Im Bundesmilitärarchiv Freiburg werden die Hinterlassenschaften der Waffen-SS aufbewahrt – ansehen darf man sie nur mit Erlaubnis der ehemaliger SS-Leute
Freiburg im Breisgau – Dem Autor Franz Josef Merkl verschlug es bei Recherchen im Bundesmilitärarchiv in Freiburg beinahe die Sprache. Im Rahmen seiner Forschungen über Material zum Mörder der „Männer von Brettheim“, den ehemaligen SS-General Max Simon, war er zwar fündig geworden, durfte aber die Quellen nicht nutzen. Das sei erst möglich, wenn er für die Einsichtnahme die Genehmigung eines verantwortlichen Mitglieds der HIAG, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V.“ erhalte, wurde erklärt. Wg. Benutzungseinschränkung. Ohne grünes Licht von Seiten des dafür Verantwortlichen, eines ehemaligen Obersturmbannführers der Waffen-SS, müsse er auf diese Archivalie verzichten, hieß es aus Freiburg lapidar.
Merkl hatte Glück: dank seines Hinweises auf eine langjährige Dienstzeit bei der Bundeswehr gestattete ihm der SS-Interessensverwalter die Nutzung des in Freiburg lagernden Bestandes.
Dieser Bestand hat es in sich: denn seit einigen Jahren befinden sich in den Räumen des Militärarchivs, einer formal dem Bundesarchiv in Koblenz unterstehenden Einrichtung, meterlange Archivmaterialien der lange Zeit vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften HIAG. Allein auf stolze 25,8 laufende Meter bringt es in Freiburg dabei die Hinterlassenschaft der „Kameradschaft des XV.Kosaken-Kavallerie-Korps“ und immerhin noch aus 19,6 Regalmetern besteht der Nachlass von Wolfgang Vopersal, dem ehemaligen Dokumentar der „HIAG“, der das braunes Schrifttum dem Militärarchiv anvertraut hat, wo es seitdem gut klimatisiert und sicher verwahrt auf Steuerzahlers Kosten lagert. Dabei handelt es sich um schwerverdauliche Materialsammlungen und Titel wie „Soldaten, Kämpfer, Kameraden“ oder „Im gleichen Schritt und Tritt“, die einzig dem Zweck dienten (und von interessierten Kreisen nach wie vor dazu benutzt werden), alte Legenden zu konservieren und neue Epen über die Heldentaten der alten SS-Kameraden zu streuen. Und dies alles, ohne dabei befürchten zu müssen, dass womöglich ein Unbefugter seine Nase in die Propagandablätter stecken könnte.
Dabei wäre die Beschäftigung mit der „HIAG“- Hinterlassenschaft für die zeitgeschichtliche Forschung in der Tat hoch interessant, denn allein mit dem von Autor Merkl gesichteten Material lässt sich beispielhaft nachweisen, mit welcher Raffinesse die SS-Seilschaften nach dem Krieg ihre Legenden streuten, wenn einem der Kameraden womöglich eine gerichtliche Verurteilung wegen der massenhaften Erschießung von Zivilisten drohte. Den SS-General Max Simon hatten sie gar in einen Regimegegner umgefärbt. Deutlicher können die Versuche der nachträglichen Geschichtsklitterung gar nicht dokumentiert und nachgewiesen werden –um aber genau dieser Gefahr zu begegnen, haben sich die ehemaligen SS-Leute beim Bundesarchiv als Sicherung die alleinige Nutzungshoheit zusichern lassen.
Man sei sich der Problematik einer vom Steuerzahler finanzierten Archivierung rechtsextremen Gedankenguts durchaus bewusst, heißt es auf Anfrage aus dem Militärarchiv in Freiburg. Andererseits sei keiner der Nachlassgeber rechtskräftig verurteilt worden und späteren Historikern ermögliche man mit der Bewahrung dieses SS-Bestandes irgendwann einmal Recherchen in Beständen, die ansonsten womöglich für immer verloren wären.
Selbstverständlich ließe sich über die Frage des ausdrücklichen Genehmigungsvorbehaltes durch ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS trefflich diskutieren und natürlich könne von vorauseilendem Gehorsam der Bundesbehörde keinerlei Rede sein…
Wie sich die Sachlage in Wahrheit darstellt, zeigt der Fall des SS-Generals Max Simon, über den in Freiburg im „Bestand RS 7“ hochinteressante Materialien gelagert werden. Ausgerechnet Simon, der gleich zu Beginn der Nazidiktatur die berüchtigten Wachkommandos in den neu eingerichteten Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau befehligte (zeitweise fungierte er gar als KZ-Kommandant), war nicht nur für die Morde im baden-württembergischen Brettheim am 10.April 1945 verantwortlich, sondern hat auch die Erschießung von mehreren hundert Menschen beim Rückzug aus Italien auf dem Gewissen. In seinem Buch „SS-General Max Simon – Lebensgeschichten eines SS-Führers“ weist Franz Josef Merkl akribisch nach, wie die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V.“ versucht hat, auch diesen Massenmörder reinzuwaschen. Beispielsweise hatte sich der SS-General vor Gericht mithilfe publizistischer Unterstützung der Kameraden zum „Retter von Rothenburg“ hochstilisieren können – inzwischen konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass dieses Verdienst eindeutig dem US-General John McCloy zusteht.
Abhängig war die Publikation dieser Forschungsergebnisse allein von der Genehmigung eines ehemaligen Mitglieds der Waffen-SS, das sich in diesem Fall falsche Hoffnungen über das eigentliche Ziel der Publikation gemacht hatte!
„Nicht wegschauen – sondern hinschauen!“ heißt es in der Gedenkstätte „Männer von Brettheim“ in dem gleichnamigen kleinen Dorf unweit von Schwäbisch Hall. Die Haltung des Bundesmilitärarchivs in Freiburg ruft hier vor allem eines hervor: Kopfschütteln.
„Wie kann man nur auf Steuerzahlers Kosten ewig gestrige Archivgut pflegen, ohne auf dessen Verwendung Einfluss nehmen zu können?“ fragt man sich in Brettheim verwundert.
Wie in jedem Jahr findet auch heuer wieder am 10. April 2010, dem Jahrestag der Morde von Brettheim, unter den Friedhofslinden eine Gedenkfeier zu Ehren der Opfer statt. Als Redner konnte Christian Dumon, der französische Generalkonsul in Stuttgart, gewonnen werden.
geha