Täter? Landgericht 10.12. 11.00 h

Das Buch „Stuttgarter NS-Täter“ kann über uns bezogen werden (Mail genügt, siehe auch: Kaufrausch). Es wurde in der Stuttgarter Zeitung zum wichtigsten Stuttgarter Buch des Jahres erklärt. In einer langen Liste werden Helfer, Täter und Profiteure des faschistischen Regimes fundiert aufgeführt: „Mit Ausnahme von Ferdinand Porsche sind fast alle in diesem Buch vorgestellten Männer nahezu unbekannt. Es sind Richter, Ärzte, Unternehmer, Gemeinderäte, Gestapo-Leute, KZ-Aufseher oder Denunzianten. Viele von ihnen waren nicht nur lokal bedeutsam, sondern auch reichsweit oder in den von Deutschland besetzten Gebieten…

Für die Nachkommen der Täter ein schmerzhafter Prozeß, aber notwendige Auseinandersetzung. „Ursula Boger ist die Enkelin eines Täters, des – verurteilten – Auschwitz-Folterers Wilhelm Boger. In einem Beitrag im Buch stellt sie sich der Auseinandersetzung mit diesem Kapitel ihrer Familie genau wie Malte Ludin, dessen Vater Hanns Elard Ludin als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Eine schmerzhafte Auseinandersetzung, wie Ursula Boger, mit den Tränen kämpfend, bekannte. Aber es sei notwendig: Das, so Abmayr, habe ihm auch Helga Breuninger versichert, die nicht dagegen protestierte, dass ihr Großvater Alfred Breuninger als „Nazi-Profiteur“ gelten muss.“ (1)

Doch Volker Lempp, Rechtsanwalt in Stuttgart, geht wegen des Kapitels über seinen Großvater Karl Lempp, ehemals Leiter des Städtischen Kinderheims sowie des Städtischen Gesundheitsamtes gerichtlich gegen das Buch „Stuttgarter NS-Täter“ vor. (2)

Karl Lempp war laut Darstellung des Buches als leitender städtischer Beamter beteiligt an Zwangsterilisierungen und an Kindereuthanasie. Zu dieser Erkenntnis kam auch der Theologe und Sozialpädagoge Ernst Klee in seinem 1983 erschienenen und bis heute populären Buch „Euthanasie im NS-Staat“: „Er listet zahlreiche dieser Kinderfachabteilungen in ganz Deutschland auf, auch der Eintrag „Stuttgart Städtisches Kinderheim, Leiter Dr. Lempp“ findet sich.

Ernst Klee stützt sich dabei vor allem auf die Aussagen von Hans Hefelmann und Werner Heyde, die als hochrangige Berliner Euthanasie-Gutachter maßgeblich an der Mordaktion beteiligt waren. Werner Heyde hatte sich nach dem Krieg unter falschem Namen eine neue Existenz aufgebaut und wurde 1959 enttarnt. Nach einer mehrtägigen Flucht stellte er sich der Justiz. Verhandelt wurde sein Fall jedoch nie: Heyde beging im Februar 1964 Selbstmord.

Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung will der Anwalt jetzt den Verleger Hermann G. Abmayr zwingen, die Verbreitung des Buches „sofort und so lange einzustellen, bis die Seiten, die Herrn Dr. Karl Lempp betreffen, aus dem Buch entfernt oder unkenntlich gemacht worden sind, einschließlich der Namensnennung auf der rückwärtigen Umschlagseite und im Inhaltsverzeichnis“.

Der Antrag richtet sich auch gegen den Autor des Kapitels, Karl-Horst Marquart von der Stolperstein-Initiative Vaihingen und langjähriger Mitarbeiter im Städtischen Gesundheitsamt. Mit seinem Antrag wollte Volker Lempp laut Stolpersteininitiative auch verhindern, dass dieses Kapitel am Sonntagabend im Haus der Wirtschaft vorgetragen wurde. In dieser Hinsicht war sein Antrag bisher erfolglos, die Lesung konnte wie geplant stattfinden, wie die Stuttgarter Zeitung berichtete. Bemerkenswert ist, dass nach Ansicht der Stolpersteininitiative im Antrag auf Einstweilige Verfügung „keine einzige Textstelle des Buchkapitels nachgewiesen wird, in der falsche bzw. nicht beweisbare Behauptungen aufgestellt werden.“

Am 10.12. wird der Antrag vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Der Termin zur mündlichen Verhandlung ist festgesetzt auf Donnerstag, den 10. Dezember 2009, 11 Uhr, 1. Stock, Saal 155, Landgericht, Urbanstraße 20 (Gerichtsgebäude).

Dieser Rechtsstreit ist bezeichnend für die Art, wie in Stuttgart mit der NS-Geschichte umgegangen wird, insbesondere auch mit der überfälligen Aufarbeitung der Geschichte der Städtischen Ämter. Nicht umsonst fordern die in der Initiative Gedenkort Hotel Silber zusammengeschlossenen Initiativen und die AnStifter die Gründung eines Stuttgarter NS-Dokumentationszentrums.

Zunächst geht es jedoch um Solidarität mit zwei Mitstreitern in der Arbeit „gegen das Vergessen“ sowie um Widerstand gegen den Versuch, unbequeme Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Eine Möglichkeit, das zu unterstützen, ist neben dem Besuch der Verhandlung, das Buch zu kaufen und auch zu verbreiten. Das ist noch bis zum 10.12.2009 möglich.

Das 383 seitige Buch mit 48 Schwarz-Weiß-Abbildungen kann hier für 19,80 € bestellt werden.

Anmerkungen:
(1) Stuttgarter Zeitung 30.11.2009
(2) http: //www.stattweb.de/baseportal/NewsDetail&db= News&Id=6508

AutorIn: Trueten, Thomas

Quelle:http://www.stattweb.de/baseportal/NewsDetail&db%3DNews&Id%3D6538

aus statt-web, 3. Dez 09. (Stattzeitung für Südbaden im Internet). Redaktionell Einfügungen Peter Grohmann

PS.: Am 18. Januar 1940 – vor 70 Jahren – begann in
Grafeneck bei Münsingen die „Hauptprobe“ für Auschwitz.
Die Verantwortlichen taten in Stuttgart „ihre Pflicht, “
und als sie sich genügend qualifiziert hatten, in Auschwitz
und andernorts. Stuttgart hat sich immer geweigert, dieses
Kapitel seiner Geschichte „ordentlich“, wie man hier ja ist,
aufzuarbeiten. Stattdessen wurde gebremst, verhindert,
verseggelt, hinausgezögert, geschwindelt – und die
(steinernen Zeugen) der Geschichte für immer mundtot
gemacht – wie sich bei der Gestapozentrale ‚Hotel Silber’
wieder einmal zeigt (das Gebäude soll abgerissen werden).

Tatort Dorotheenstraße. 84 Seiten, 7,-
Peter-Grohmann-Verlag

Spur der Erinnerung – der Film zur Spur, die von Grafeneck
zum Stuttgarter Innenministerium führt, 31 Min, 14,95,
www.die-anstifter.de

Filmpremiere: 12.12.09, 15:30 h, Kino Atelier, Stuttgart
In Erinnerung an die so genannte „Euthanasie“:
Lesung aus „Stuttgarter NS-Täter“ m 17. oder 18.1.2010.

27.1., 20:30 h Theaterhaus: Den Hitler jag’ ich in die Luft.
Hellmuth G-. Haasis liest aus seinem Buch über Georg Elser.

29.1. und 2.2., Theaterhaus: Tanzdialog. Die Spur der
Erinnerung, künstlerisch umgesetzt in Text, Musik, Tanz.
Eine Werkstatt mit behinderten und nichtbehinderten Menschen.

Peter Grohmann
Thomas Trüten (vorderer Teil)
stattweb

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

6 Gedanken zu „Täter? Landgericht 10.12. 11.00 h

  1. Zur Vervollständigung der Kenntnisse über die gesellschaftsgeschichtlichen Hintergründe des Herrn Lempp als einstigem Leiter des Städtischen Gesundheitsamtes möge man in der Landesbibliothek einen Artikel in der Frauenbeilage des sozialdemokratischen „Vorwärts“ aus dem Jahre 1930 studieren, worin „Zwangssterilisationen von Minderwertigen nach schwedischem Vorbild“ gefordert werden.

  2. herzlichen dank für den hinweis! kann jemand eine kopie machen und uns zustellen?
    siehe auch: unser film am 12.12. (15:30h, nicht 16.00!! im kino atelier!)

    1. Sehr geehrte(r) Dr. von Olenhusen, bitte verwenden Sie dafür unseren Webshop „Kaufrausch“, wo Sie das Buch per Direktbestellung beziehen können. Hierzu klicken Sie einfach oben rechts auf der Website auf „Kaufrausch“ oder geben folgende Adresse in Ihren Browser ein: http://www.die-anstifter.de/shop Unter der Rubrik „Bücher“ finden Sie das Buch „Stuttgarter NS-Täter“. Sollte das alles nicht funktionieren, schicken Sie eine formlose eMail mit Ihrer Liefer- und/oder Rechnungsdaten an shop @ die – anstifter . de (ohne die Leerzeichen!). Vielen Dank!

  3. lieber peter grohmann,

    ich lese gerade, dass man versucht, euer buch zu torpedieren.
    ich lese zudem, dass es dabei in einem kapitel auch um hermann cuhorst geht.
    über diesen nazi-richter habe ich schon vor zwanzig jahren mit einem kollegen eine doku „im namen des gesunden volksempfindens“ für den damaligen swf gedreht. cuhorst war erwiesenermaßen ein juristischer bluthund, der unzählige todesurteile wg kleinerer delikte verhängt hat. für mich war er eine freisler-kopie der übelsten sorte. gegen unseren film hat damals auch seine tochter gewettert – ohne erfolg. die beweise waren zu erdrückend. bei mir stehen noch sechs prall gefüllte aktenordner zum fall cuhorst – kann ich helfen?
    gib einfach laut
    grüße
    holger reile
    http://www.seemoz.eu

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