Bürgerbrief 68

Liebe Bürgerinnen und Bürger,der Hass ist groß, der uns nun vielen Seiten entgegenschlägt, viel Anonymes, Drohanrufe, Schadenfreude nach der verlorenen Volksab- stimmung. Man mag nun hadern, mit Recht, daß wir gute Argumente hatten – und schlechte Karten, was die Chancengleichheit so einer Wahl angeht. Und darob rieb sich so mancher Empfänger dieser Botschaft verwundert die Augen: Wie ich denn dazu käme, eine noch nicht vollzogene Wahl anzuzweifeln? Ja, und wie man denn beim Nichterreichen der Ziele weiter zu Ungehorsam und Verweigerung auffordern könne? „Da ist mein Demokratie- verständnis am Ende“, schreibt mir Iris.
Es ist schwer zu sagen, wie „Demokratie“ richtig geht. Sie geht auf jeden Fall nicht so, daß wir unsere Meinungen, unsere Courage, unsere Forderungen nach einer anderen Ver- fassung im Tiefkühlschrank einfrieren. Nichts von unseren Befürchtungen und Sorgen ist mit dem Wahlergebnis weggewischt. Die vielen Erfahrungen, die die Menschen mit diesem Land, in dieser Stadt machten, lassen sich nicht einfach mit 52 % Nein-Stimmen ausra- dieren! Und ganz unabhängig von rechtlichen Fragen kann doch keine gute Demokratin, kein Demokrat ernsthaft bestreiten, dass es eine massive Wahlbeeinflussung z.B. durch den Brandbrief des Oberbürgermeisters an jeden Einwohner gegeben hat. Nicht nur hier, nein, landauf, landab fühle sich jeder Schultes berufen, seinen Schäflein einzuhämmern, daß es „Ja zum Ausstieg“ nicht mehr und nicht weniger als den Untergang des Abendlands bedeuten würde. Auch die Tatsache, daß der jetzige (gute, alte) Kopfbahnhof heute schon mehr leistet als jeder neue Untergrundbahn- hof, läßt sich doch nicht durch den Ausgang der Sonntagswahl vom Tische wischen, nicht die begründete Sorge, dass dieses „Wasser- management“ in diese Hose gehen könnte wie eine Bankenrettung! Unterm Kostendeckel lauert Gipskeuper! Klar, den kann man, wie das Mineralwasser, auf den Ausgang der Abstimmung hinweisen. Man den Bäumen sagen, daß sie durch die Volksabstimmung und die „Schlichtung“ vertraglich verpflichtet sind, nicht zu sterben. Aber ob das hilft?
Jetzt ist aber Schluß mit lustig, rufen die Neinsager. Sie würden am liebsten jede wei- tere Kundgebung verbieten, jedes Argument, daß sie vorher nicht hören wollten, auch jetzt im Glühwein des Weihnachtsmarktes erträn- ken. So wie es unter uns vernünftige Leute gibt, gibt’s die auch auf der anderen Seite des Nesenbachs. Der Vernünftigen aller Seiten und jenen, die der Vernunft vorauseilen wie Boris Palmer (der ausgerechnet dem Herrn Oettinger versprochen hat, ab sofort keine Versammlung der Kopfbahnhoffreunde mehr zu besuchen), allen denen sagen wir: Den Schneid lassen wir uns nicht abkaufen,nicht das Recht auf Meinungs- und Versammlungs- freiheit! Wir sind doch nicht in China! Nicht die erste Bürgerpflicht, unruhig zu bleiben, wie es Gustav Heinemann forderte. Den kritischen Staatsbürger, die aufmüpfige Staatsbürgerin kriegt ihr nicht mehr weg. Wir bleiben zivil, wir bleiben freundlich, bleiben hartnäckig. Wir lassen uns nicht provozieren, nicht von be- zahlten Provokateuren, nicht von Leuten, die drohen, uns die Fenster einzuschmeißen, die Autoreifen zu zerschneiden und die Zelte an- – zuzünden. Wir bleiben, was wir waren: Unein- sichtig, kontrovers, bunt, ungehorsam, nach- denklich, neugierig auf die Zukunft. Bahnhof – das heißt für uns: liebevoll umgehen mit der Natur und den Menschen, keine Verschleude- rung von Geld in einer Zeit, in der Menschen hungern.Keine naive Technikgläubigkeit, kei- ne Auslieferung des Landes an Banken und Finanzwirtschaft. Wir werden auch künftig unabhängig bleiben und selbständig politisch handeln – für ein weltoffenes, tolerantes Land.
Wer oben bleibt, schafft das! Am 3.12. von 14-18 h diskutieren wir auch darüber – bei der öffentlichen Jahrestagung der AnStifter (siehe Rückseite). Toll, auf Sie und wir alle auf die Beine gestellt haben, sagt Ihr Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

6 Gedanken zu „Bürgerbrief 68

  1. Hallo Peter Grohmann
    die Bürger dieses Landes habe ich für sehr viel dümmer gehalten. Gerade diese Volksabstimmung konnte mich davon überzeugen. Kultur setzt Freie voraus! Geistige Freiheit ist das wesentlichste Merkmal der Kultur. Erstaunlich viele Menschen haben den Manipulationen derer widerstanden, die sich lediglich darauf verstehen Demokratie zu benutzen und dadurch zu mißbrauchen. Schon die Landtagswahl hat gezeigt, dass die Menschen im Ländle durchaus in der Lage sind analytisch zu denken und sie sich die Freiheit nehmen, selbst zu denken und nicht denken zu lassen, wie es die Gegenseite gerne hätte. Mir hat diese Volksabstimmung gezeigt, wie wichtig es ist, vermittels freiem Denken die Demokratie vor denen zu schützen, welche glauben, dass Demokratie im Dienst des Geldes zu stehen hat. Deren falsches Verständnis von Kultur in einer Gesellschaft dient keineswegs dem Fortschritt der Menschen. Sie liegen restlos falsch mit ihrer Annahme, dass das Wesentliche der Kultur materiellen Errungenschaften zu dienen hat.
    Die jubelnden Befürworter haben nicht verstanden, dass sie mit dieser Volksabstimmung einen mächtigen Verlust eingefahren haben. Es ist jeweils ihr persönlicher Verlust an Glaubwürdigkeit und die Beschädigung der Demokratie. Ihr Angriff auf die Freiheit des Denkens ist ein Eigentor.
    Mich macht es stolz, daß soviele Menschen bewiesen haben, daß trotz der massiven Beeinflussungen jener, welche den Spekulanten den Trichter hinhalten, die Ansprüche an Kultur und Ethik gewachsen sind.
    Verständlich, dass dies bei jenen, hasserfüllte Alarmstimmung erzeugt, welche dieses Land als Pfründe sehen für ihre persönlichen Interessen.
    Diese Wahl haben wir nicht verloren! Sie wurde verloren vom Heer der Nichtwähler und von geldgierigen Dumpfbacken auf der Betreiberseite.
    Es gibt keinen Grund, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, sondern wir sind jetzt erst recht in der Verpflichtung unserer Demokratie freies Denken zu erhalten und zu mehren. Das ist der einzige Weg, der zu einer Kultur für die Menschen führt und weg von einer Subkultur der Geldgier und Dummheit!

  2. Im vorausgehenden Kommentar fehlt ein wichtiger Doppelpunkt am Ende der zweiten Zeile.
    So wäre es richtig gewesen :-)
    „Gerade diese Volksabstimmung konnte mich davon überzeugen:“
    ….

  3. Was für eine anmaßende Haltung, wenn nur die eigene Meinung nicht dumm, nur sie alleine als „demokratisch“ und „frei“ empfunden wird; wenn den anderen „eigenständiges Denken abgesprochen“ und die Unterlegenheit in demokratischen Entscheidungen darauf zurückgeführt wird, dass „massiv beeinflusst“ wurde. Was ist das für ein „freies Denken“, das die, die eine andere Meinung haben, als „geldgierige Dumpfbacken“ beschimpft und sie einer Subkultur der Geldgier und Dummheit zuordnet.

  4. Lieber „Hugo“
    Sie machen es sich schon sehr einfach.
    In Sachen S21 sagen die objektiven Daten, daß der tiefergelegte Bahnhof nichts besser kann als der nachgebesserte Kopfbahnhof.
    Die Argumente dazu kann man widerkauen bis zum Kotzen.
    Es würde nichts nützen, denn die Gegenseite ist erkenntnisresistent, weil sie es sein möchte! Esgeht schließlich um die Spekulationen um das frei werdende Gleisgelände.
    Die Medien haben traditionell keine Unabhängigkeit und manipulieren die Meinung der Menschen.
    Das ist alles nicht neu und hat seine eigene menschenfeindliche Logik.
    Albert Schweitzer hat es gewusst. Er sagte: „Wo die Kollektivitäten stärker auf den einzelnen einwirken, als er auf sie zurückwirkt, entsteht Niedergang.“
    Wie recht er doch hatte.
    Unsere (politische) Kultur hat sich materiell viel stärker entwickelt, als geistig. Ihr Gleichgewicht ist gestört.
    Hätte man unmittelbar nach den Gesprächen mit Heiner Geißler abgestimmt, wäre S21 erledigt gewesen.
    Man hat leider einer unglaublichen Meinungsmanipulation Zeit gelassen die Menschen dumm zu quatschen.
    Der sogenannte Streßtest war ein Witz und wurde unfair ausgeschlachtet.
    Es ist doch einfach so, daß objektiv gesehen nur eine Seite der strittigen Parteien recht haben kann. Die mit den Wasserwerfern sind aber eher nie auf der Seite des Rechts!
    Die Menschen haben auch ganz andere Probleme. Weil einige Geschäftsleute schneller von Paris nach Sonstwo kommen möchten, muss das bei der Mehrheit der Menschen nicht unbedingt Vorrang haben.
    Das haben eher Fragen wie solche: Womit kaufe ich den Kindern Schuhe, wo bekomme ich Arbeit um die Familie selbst ernähren zu können usw…usf! Ich bin kein „Bilderstürmer“ aber ich setze Prioritäten.
    Sie glauben, dass wir in der Regierung keine Dummköpfe haben?
    Dann erklären Sie mir mal deren Umgang mit Geld.
    Dann erklären Sie mir mal den Moloch Bürokratie, der alles lähmt und Unsummen kostet. Dann erklären Sie mir mal, warum das Land mehr und mehr an die Wand gefahren wird. Warum eine Frau Merkel einen hilflosen Murks hinlegen darf in Sachen Bankenkrise! Warum dieselbe mit dem Möchtegern Napoleon „Politik“ macht, anstelle die Banken so zu kontrollieren, dass sie wieder Dienstleister sind und nicht Schuldentreiber.
    Dann erklären sie mir mal, warum unsere Gut-Regierung Schulden macht wie die Sautreiber. Warum sie das Geld zuerst den Menschen nimmt, um es dann wieder mit Verlust an einen Teil der Menschen zurück zu geben.
    Warum Tag und Nacht „Geld“ gedruckt wird und damit ein immer größeres Chaos anrichtet. Dann erklären Sie mir mal, warum wir diesen Wahnsinn von den Medien auch noch schön geschwätzt bekommen.
    Und am Schluss sagen Sie mir bitte auf welchem Planeten Sie selbst leben.
    Sie erkennen die offensichtlichsten Probleme nicht und maßen sich an etwas besser zu wissen?
    Lächerlich!
    Sie würden es nicht einmal merken, wenn die russische Maffia im Land regieren würde!

  5. Lieber „Hermann Palmer“,
    haben Sie nicht gemerkt, dass ich mich NICHT FÜR Stuttgart 21 ausgesprochen habe?

  6. Lieber Hugo

    es mag schon sein, daß ich etwas mißverstanden habe.
    Die Vorgänge um Stuttgart 21 zeigen mir mehr und mehr, was in diesem Land falsch läuft.
    Die Ohnmacht, welche man dabei empfindet, läßt schon mal zu, daß man gar nicht mehr richtig zuhört, sondern nur noch Gegner sieht.
    Das muss man freilich relativieren.
    Wenn ich Dir Unrecht getan habe, bitte ich Dich mir das zu verzeihen.
    Für mich ist ausreichend bewiesen, daß die Tieferlegung des Bahnhofes nicht dringend erforderlich ist. Ich habe die Überzeugung, daß es vielmehr um ganz Anderes geht. Vermutlich in erster Linie um das frei werdende Gleisgelände hinter dem Bahnhof. Ein Gelände für Spekulanten.
    Ein Gelände, das es wert zu sein scheint, Menschen mit Wasserwerfern zu beschießen. Das es wert ist die Demokratie zur Farce werden zu lassen. Man manipuliert die Meinungen, man lügt und betrügt. Und die Menschen, welche eigentlich ganz andere Sorgen hätten in dieser Zeit, müssen das letztendlich bezahlen.
    Ich bin fast 68 Jahre alt und ertrage diesen Dreck nicht mehr.
    Das macht mich manchmal ungerecht und versieht mich schon mal auch mit Scheuklappen.
    Dass Du Dich (nach Deiner Aussage) NICHT für S21 ausgesprochen hast ehrt Dich und setzt mich offensichtlich in’s Unrecht.

    mfG
    Hermann Palmer

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