Neujahrsempfang
Aus dem Redemanuskript von Peter Grohmann

Hochverehrte Gästeschar

Etliche Fundamentalisten warnten einst
den kurdischen Genossen Hodscha Nasreddin:

„Wir haben Angst um Deine Seele, Bete!
Der Messias kommt. Bete – oder verlasse die Stadt!“
Hodscha Nasreddin, der Weise aus dem Morgenland, blieb gelassen:

„Nu“, sagte der Hodscha den Fundamentalisten,
„wenn er kommt, der Messias, dann werd’ ich sofort gehen.
Aber bis dahin habe ich noch viel zu erledigen!“

So gesehen, hat unser Weiser aus Morgenland viel erledigt.
Und das mit dem Messias wird vermutlich noch ganz schön dauern,
so wie ich die Messiasse kenn’.

Die Fundamentalisten von einst sind immer auch unter uns,
liebe Gäste. Nicht nur das: Häufig sind wir selbst die Fundamentalisten.

Nehmen Sie zB das antiautoritäre, libertäre Freie Radio für Stuttgart,
ein Hort der Wahrheit, Reinheit und Aufklärung, des Guten schlechthin.
Dort bearbeiten einige AnStifter eine monatlichen Sendung:
den AnStifterFunken, Frequenz 99,2, jeden 2. Dienstag mtl. 22-24 h.

Burkhard Heinz schilderte nun in einer heiter-satirischen Bemerkung
auf unserer Webseite spezielle Schwierigkeiten,
die bei solchen Sendern wie unserem mitunter auftauchen
und schreibt da en passant etwas von den Kulleraugen
eines Schwarzen Mannes.

Eine Bemerkung, die Folgen hatte, denn Burkhard
wurde vors Plenum des Freien Radio zitiert.
Vorwurf: die Bemerkung ist rassistisch.

Kein Mensch regte sich in dieser Stadt groß auf,
als der mit den Kulleraugen in einer Polizeizelle elendlich verbrannte.
Ouri Jallow.
Wir waren bei unserer öffentlichen Trauer auf dem Schloßplatz allein.
Die Genossen hatten keine Zeit.

Ich will nun überhaupt nicht auf den Asylanten herumhacken,
da sie ja bereits zu tausenden unter unseren Augen
im Mittelmeer ertrunken sind.

a) weil es nicht Asylanten heißt,
sondern Asylbewerber oder Bootsflüchtlinge,
von denen es viele eben nicht bis zum Boot schaffen
und erst recht nicht an die abendländischen Küsten, und

b) weil es immer so traurige Geschichten sind,
die einen furchtbar herunterziehen,
noch furchtbarer,als die Wahlergebnisse der SPD in Dresden.
Was den Rassismus angeht, haben nun ja jedes Jahr
anstifterseits beim Arbeitskreis Asyl
den Tag des ausländischen Flüchtlings gefeiert.

„Wir“ ist bissel übertrieben gesagt, aber unter den 400 Leuten,
die sich jedes Jahr im Gewerkschaftshaus
politisch-gesellig versammeln, waren bestimmt 10 % Deutsche:
in voller Solidarität mit jenen,
deren Kulleraugen auch immer ganz traurig kullern.

Sie laden uns ja jedes Jahr ein,
zum Tag des ausländischen Flüchtlings.
Sie meinen es auch gut
und tanzen uns was vor und sagen Gedichte auf,
in ihrer Heimatsprache also, Hindu oder Nepalesich
oder weiß Gott was,
und dann kochen sie uns kurdische Süppchen
und tamilischen Reis und tanzen und freuen sich wie kleine Kinder,
wenn wir uns freuen – wir, der bessere Teil der Parallelgesellschaft.

Ja, das ist Solidarität. 10 % eben.
Aber wir haben Termine.
Ich mußte ja auch gleich weg.
Plenum beim Freien Radio zum Beispiel oder Arbeitskreis Theorie.

(weiterführender Link)

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz