischen Magazine, die die Zeit der Unkultur nicht begreifen und die einem Hildebrandt jetzt dicke Krokodilstränen nachweinen.
Der meinte: „Die Öffentlich-rechtlichen machen sich in jede Hose, die man ihnen hinhält. Und die Privaten senden dann, was drin ist.“
Dieter Hildebrandt stand für eine andere Kultur, für eine andere Republik, für eine andere, eine radikale Demokratie, zu der es noch ein ganzes Stück hin ist. Mit solcher Weltanschauung haben die meisten Nachrufer nichts am Hut. Sie haben sich bei keiner Demo schmutzig gemacht, sie denken, Lampedusa ist eine Hautcreme, kennen Mutlangen nicht mal vom Hörensagen. Aber sie kürzen bei nächster Gelegenheit die milden Gaben für Soziales und kritische Kultur. Sie setzen immer Prioritäten – für Schnelle Eingreiftruppen, Auslandseinsätze, Drohnen, Notstandsgesetze und den Überwachungsstaat. Etwas Sonne am Grab reicht ihnen, wenn Du weisst, was ich meine, Alter.