Gentechnik ist keine Technologie, weil Technologie präzise ist
Dr. Arpad Pusztai ist einer der wichtigsten wissenschaftlichen Kritiker der Agro-Gentechnik. 1998 wurde Pusztai, ein bekannter Lektinforscher, über Nacht von seinem Arbeitgeber, dem Rowett Institute in Schottland, entlassen. Sein Vergehen: Er hatte Fütterungsstudien mit gentechnisch veränderten Kartoffeln durchgeführt und die Resultate der Öffentlichkeit präsentiert. Diese Ergebnisse stellten die Sicherheit genmanipulierter Pflanzen für den menschlichen und tierischen Verzehr grundsätzlich in Frage. Das Umweltinstitut München hatte Gelegenheit, Dr. Pusztai zu seinen Vorbehalten gegenüber der Agro-Gentechnik zu befragen.
Umweltinstitut München e.V. (UIM): Professor Pusztai, vor sieben Jahren wurden die Ergebnisse ihres Fütterungsversuchs mit gentechnisch veränderten Kartoffeln veröffentlicht. Worin liegt ihrer Meinung nach die heutige Bedeutung dieses Versuchs?
Arpad Pusztai: Meiner Ansicht nach ist es bis heute fast die einzige glaubwürdige Studie über die gesundheitlichen Effekte von gentechnisch veränderten Pflanzen, die ohne Einmischung der Industrie entstanden ist. Daher ist sie so objektiv wie nur irgend möglich. Zweitens hat die Studie ergeben, dass es Probleme mit gentechnisch veränderten Pflanzen gibt, die dringend gelöst werden müssen. Dies betrifft zum einen die Frage der veränderten Inhaltsstoffe von Genpflanzen im Vergleich zu nicht gentechnisch veränderten Pflanzen. In unserer Studie zeigte sich unter anderem, dass die gv-Kartoffeln veränderte Werte hatten. Wir müssen uns außerdem fragen, was mit dem Nachwuchs von Versuchstieren geschieht. Inzwischen wurde gezeigt, dass es dort zu Wachstumsdepressionen kommen kann. Wenn man das auf den Menschen überträgt, könnte das wichtig sein für die Entwicklung von Kindern, für die Entwicklung der inneren Organe, das Immunsystem und das endokrine System. Darauf gab es Hinweise in unserer Studie. Sie sollte unbedingt beachtet werden, als Vergleich zu Studien, die von der Industrie gezahlt wurden.
UIM: Das verwendete genveränderte Konstrukt in ihrem Versuch war kein gewöhnliches, wie etwa das Bt-Gen oder ein Gen für Herbizidtoleranz. Es könnte also Menschen geben, die sagen: Gut, vielleicht gibt es Probleme mit Lektinen. Das sagt jedoch über Bt-Pflanzen oder herbizidtolerante Pflanzen nichts aus.
Pusztai: Wir verwendeten dieselbe Technik, die in Monsantos Laboratorien verwendet wird, nur das Transgen war ein anderes, nämlich ein zuckerspezifisches Lektin. Unsere eigentliche Intention war die Entwicklung eines Standardverfahrens für Sicherheitstest von Genpflanzen in Bezug auf deren Gesundheitseffekte. Wir verwendeten die Kartoffel also lediglich als Modell; wir wollten etwas generell Gültiges herausfinden.
UIM: Das Standardverfahren, das Sie vor sieben Jahren entwickeln wollten, gibt es allerdings bis heute nicht. Auch ihre Studie wurde nicht, wie ursprünglich von der Regierung angekündigt, wiederholt und „widerlegt“.
Pusztai: Man kann nicht sagen, dass sie gar nicht verfolgt wurde. Die verschiedenen Events, zum Beispiel vom gv-Mais, werden getestet. Es gibt jedoch nach wie vor kein Standardverfahren. Daher wählt jeder Konzern das Studiendesign, das ihm jeweils passt. Wenn Sie aber ihr Auto zur Überprüfung bringen, bekommen Sie einen verbindlichen Statusreport, der bei allen Werkstätten gleich ist. Motor, Getriebe, Bremsen, das alles wird untersucht um sicherzustellen, dass Ihr Auto ordentlich funktioniert. Ein solches Standardverfahren gibt es für Genpflanzen nicht. Im Moment pickt sich jeder gerade das heraus, was ihm angenehm ist. Dieses Standardverfahren muss aber dringend entwickelt werden, um der Gesellschaft eine Sicherheit zu geben, dass gv-Pflanzen keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Wir brauchen also eine Art Gold-Standard.
UIM: 1998 gingen Sie mit den Ergebnissen Ihres Versuches an die Öffentlichkeit, Sie sagten: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gv-Pflanzen sicher nicht essen, jedenfalls so lange nicht, bis es gesicherte Testergebnisse aus Untersuchungsverfahren gibt, die mit unseren vergleichbar sind“. Wenn Sie die heutige Situation der Sicherheit von gv-Pflanzen betrachten, möchten Sie gerne Gen-Soja oder Gen-Mais auf Ihrem Teller haben?
Pusztai: Sehen Sie, der Grund, warum die Industrie unsere Studie bekämpfte, war, dass wir herausgefunden hatten, dass nicht das verwendete Transgen die Probleme verursacht, sondern die Technik, der gentechnische Eingriff als solcher. Das gilt nach wie vor für jede einzelne Genpflanze, die auf dem Markt ist. Sie können ein anderes Transgen verwenden, aber normalerweise sind z.B. Promotoren und Markergene und die verwendete Technik überall gleich. Nach wie vor findet die Übertragung der Gene mit Agrobacterium oder mit dem Schrotschussverfahren statt. Selbst wenn das Transgen nicht toxisch ist, müssen wir also dennoch besorgt sein über den gentechnischen Eingriff selbst. Ohne ein Standardverfahren wird die Unsicherheit darüber immer bleiben. Unsicherheit ist nur gut für die Unternehmen, die ihre Produkte verkaufen wollen. Aber es ist definitiv nicht gut für die Öffentlichkeit und die Verbraucher. Und auch für die Wissenschaft ist die Unsicherheit schlecht. Wir haben es bei gv-Pflanzen mit einem wissenschaftlichen Problem zu tun, das viele Gesichter hat und viele Konsequenzen für die Gesellschaft und jeden Einzelnen. Wir müssen als allererstes die Wissenschaft verändern.
UIM: Sie betonen, dass Gentechnik keine Technologie ist, sondern eine Technik. Können Sie das kurz erläutern?
Pusztai: Es ist keine Technologie, weil Technologie präzise ist. Sie basiert auf wissenschaftlichen Standards. Gentechnik dagegen ist inhärent unvorhersehbar. Man weiß nie, was herauskommt. Die Verfahrensweisen der Gentechnik sind wie eine Art Blindheit. Man kann diese Blindheit theoretisch durch Versuch und Irrtum verringern. Aber wenn Sie für diese Vorgehensweise nicht die richtigen Kriterien verwenden, können Sie ein möglicherweise hochtoxisches Produkt erzeugen. Unsicherheit ist grundsätzlich gefährlich. Man kann natürlich etwas im Labor kreieren und danach sagen, wir werden sehen, was herauskommt. Aber so kann man im 21. Jahrhundert einfach nicht vorgehen. Also brauchen wir zum einen ein Protokoll. Zum anderen müssen wir die Wissenschaft dazu bringen, sich mit den Problemen der Genmanipulation zu befassen und diese Technik mit einer berechenbaren Methode ersetzen, die man dann guten Gewissens „Technologie“ nennen könnte. Die Konzerne sind glücklich mit der Gentechnik, sie ist relativ billig, hat zwar keine hohe Effizienz, aber wen kümmert das, wenn der Gewinn stimmt. Da ist es nicht wichtig, ob es sich um eine Technik oder eine Technologie handelt
Das Interview führte unser Mitarbeiter Andreas Bauer
Erschienen in den Umweltnachrichten, Ausgabe 102 / Dez. 2005