Am Abend des 27. Februar 1933 brennt in Berlin der Deutsche Reichstag – und der fliehende Holländer Marinus van der Lubbe wird als Brandstifter festgenommen. Ein Rätekommunist, wenn Sie wissen, was ich meine. Die laufen heute noch rum, mit rot-schwarzen Fahnen. Damals, in den Zwanziger Jahren, erkannten sie früh, daß die Partei, die Partei nicht immer recht hat – eine Erkenntnis, die sich leider nicht besonders durchgesetzt hat. Der Reichstagsanzünder van der Lubbe jedenfalls handelte nicht im Auftrag einer Partei, und „der“ schon gar nicht, sondern ähnlich wie Georg Elser, Hitlerattentäter und unser Mann in München, eigensinnig und eigenverantwortlich. Der Widerstand gegen den aufkommenden Naziterrors war’s bei dem einen, beim anderen die Gewißheit: Hitler bedeutet Krieg.
„Wer nichts erwartet, wird auch nicht enttäuscht“ – mit dieser Lebensweisheit sah meine Omi Glimbzsch in Zittau dem Sozialismus entgegen, nachdem vorüber war, was niemand gewußt haben wollte und bei dem niemand dabei gewesen war. Nach 45 konnten man in die Hände spucken, es war so um die Stunde Null herum. Auschwitz war befreit, und viele beklagen die Niederlage je heute noch – und mit ihr den Verlust von Rittergütern, Schlössern in Böhmen und Mähren und den Kolonien in Afrika. Ebenso viele wollen auf Teufel komm’ raus von dem ganzen Gepretzte nischt mehr hörn und suchen ihre letzte Ruhe im Dschungelcamp. Unterdessen ziehn jodelnd die neuen Nazis durch Wald und Feld, reparieren nicht nur in Thüringen auf verlotterten Spielplätzen Kinderschaukeln, besorgen neuen Sand für die Sandkästen – und wenn’s glatt ist, für den Fußgängerüberweg in Zittau, weil der Kommune das Kleingeld fehlt. Was an Sand übrig bleibt, ist für die Augen. So ist allen geholfen.
Rechtzeitig zum Holocaust-Gedenktag wird so mancher Beratungsstelle gegen Rechtsradikalismus der Haushalt gekürzt – guter Rat ist eben doch zu teuer. Um bei der Stunde Null anzufangen – Sorry, 45 war keine Zäsur. Denn das NS-Regime verdankte seine Legitimität keineswegs nur der Gewalt, sondern mindestens ebenso der Bereitschaft den vielen Deutschen, aus Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit, sozialem Eigennutz und politischer Selbstgerechtigkeit den Kopf in den Sand zu stecken.
Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftigt sind!
Seid mißtrauisch gegen die Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen! Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt! (Günter Eich: Träume, 1950).