Ich danke Euch, Freunde, für dieses überwältigende Fest. Es ist mir wohl ergangen in den Jahren mit Euch, mit Euch und allen, die nicht aufs eigene Wohlergehen bedacht sind. Wenn die Köpfe sich selbständig machen vom Zeitgeist und nicht nur für sich denken, wenn der Kopf das Herz befragt und die Sinne, wenn unser Gefühl für Verantwortung zunimmt, wenn wir das Wort Allmende nicht altmodisch finden, wenn wir aufrufen und uns aufgerufen fühlen, kreativ, selbständig handelnd einzugreifen, anzustiften, auf der Straße zu sein statt hinter dem Ofen in kalten Zeiten: Dann sind die Äcker bestellt. Wenn die Saatkrähen nicht kommen.
Das wirklich Politische, liebe Bürgerinnen und Bürger, ist immer das Praktische. Was nützen uns Godesberger Programme, wenn sie in Gütersloh von Bertelsmann auf den Kopf gestellt werden?
Was bleibt von der sozialen Kompetenz der SPD auf dem Papier? Hartz IV im Alltag + Cross Border Leasing auf 100 Jahre – und wie zur Strafe für die Armen werden dann auch noch die Sozialwohnungen verscheuert. Da wünsch ich mir den Mieterstreik, die Besetzung der Rathäuser und Parteizentralen und daß der ziviler Ungehorsam wie ein Flächenbrand über die Städte kommen möge. Das hilft der Demokratie auf die Beine – und nicht das Bett in der Mitte des Bordells der guten Gesellschaft – da, wo die Banker pennen.
Den meisten Menschen in unserem Lande ist nicht bekannt und schon gar nicht bewusst, was soziale Realität ist in einem der reichsten Länder der Welt. Nach wie vor wird Hartz IV von vielen nicht als das durchschaut, was es in Wirklichkeit ist: eine von Herrschenden gemachte Lebens-Katastrophe. Sie wird auch nicht kleiner und tolerierbar, weil es anderswo in der Welt ebenfalls Unmenschlichkeit, Elend und Not gibt.
Mit dem Projekt Hartz IV und einer Justitia, die im Park umhertappt mit verbundenen Augen,
wird hierzulande nämlich zweierlei getestet: die Apathie der Betroffenen, der Kaputtgemachten,
und die Gleichgültigkeit der Nicht-Betroffenen.
Die Testfrage lautet: Wie viel Schweinereien sind einer Gesellschaft zumutbar gegenüber den zur Minderheit gemachten und als solche ausgegrenzten Mitmenschen im eigenen Land? Wir müssen mit dem Herzen hinschauen, wenn wir die Welt und die Menschen verstehen wollen. Aufbegehren ist angesagt, Empörung! Dem Elend und der Widerwärtigkeit unser Trotz alledem! entgegenschleudern – und die mühsame Praxis des Handelns im Alltag. Wir dürfen uns Hoffnung auf Frieden, auf die andere, gerechte Welt nicht nehmen lassen – und im Kampf darum nicht verbittern, sondern heiter bleiben. 100 Jahre lang. Das schafft Ausdauer.
Politisches Engagement kann bescheiden beginnen. Wir haben nicht vor, heute oder morgen die Welt zu retten, auch wenn sie’s nötig hätte. Es reicht uns vorerst, ein paar Pflöcke in den Boden zu rammen.
Zivilcourage! Denn Zivilcourage ist die Voraussetzung für den Bestand der Demokratie.
Soziale und politische und kulturelle Netze knüpfen – und nicht auf Sieg setzen. Dabei haben wir es ja (relativ!) leicht, uns einzumischen, leichter jedenfalls als die Menschen in China und den USA, in Rußland, Nordafrika und sonst auf der Welt. Auch wenn wir es leicht haben, haben wir es nötig, aufzubegehren, aufzumucken, laut zu sein. Denn die Waffenbrüder der Unterdrücker
sitzen nebenan in Oberndorf und in den Kabinetten der Regierenden. Es sind die Steigbügelhalter der Kriege, die Profiteure des Hungers, die Lieferanten von Minen und Stacheldraht nicht nur in Syrien und Libyen, nicht nur heute und gestern, sondern seit Jahrzehnten. Die Waffenbrüder handeln offen und öffentlich, sie haben den Segen von oben und unten und halten alle erforderlichen Genehmigungen in der Hand, um den Tod zu exportieren: Sie schaffen Arbeitsplätze hier und reden nicht von den Toten dort.