Avraham Burg
Hitler besiegen

hitlerbesiegen

Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss. Avraham Burg, Israeli, Sohn eines Holocaust-Überlebenden. Campus ISBN 978-3-593-39056-7, 22,90

Rezension: Frankfurter Rundschau vom 07.10.2009 Rezension: Lisas Welt vom 15.11.2009

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

15 Gedanken zu „Avraham Burg: Hitler besiegen

  1. Israel ist in einer Situation, die alles andere als einfach ist. Wir, die wir solidarisch mit Israel sind, sind dies auch. Das hat zum Einen mit uns selbst, zum anderen mit der jahrtausende langen Jugenverfolgung, mit den Progromen und schließlich mit der industriellen Tötung von Millionen Juden – mitunter verschleiernd „Holocaust“ genannt – in den Jahren des dritten Reiches zu tun. Und im selben Maß wie wir uns heute nicht vorstellen können, wie es möglich war, dass es zu dieser industriellen Masstötung kam, im selben Maße dürfen wir nicht meinen, dass der Antisemitismus nach dem Sieg der Aliierten über Deutschland ebenfalls besiegt worden wäre. Denn, so wage ich hier zu behaupten, selbst in der kurzen, knappen Ankündigung des Buches von Avraham Burg steckt Antisemitismus.

    Israels Situation ist nicht leicht; unsere Situation ist es auch nicht. Vor allem dann, wenn aufgeklärte, moderne, fortschrittliche und/oder gesellschaftlich engagierte Menschen ganz unkritisch einem antijüdischen „Mainstream“ folgen, dem auch ich mich während langer Jahre nicht entzogen habe: ich war für die PLO, habe wacker mein Palestinensertuch getragen; Arafaf hatte meine Achtung; Isreal war ein Satellit amerikanischer Interessen und das Ergebnis der Besetzung fremden Landes; die Palästinenser waren ein fortschrittliches – wenn nicht revolutionäres Volk, das von Israel unterdrückt wurde. Was wußte ich? Nichts, aber auch gar nichts. Mit den Jahren wurde ich zwar gemäßigter und das Palästinensertuch hatte ich irgendwann über, aber die Siedlungspolitik, ja die Siedlungspolitik, die sollte Israel doch endlich unterlassen, gefährdet sie doch den Friedensprozess.

    Bis gestern wusste ich nicht, was ich denn da auch noch in reiferem Alter nachbetete: „Siedlungspolitik“. Was hatte ich für eine Idee davon, dass damit letztlich nichts anderes gemeint ist, als dass bestimmte Gebiete im Nahen Osten „judenrein“ zu bleiben haben. Trotz des Siegs der Aliierten über Nazideutschland vor nunmehr 60 Jahre: „judenrein“. Unvorstellbar!

    Und der Umstand, dass der Autor eines Buches Jude ist oder Israeli oder Überlebender des Holocaust sagt seit wann etwas über den Inhalt des von ihm geschriebenen Buches, über die politische Relevanz, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der vom Autor aufgestellten Thesen oder Sichtweisen. Das Buch ist dadurch nicht richtiger oder verfehlter als das irgendeiner anderen Person. Warum sollte es auch? Wie absurd würde es für uns klingen, wenn man die Wichtigkeit oder den Wahrheitsgehalt des Buches z.B. eines deutschen Politikers damit begründen würde, dass er Christ oder Deutscher ist – es sei denn, es handele sich um Lebenserinnerungen.

  2. Lieber Burkhard,

    der Begriff Holocaust war und ist für die Bezeichnung der Ereignisse 1933 – 1945 in den europäischen Kriegsgebieten eine fortgesetzte Kränkung: er bedeutet „Brandopfer“ und unterstellt eine Freiwilligkeit in einem religiösen Rahmen. Niemand stieg freiwillig auf LKWs, in Viehwaggons und verließ seine Heimat um umgebracht zu werden. Darin steckt die ganze Sprachbarberei, die durch die materialistisch-nationalen Entwicklungen des späten 19 Jh. mit den Verbreitungsmedien zu einer differenzierungsarmen Manipulation dienstbar gemacht wurde. Das Ergebnis dieser Manipulation zeigt sich nicht zuletzt in der stillschweigenden Akzeptanz, unmenschlichen Verhaltens im Zusammenhang mit staatlich legitimiertem Handeln. Ich glaube Lanzmann verbreitete „Shoah“, die „große Katastrophe“ als Bezeichnung. Das trifft doch weit mehr zu.

    Du sprichst in Deinem Artikel in sehr schätzenswerter Weise von Deinem eigenen persönlichen Differenzierungsprozeß im Denken über Israel und die Palästinenser. Ich erkenne mich darin wieder, spüre, wie auch ich in Meinungsbildungsmechanismen stecke, die genährt werden durch – nun eben – Nicht-Wissen, fehlende Anerkennung, mangelndes Differenzierungsvermögen.

    Ich teile Deine Grundhaltung, die ich meine durchzuhören, das Existenzrecht Israels als Staat ist nicht diskutabel und die Lage ist äußerst schwierig. Allerdings teile ich nicht Deine Zuspitzung auf den Begriff „judenrein“ wenn es um die Frage der Ausbreitung von Siedlungsgebieten in palästinensischen Gebieten geht. Dadurch fühle ich mich verletzt in meinem Bemühen um mehr Menschlichkeit durch Differenzierung. Solche Sprachverwendung birgt Leidenschaftlichkeit und baggert mich auf der Ebene niederer Instinkte und vermeintlicher Tabus oder Gefahrenzonen an. Die Information, die im Begriff „judenrein“ steckt, hat nun mit dem, was zur Frage steht in Israel rein gar nichts zu tun. Ich finde auch die Verwendung des Begriffs „Antisemitismus“, wenn er dazu führt, daß nicht mehr im Sinne einer allgemeingültigen Menschlichkeit, – die Lebensrecht, Unversehrtheit, Würde und Rechtlichkeit beinhalten, diskutiert werden darf, – wenn der Begriff also ein Maulkorb bedeutet, und eben dazu führt, worunter Herr Berg in seinem Israel leidet, – dann wird auch dieser Begriff eingesetzt und wirksam, wie das eben im totalitären Deutschland der 30er Jahre der Fall war: Sprache als Mittel zur Erzeugung und Legitimation von Unterdrückung.

    Hier stimmen wir wohl überein, denn Du schreibst ebenfalls, daß es keine Rolle spielen darf, welche Religion jemand hat, – das gilt doch sicher auch für palästinensische Israelis. Das ist leider nicht der Fall, wenn Willkürrecht, bzw. Rechtsbeugung herrschen. Egal, wo dies der Fall ist, es erinnert fatal an die Grundlagen des Unrechts, das unter den Nazis geschah. Dieses Argument hört niemand gerne, es ist furchtbar. Aber es dient der Abwehr jeglicher Wiederholung. Und ich halte es mit Alfred Grosser, dem französisch-jüdisch-deutschen Essayist: Der Begriff der „Unvergleichbarkeit“ führt in die Irre. Solche Zuspitzungen bedeuten Kampfbegriffe zur Durchsetzung von etwas, was ausgrenzt und abbügelt. Nun hast Du diesen Begriff nicht verwendet, aber er schwebt gleichsam als schreckliches aber leider auch instrumentalisiertes Trauma über der ganzen israelischen Geschichte. Heute weiß man mehr über Trauma-Therapien, als je zuvor. Das beinhaltet kein Vergessen und keine Verkleinerung von Verantwortung. Hier sind wir in einem schmerzhaften menschheitlichen Wachstumsprozeß, weltweit, ohne Ausnahme. Es gibt keine Guten und keine, die bereits zu den Seligen gehören. Aber wir wissen schon, haben es definiert mit den Menschenrechten, worum es geht.

    Nun zu dem Buch und dem, was zu lesen ist unter: http://www.hagalil.com/archiv/2007/07/burg.htm Darauf beziehst Du Dich offenbar.

    Ich finde den Titel sehr provokativ, das Anliegen verstehe ich allerdings gut. Dabei kann ich – aus Unkenntnis keine Meinung abgeben, wie der Autor das macht; ob er verletzend ist oder im Sinne des oben Beschriebenen fair. Was ich akzeptabel finde, ist, daß er Israel als säkularisierten laizistischen Bürgerstaat sehen möchte, nicht als Religionsstaat, der sich im Gegen-Reflex auf Hitler-Deutschland zu einem Gebiet entwickelt, das sich selber an keinerlei international geltendes Recht zu halten hat. Selbst dieses bedrohte Israel kann sich aus dem national-religiösen Reflex befreien und zu einem friedlichen Land werden. Warum darf man die Hamas terroristisch nennen, aber die radikalen unter den orthodoxen Juden, die sich an kein Recht gebunden fühlen, nicht? Nichts anderes möchte Herr Berg diskutieren. Das belegt auch das abschließende Zitat, mit dem ich ende. Mit herzlichem und ehrlich gemeintem Shalom.

    „Als Junge war ich ein Jude. In der Redeart die hierzulande dominiert: ein Judenjunge. Ich ging zur Heder [religiöse Schule]. Es unterrichteten mich ehemalige Jeschiwa-Schüler. Und dann, nahezu während meines gesamten Lebens war ich ein Israeli. Sprache, Zeichen, Gerüche, Geschmackserlebnisse, Orte. Alles. Heute genügt mir das nicht mehr. Zum heutigen Zeitpunkt in meinem Leben bin ich über das Israelische hinausgewachsen. Aus den drei Identitäten, die mich formen – menschlich, jüdisch und israelisch – empfinde ich das israelische Element als etwas, das die anderen beiden um etwas beraubt.“

    KaiĀ

  3. Lieber Kai,

    vielen Dank für Dein Interesse an dieser Sache. Ich schätze Deine ausführlichen Darlegungen und habe sie mit Interesse gelesen. Erlaube mir eine Entgegnung erst in eigener, dann in der Sache, die wir hier diskutieren.

    Als ich den Text gestern abend fertig hatte, habe ich meine Rechte als Administrator dieser Website dazu genutzt, die erste Fassung des Kommentars noch einmal umzuformulieren, dann die zweite Fassung etwas zu kürzen und die dritte Fassung in ihrer Aussage etwas abzumildern. Und wenn es nicht Nacht gewesen wäre, hätte ich womöglich noch eine vierte, fünfte und sechste Fassung geschrieben.

    Es liegt mir fern Avraham Burg oder den Autor der Buchankündigung einen Antisemiten zu nennen. Vollkommen fern. Das wäre abwegig angesichts der wenigen Zeilen, die wir hier diskutieren. Den Antisemitismus jedoch begreife ich als ein Phänomen, das durch den Sieg über Hitler, wie ich es bereits erwähnt habe, nicht beseitigt wurde und in großen Teilen der Welt nach die vor auf besorgniserregende Weise geplegt wird. Der iranische Präsident ist lediglich die Spitze eines Eisberges, dessen verborgene, unter Wasser befindliche Details Charakterzüge einer Verschwörung zu tragen scheinen. Und es ist noch nicht einmal jener Antisemitismus, der mich interessiert, auf den ich hier mit meinem Finger zeige, sondern mein eigener, der Antisemitismus, auf den die anderen Finger meiner Hand deuten. Und genau aus diesem Grund sind mir Deine Zeilen, Kai, so wichtig. Denn in der Diskussion um die Situation des Nahen Ostens kann ich im Moment (noch) nicht davon ausgehen, von Antisemitismus frei zu sein.

    Erlaube mir an dieser Stelle auf den Begriff „judenrein“, den ich im Zusammenhang mit der umstrittenen Siedlungspolitik Israels verwendet habe, etwas näher einzugehen. In Unkenntnis der näheren Umstände bemerkte ich grade in diesem Zusammenhang bei mir eine besorgniserregende Dämlichkeit.

    In der Mehrzahl der Fälle liegen die Siedlungen in einem Bereich, so erfahre ich, der außerhalb der Staatsgrenzen von Israel vor dem Sechstagekriegs liegt. Während des Sechstagekriegs wurde das Gebiet, das nach 1948 von Jordanien anektiert wurde, von Israel besetzt und kontrolliert; eine Rückgabe dieses Gebietes durch Israel lehnte Jordanien ab. Vom Westjordanland als einem im üblichen Sinn „besetzten Gebiet“ zu sprechen, als dem Gebiet eines „anderen Staates“, ist also nicht ganz richtig. Außerdem, so bestätigt mir der Karlsruher Soziologe Tilman Tarach, finden die Siedlungen auf Gebiet statt, das beinahe ausnahmslos NICHT zu einem zukünftigen Staat „Palästina“ gehören würde. Darüber hinaus gehe es, so Tarach, „aktuell nicht um *neue* Siedlungen, sondern um neue Wohnungen innerhalb bestehender Siedlungen. Sie befinden sich in einem Gebiet, daß in einer vernünftigen 2-Staaten-Lösung wohl ohnehin Israel zugeschlagen werden sollte.“ Warum sollten hier also keine jüdischen Siedlungen gebaut werden? Staatsrechtlich handelt es sich – ich zweifle selbst ob man das so sagen kann – um arabische Gebiete, die eher zu Israel gehören, als zu einem anderen Staat. Die Aufregung um die „Siedlungspolitik“ hat folglich wahrscheinlich einen anderen Hintergrund, der sich in einigen Fragen andeutet, die Tilman Tarach folgendermaßen formulliert: „Das wichtigste Argument bleibt insoweit: warum sollen im Westjordanland eigentlich keine Juden leben dürfen? Warum ist die Ansicht so selbstverständlich, daß ein echter Frieden verhindert würde, wenn auch Juden dort leben? Die Idee, das Gebiet des zukünftigen Staates Palästina müsse auf jeden Fall „judenfrei“ sein, ist obszön. Schließlich sind um die 20% der Israelis arabische Muslime (Palästinenser), und niemand kommt auf die Idee, in Israel eine ethnische Säuberung gegen Palästinenser vorzunehmen.“ (siehe auch Lizaswelt Juden raus heißt judenrein und Vorschlag zur Güte

    Burkhard.

  4. Lieber Burkhard
    Sehr sympatisch, in welchen Metaphern Du durch Dein Nicht-wissen und Deine Argumente mit Schutz umgibst. Dafür habe ich auch Grund, überlasse Dir das aber, neidlos als dem Besseren. Meine Sprache klingt leider stets nach unverrückbarer Überzeugung, ist aber nicht weniger aus Halbwissen und Unwissen gezimmert. Vielleicht stünde etwas mehr Verunsicherung so manchem an, der da aus Zugehörigkeit heraus sehr eindeutig klingt.
    Ich fühle mich keiner Seite zugehörig außer der allgemein Menschlichen, die allerdings durch meine an schlechten Tagen die Mehrheit bildenden Einseitigkeiten oftmals giftig statt liebevoll-lösend geschwängert wird.

    Ich merke allerdings an, daß dies vermutlich mehr als 90% derer, die über dieses Thema Beiträge abgeben hier entgiften sollten, bzw. die Zugehörigkeit zur Trübung führen kann. Womit wir wieder bei den Blutsbanden wären. Somit blicke ich mit Vorsicht auf die angeführten Äußerungen von Tilman Tarach, ohne ihm damit etwas unterstellen zu wollen.

    Bereits in den 30er Jahren hat die britische Peel-Kommission einen Teilungsplan vorgelegt, der eine 2-Staatenlösung vorsah, das haben damals die Araber nicht akzeptiert, obwohl deren gebiet größer war, als das für die Gruppe der immigrierten Juden. Sattdessen sind die Araber in den israelischen Gebieten einmarschiert. Die Israelis verteidigten sich erfolgreich und besetzten in erfolgreicher Vorwärtsverteidigung ihrerseits Gebiete. Es flohen damals ca. 600 Tsd. Araber aus dem annektierten Gebiet. Die damals, ca. 1949, entstandene „grüne Grenze“ ermöglichte immernoch, wenn ich das richtig weiß, ein einigermaßen geschlossenes Siedlungsgebiet für die Palästinenser. Die sind allerdings inzwischen auf weit mehr als 3 Mio. Einwohner angewachsen, seit eh und je politisch unfähig und in sich zerstritten. Dazu kommt – was großes Gewicht hat, haben seitens Israel militärische Sicherheitsargumente, die mit den Kriegen seit 1949 zusammenhängen die Grenzziehungs- und Besiedlungsfrage dominiert. Siedlungen bilden Bollwerke gegen den Feind. Zugang zu Wasser spielt ebenfalls eine machtpolitische und militärische Rolle. Es geht nicht um „judenfreie“ Gebiete, sondern um Kontrolle und Pufferzonen, die, was den politisch-rechtlichen Einfluß betrifft, „palästinenserfrei“ sind. Es ist sowohl das Argument „judenfrei“, las auch das Argument „palästinenserfrei“ von dem selbern diskriminierenden Geist inspiriert.
    Ich beobachte eine ungeheure Aufgeregtheit seitens jüdischer und palästinensischer Intellektueller in und außerhalb Israels. Das Trauma der drohenden Vernichtung – und das der Vertreibung ist nachvollziehbar, beide taugen aber nicht für eine langfristig friedenschaffende Politik. Die willkürlichen Zerstörungen, die beide Seiten einander zufügen sind, – auch die Einmauerungen und Enteignungen – und bleiben Unrecht, zumal in einem schwebenden Verfahren, was die Grenzen angeht. Frieden kommt nur aus Zugeständnis des Menschen- und Lebensrecht des jeweils Anderen. das verhindern die Ultras, die auf beiden (!) Seiten zu viele rechte eingeräumt bekommen.

  5. Lieber Kai,

    das wird der mit Abstand längste Kommentar-Feed der AnStifter. Gut so!

    Viele Dinge, die Du erwähnst, kannte ich so noch nicht. Die Peel-Kommission habe ich gleich bei Wikipedia nachgeschlagen. Interessant.

    Je mehr wir aber mit „fremden“ Informationen umgehen, um so schwieriger ist es, zu einer Lösung zu kommen (zu der wir ja nicht unbedingt kommen müssen, an diesem Tag, an dem wir beide eigentlich andere Dinge tun müssten.)

    Ich war bemüht den von Tarach verwendeten Begriff der „Judenreinheit“ nicht absolut zu stellen, sondern in einen Zusammenhang mit meiner eigenen Wahrnehmung zu nennen. Um jenen (Fingerzeig) Antisemitismus sollte es mir noch gar nicht gehen, sondern „nur“ um meinen Antisemitismus. Aus diesem Grund der Hinweis auf die Siedlungspolitik, deren „Problematik“ ich eifrig nachbetete, ohne deren Details zu kennen. Dass die Siedlungspolitik nicht friedensfördernd ist, wird von allen Parteien ähnlich gesehen. Dass der Grund für die Ablehnung seitens der arabischen Staaten ein ganz grundsätzlicher Antisemitismus sein KÖNNTE, sollte als ein Erklärungsmotiv aber nicht ganz unter den Tisch fallen.

    Nachdem Du die Peel-Kommission erwähnst, schreibst Du, dass die Araber „stattdessen in die israelischen Gebiete einmaschiert“ seien. Du sagst nicht, was zwischen Peel und 1949 geschehen ist. Warum? Während Du den Einmarsch der Araber erwähnst, belegst Du die erfolgreiche Vorwärtsverteidigung Israles mit der Flucht von 600 Tsd. Arabern. Warum? Was geschah als Folge des „Einmarsches der Araber“? Nichts Besonderes? Und wenn ein Staat wie Deutschland infolge eines Angriffskrieges Gebiete verliert, die nach dem Krieg Polen heißen, kann man gerechterweise nicht von einer Besetzung deutschen Bodens durch Polen zu sprechen, oder? Das tust Du aber auch nicht, denn Du fügst zutreffend an, dass es (auch durch den „Grüne Grenze“) immer noch ein „einigermaßen geschlossenes Siedlungsgebiet für die Palästinenser“ gab. Nun gut. Du erwähnst das Jahr 1949, die Grüne Grenze und die Palästinenser, die sich auf dem von Jordanien anektierten Gebiet des Westjordanlandes befinden. Wie geht es den Palästinensern in den Jahren zwischen 1949 und 1967?

    Es gibt aber noch mindestens ein zweites, sehr wichtiges Ereignis: den zweiten gegen Israel geführten Angriffskrieg, den Sechstagekrieg. Als Ergebnis dieses Krieges werden die Golanhöhen, und die Sinai-Halbinsel besetzt, das Westjordanland, der Gazastreifen und Ost-Jerusalem kontrolliert. Die Rückgabe der infolge des Krieges durch Israel besetzten Gebiete tritt bei den Verhandlungen vor der UNO auf das dreifache Nein der arabischen Staaten: Nein zu Verhandlungen, nein zur Besetzung und nein zum Existenzrecht Israels.

    Und ist es nicht unverständlich, dass das Westjordanland in den Jahren zwischen 1949 und 1967 nicht Jordanien angeschlossen wird, zu dem es ja all die Jahre gehörte; und so unverständlich wie es ist, dass Ägypten aus welchem Grund auch immer kein Interesse am Gazastreifen hat – auch dieser gehörte zu Ägypten – , wenden sich die Palästinenser im Westjordanland und im Gaza auf einmal an Israel und verlangen von Israel, dass es seine Grenzen für die vertriebenen Palästinenser öffnet, deren Zahl über die Jahrzehnte nicht geringer wurde – was ja altersbedingt nur normal wäre – , sondern auf mittlerweile über 3 Mio. gewachsen ist.

    Die Begriffe „palästinenserfrei“ und „judenfrei“unreflektiert in einem Satz zu nennen mag gewagt sein, entbehrt aber jeglicher Grundlage. Das Problem auch hier ist nicht die „Unvergleichbarkeit“ dieser beiden Begriffe, die in die Irre führt (Grosser; siehe oben), sondern der „unvergleichliche Irrtum“ der sich aus dem ähnlichen Klang der Worte ergibt und deren historische Dimension zur Nebensache deliriert. An dieser Stelle soll genügen, dass der Begriff „palästinenserfrei“ Deine an „judenfrei“ angelehnte Wortschöpfung ist, nicht mehr.

    Und wenn es denn sein muss, dann sollten wir die Konzentrationslager der Juden, die Verbrennungsöfen, die Gaskammern mit den Flüchtlingslagern der Palästinenser vergleichen: Von wegen „die Unvergleichbarkeit, die in die Irre führt“; die Unvergleichbarkeit bringt es auf den Punkt.

    Burkhard.

    P.S. Nebenbei: ich habe das Buch grade bestellt.

  6. Lieber Burkhard
    ich teile das, was Du schreibst zu deen fremndinfos und der Unlösbarkeit. ich habe frevelhafterweise viele details weggelassen, – und nur den Umschwung von einem Siedlungs- und Sataasgebietsanliegen zu einem militärischen Kalkül beschrieben, – und selbst das nur in einer für dieses komplexe Themengebiet sträflichen Kürze.
    Mit Grossers“Unvergleichlichkeit“ meine ich nicht das der jüdischen mit den palästinensischen Anliegen, sondern dieses argument bringt Grooser im Zusammenhang mit der Shoa, deren „Unvergleichlichkeit“ ablenkt von anderen grausamen Unmenschlichkeiten auf der Welt – und womit ein Opferstigma verbunden ist, welches das Hirn der israelisch-militärischen Orthodoxie verkleistert zu sein scheint. es geht um diese alltägliche Paranoia, die humorvoll neurotisch bei Woody Allen thematisiert wird, und in sehr vielen amerikanischen Literaturbeiträgen. (Lilly Brett, Phillip Roth, Saul Bellow, …)

    Nun, das ist unsensibel und eben leider auch undifferenziert geschrieben. mir geht aber der Saft aus, das Thema is nu juut, alles Weitere scheint mir, sollte man in einer fachlich besser gesattelten Buchform zu sich nehmen, nicht hier im Austausch zwischen uns beiden. Mein Philosemitismus ist kritisch und viellecht wird es manchem auch als antisemitisch vorkommen. Ehrlich, das darf sein. Auch hier bin ich für weniger Aufregung, aber ein klares historisches bewußtsein – mit Blick auf Entwicklung des Allgemein-Menschlichen Hier und Heute und überall. Dazu gehören alle lebenden Wesen.
    Herzlich
    Kai

  7. Lieber Kai,

    Du hast Recht: jetzt ist es gut.

    Du schreibst, dass Du viele Details weggelassen hast. Schade, dass Du nicht sagst, warum Du manche Details weggelassen und warum Du andere genannt hast. Warum sprichst Du – mit dem Eingeständnis „sträflicher Kürze“ – wieder nur im Zusammenhang mit Israel von „militärischem Kalkül“?

    Noch einmal bringst Du Hrn. Grosser. Und wieder fällt die Vokabel der „Unvergleichlichkeit“, die ich auch jetzt für unangebracht halte. Vergleichen kann man alles! Und mit Opferstigma hat das schon gar nichts zu tun. Als gehöre der Antisemitismus der Vergangenheit an, wäre abgeschlossen, unaktuell, man hätte nur noch mit einem Stigma zu tun, das, wenn es dann verarbeitet ist, auch verschwindet (oder muss der verschwinden, der vermeintlich das Stigma trägt?). Und da ist es leicht mal wieder das „israelische Hirn“ als „verkleistert“ zu bezeichnen. Das „israelische Hirn“, kein anderes!?

    Und Du hast Recht: Du hast „unsensibel und eben leider auch undifferenziert“ geschrieben; aber Du schreibst es auf. Gut, dass Du aber Dich selbst als Philosemiten beschreibst. Dann kann das ja alles nicht so gemeint sein, wie es sich anhört. Oder gibt es immer noch einen Unterschied zwischen dem, was man ist und dem was man sein möchte?

    Burkhard.

  8. Nein Burkhard. Jetzt rutscht das Schreiben in ein Wortverdrehen hinein, aus dem man lesen kann, daß die Kraft zum Wohlwollen sich der Erschöpfung neigt. – Dann hören wir auf. Was Grosser meint, in dem er sich gegen das oft verwendete Argument der „Unvergleichlichkeit“ der Shoah wendet, teile ich, – ohne jedoch etwa, wie Grosser selbst auch, etwas relativieren oder vergessen machen zu wollen oder durch schlechte vergelche verharmlosen zu wollen. Dies eben gerade nicht. Durch Heraushebung des „israelischen Hirns“ kommt man wieder in eine kontextlose Taburegion, so doch nicht reden zu können. Also bitte Schluss mit solchen Heraushebungen und Komentaren zu isolierten Worten. ich habe ja schließlich auch nicht kritisiert, daß Du diese ganze Thematik an zwei dünnen Zeilen einer Buchankündigung aufgehängt hast: „Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss. Avraham Burg, Israeli, Sohn eines Holocaust-Überlebenden.“

    Ich bitte um gnädigen Umgang mit dem Versuch, aus Ecken herauszutreten, um in eine gemeinsame (!) Beweglichkeit im Gespräch zu finden. Wie Du mich im Stillen IST oder im geäußerten MÖCHTEN oder umgekehrt beurteilst, steht Dir frei. Schmerzen, die sich aus dieser Fragestellung ergeben, will ich aushalten

    Herzlich
    Kai

  9. Aber Kai,

    erlaube mir, mich für alle „Wortverdrehungen“ zu entschuldigen. Ich bin mir schon bewusst gewesen, dass ich mich etwas schärfer angehört habe, aber was mache ich falsch, Deines Erachtens?

    Die schärferen Stellen meines Textes nehmen doch zitierend auf, was Du selbst sagst und was ich unterstütze.

    Meine Frage im ersten Absatz ist ehrlich gemeint. Warum lässt Du – oder, verallgemeinernd „lassen wir“ – manche Details weg und nennen andere? Ich habe einleitend MEINE Dummheit erwähnt, mit der ich manche Details sah, andere aber nicht. Und ich sehe nach wie vor, manche Details nicht, andere aber doch. Und ich finde es für mich interessant zu bemerken, warum das so ist. Mir ist deshalb das Gespräch oder die Auseinandersetzung so wichtig.

    Und ist es denn nicht richtig, dass Du im Text einen bestimmten Zusammenhang ausschließlich mit Israel herstellst? Die Frage ist ehrlich: Warum?

    Und Herr Grosser und seine „Unvergleichlichkeit“. Ich verstehe den Begriff dann nicht, wenn er etwas nicht relativieren oder vergessen machen will. Unvergleichlichkeit bedeutet für mich, Dinge nicht vergleichen zu dürfen. Warum sollte ich Dinge, Geschehnisse nicht vergleichen können? Und warum sollen wir die industrielle Tötung von Juden nicht mit anderen Geschehnissen vergleichen dürfen. Das hört sich an, als wenn wir die „Shoah“ ausklammern sollen. Warum? Was verstehe ich da nicht?

    Und das „verkleisterte israelische Hirn“, das Du erwähnt hast? Was ist denn daran so schlimm, dass ich es als zu leicht empfinde „mal wieder das ‚israelische Hirn‘ als ‚verkleistert‘ zu bezeichnen.“ Das stellt doch einen Zusammenhang her zu dem, was ich vorher angemerkt hatte.

    Und mit der Kritik, dass ich diesen Kommentar-Feed „lostrete“ alleine ausgehend von zwei Zeilen einer Buchankündigung hättest Du doch vollkommen Recht. Genau darauf kommt es doch an: zwei unschuldige Zeilen, in denen ich etwas Antisemitisches zu sehen meine. Weil ich doch selbst an mir merke, dass ich ein Buch über Israel, das von einem Israeli geschrieben ist der auch noch Sohn eines Holocaust-Überlebenden ist für ehrlicher und richtiger halte, als das Buch von Peter Scholl-Latour – um nur irgendeinen Autor zu nennen, von dem ich weiß, dass er nicht aus Israel kommt. Auf das vom Verlag ausgegebene Opferstigma – ich nehme an, das diese Ankündigung ein Verlagstext ist – falle ich also herein und komme erst in der Reflexion zu der Besonderheit der Ankündigung. Denn ich habe es bereits geschrieben, dass ich das Buch eines deutschen Politikers nicht ehrlicher und richtiger fände, nur weil der Autor deutscher und – jetzt weiß ich nicht, ob ich argumentativ einen Fehler mache – ‚Sohn eines in Russland umgekommenen Soldaten‘ ist.

    Ich gebe zu, dass ich Sohn eines Landes bin, der ich nach 60 Jahren immer noch bei dem Wort „Jude“ etwas höre, was ich mir nur mit Mühe erklären kann und was ich auch nur im Gespräch z.B. mit Dir los werde. In diesem Sinn

    Danke für Deine Geduld!

    Burkhard.

  10. Ich habe, obwohl ständig unter zeitdruck, mit großem interesse euren austausch nachgelesen.
    bei dem buch, zu dessen kurzer ankündigung mich waldemar anregte, habe ich dem verlag vertraut: ein seriöses haus, dessen verantwortliche ich seit vielen jahren kenne.

    es ergeben sich – auf die schnelle – zwei fragen:
    sollen wir, mit eleganter beliebigkeit, unsere webseite für buchhinweise öffnen? bei 80 000 titeln im jahr? also, geht nicht. andererseits – eben der titel und die seriosität des verlags haben mich gereizt – im wissen, dass im thema große provokationen sitzen und offene worte, wie eure, hervorrufen. gut so. es klang durch, als ob ihr früher zum staat israel eine andere haltung hattet als heute, irgendwie – ich habe – in allen politischen zeiten – nie , nie das existenzrecht israels angezweifelt. ich meine, dass man darüber – Existenzrecht ja oder nein – nicht diskutiert, nicht bei uns, trotzt aller diskussionskultur . Das heisst, ich würde rigoros beiträge, die dieses recht verneinen, nicht auf die seite stellen. ich habe viele freunde in israel,
    bin den menschen, der kultur sehr verbunden und finde fatal, was die israelische regierung treibt. schnell noch zum antisemitismus, die zweite frage, und ein vorwurf, der manche debatte tötet. die wurzeln des antisemitismus liegen im christentum. die nazis haben darauf aufgebaut und quasi offene türen eingerannt.
    ihren antisemitismus haben „die“ kirchen, wie auch ihre beteiligung am massenmord, kaum auch nur annähernd „problematisiert“.

    die frage ist, wie und wann und wo wir all dies, was ihr diskutiert und „beschreibt“, ebenfalls diskutieren können, wie wir zu gerechten werden, wie wir eine debattenkultur entwickeln, bei der uns nicht das messer in der tasche aufgeht. die debatte setzt eine gewisse intelligenz und viel (vor)wissen voraus, – zu beidem haben wir beizutragen, offen und freundlich und nachsichtig, was das anhören von verqueren meinungen und vorurteilen angeht – und scharf und deutlich zumindest in einem punkt: es lebe israel. von hier können wir dann über alles sprechen.[] auch über menschen, bei denen man sagen würde: Oh Herr, schmeiss Hirn ‚ra (ist schwäbisch und heisst: herunter. Aufklärung fängt in auschwitz an. lasst uns reisen.

    Peter
    Peter

  11. Bene. Ja, es treffen sich Empfindlichkeiten. Gut, daß wir empfindlich sind. Noch besser, wenn wir geduldig miteinander sind. Also auch Dir einen herzlichen Dank.

    Das Medium hat Grenzen, Begrenzungen, die das gesprochene Wort nicht hat. Das hat andere. Aber man fühlt anders.

    Die Frage nach den Heraushebungen, die durch Herstellung von Zusammenhängen stattfindet ist alles andere als Willkürlich: es beschreibt unser Stehen in einem Ganzen, das unübersichtlich ist und multiperspektivisch.
    Das Ganze bleibt dabei aber in einer Wahrheit, heißt: es gibt Wahrheit, die sich aber nur innerhalb des Ganzen lösen läßt, dessen Grenzen offen sind, das wir nicht völlig überblicken, bzw. jeweils im Einzelnen nicht drinstecken. das ist unser „Auswählen von etwas Einzelnen“: Wir schauen drauf – von außen. Meine Frage ist, und ich empfinde das als Frage hinter Deiner Frage: wie wir hier zu einem Sehen von Innen gelangen können.

    Herzlich
    Kai

  12. Lieber Peter, lieber Burkhard

    Jetzt bin ich aber doch sehr froh, daß wir hier halböffentlich Dinge stehen haben, die so dastehen, wie sie sind.
    Also herzlichen Dank Burkhard. Ich habe an keiner Stelle angenommen oder verstanden, daß jemand das existenzrecht des Staates Israel in Frage stellt.
    Und vielleicht hilft es, anzuerkennen, daß Empfindlichkeiten in dieser Frage bis in die kleinesten Formulierungen hinein sinnvoll sind.
    Allerdings ist damit längst keine intelligente oder moralisch gesicherte Position erreicht, wie es die Sätze von Peter ermöglichen verstanden zu werden. Ob Peter das so meint, ich hoffe nicht.

    Was ich an Burkhards Ansatz tatsächlich hochintelligent empfinde, ist die Frage, wie ich (jeder persönlich) denn überhaupt zu Unterscheidungen komme, zu Annahmen, die zu einem Opfer-Täter-Reflex führen, der dann eine gewisse Unausweichlichkeit und Dynamik hat, deren Markenzeichen mehr und mehr Identifikationen beinhaltet, die fixieren und verabsolutieren. In solchen Dynamiken hält man Konflikte aufrecht, verhindert Lösungen, verhärtet sich und schafft Bedingungen für Unmenschlichkeit und Zerstörungen. Es ist dabei ganz egal, welche Größe dabei die sozialen Gebilde haben: so funktioniert der finstre Geist des „Fasci“, das Abbinden von Garben auf dem Feld.

    Nun habe ich das im vorliegenden Diskurs selber auch nicht gleich kapiert, sondern erst einmal inhaltlich reagiert. Das tun wir meistens, wir lauschen nicht mehr hin, sondern stürzen uns auf das, was wir schon zu kennen meinen, und verwenden die eingeübten Begriffe, um das dann zu beurteilen oder auseinander zu nehmen. Burkhard sagt: das reicht mir nicht. Recht hat er.

    Ich plädiere für die Verwendung des Intelligenz-Begriffs in einem abwertungsfreien Zusammenhang, der nicht wieder ein Oben oder Unten impliziert. Vieles Andere ist bereits gesagt.
    Kai

  13. Lieber Kai, lieber Peter,

    bei so einer langen Reihe von Kommentaren ist es wohl nicht mehr möglich zu „diskutieren“. Trotzdem versuche ich ganz diszipliniert auf einige Dinge von Euch beiden einzugehen, um sie zu verstehen. Der Reihe nach.

    Zuerst zu Peters Beitrag:

    Ich würde mich freuen, wenn man eine Form finden würde „dieses Thema“ – welches es auch immer ist – öffentlicher zu bereden. Mein Vorschlag: wir sprechen über uns, ich über mich, Du über Dich, jeder über sich, und das Anklagen, Bedauern, in der Luft Zerreißen lassen wir alle einmal weg. Einmal nur. Dazu braucht es nicht mehr Intelligenz im Sinn‘ von „Oh Herr, schmeiss Hirn ‘ra“. Und „das Messer wird uns dabei schon gar nicht in der Tasche aufgehen.“

    Nun zu Kais erstem Beitrag:

    Ich verstehe nicht, was Du mit dem „Stehen in einem Ganzen, das unübersichtlich und multiperspektivisch“ ist meinst? Und die Frage, die Du an mich richtest: „Wie können wir hier zu einem Sehen von Innen gelangen?“, kann ich nur mit einem „Keine Ahnung!“ beantworten. Ich könnte mir vorstellen, dass Du die Frage etwas konkreter formulieren und stärker auf die Diskussion beziehen könntest, die wir hier führen.

    Nun zu Kais zweitem Beitrag:

    Wenn ich es richtig verstehe, Kai, dann glaube ich schon, dass mit der Anerkennung des Existenzrechts Israels eine „intelligente und moralisch gesicherte Position erreicht ist“, denn alles andere wäre unmoralisch.

    Danke für die „Hochintelligenz“, die mir schmeichelt, die mir aber nicht ausreicht, um Deinen auf diese Feststellung folgenden Satz zu verstehen. Du verallgemeinerst sehr stark und läßt das Thema Israel/Antisemitismus hinter Dir. Vom Opfer-Täter-Reflex haben wir bisher nicht gesprochen; Du erwähntest das Opferstigma, das, da stimme ich überein, eine Verfestigung – oder mit Deinen Worten – eine „Fixierung“, „Unausweichlichkeit“, „Verabsolutierung“ darstellt. Widersprüche, Konflikte, werden dadurch, wenn ich Dich richtig verstehe, nicht gelöst oder überwunden.

    Burkhard

  14. Lieber Burkhard
    Wir kommen mit der Diskussion genau an diesen Punkt, daß wir (ich) die Fülle der nötigen Daten, Informationen, der Ereignisse und Erfahrungen, die dem Thema zugrunde liegen, nicht angemessen abbilde(n). Das Ganze ist komplex, gerade im nahen Osten. Es gibt dabei nicht nur die Perspektive der jüdichen Israelis, sondern auch der Palästinenser, der Juden, die in Palästina leben, der Araber, die in Israel leben.
    Da fließen so viele Dinge zusammen, gegenwärtig. Und es kann nur gegenwärtig überwunden werden. Und um Überwindung geht es, ohne dies ist Freiden nicht möglich.

    Von Innen anschauen heißt nicht von außen, nicht mit intellektueller Distanz, aber auch nicht mit distanzloser Betroffenheit.
    Lieber Burkhard, Du weißt von mir, daß mir die Art der Anschauung und Begriffsbildung ein langjähriges Anliegen sind. Daß ich dabei auch mit meiner Ungeduld in Konflikt gerate, wurmt mich selbst. Ich versuche immer wieder, mich darin zu üben, differenzierend und gleichzeitig möglichst ganz auf die Sachen zu schauen, das führt dazu, daß man im Grunde fast sprachlos wird, wogegen ich da dann ungern aufgebe und mich nicht abwenden mag. Das Anschauen von Innen empfinde ich als eine Methode, bei der man das Gewohnte Gerassel oft ausgetuschter Argumente versuchen muß, hinter sich zu lassen, auch das sich auf eine Seite schlagen oder zu den besseren zu gehören. Aber das eigene Auswählen, sich entschließen oder abwenden, daß ist ein unausweichliches Element des Handelns. Da gibt es keine Unschuld, selbst, wenn man vorgibt, nett, augeklärt und korrekt daherzukommen Die Frage von Schuld wird eine andere, usw. Das mag jetzt ruhig rätselhaft klingen. Das ist nur, weil man das Rätselhafte dann eben merkt, an anderen Stellen merkt man es nur nicht, weil man meint, man kenne sich aus oder man schwimmt im mainstream – und der hat Recht(?). Das ist das Problem mit der gesicherten moralischen Position. Dein Argument im letzten Beitrag wundert mich.

    Ich habe außerdem angemerkt, das es hier keine Frage gibt, sondern nur das klare, uneingeschränkte Existenzrecht israels. Aber unter moralisch verstehe ich mehr, als eine staatsrechtliche Causa. Zum Moralischen gehört Anstand (mehr Attribute wären zu nennen) jedem einzelnen menschlichen Leben gegenüber. Dein Argument (es sei sehr wohl eine moralisch gesicherte Possition) beinhaltet für mich das Einfallstor für diejenige Rechthaberei und Härte, die dort unten herrscht. In fixen Positionen ist eine zerstörerische Intelligenz am Werk. Eine ausbalancierte Intelligenz braucht es dagegen, hier zu einem tieferen und lösenden Verständnis und einer lösenden Verständigung durchzustoßen. Anwar el Saddat hatte das. Rabin hatte das. ich habe hier einen anderen Intelligenz- und Moralbegriff.

    Beide Seiten sind zerfressen von Auseinandersetzungen in sich selbst. Jedes zugeständnis wird von den „eigenen Leuten“ in der Luft zerrissen. Die eigenen ungelösten Schatten werden dann „lustig“ auf den „Gegener“ außerhalb übertragen. Man kann das nicht mehr anders als psychopatischen Opfer-Täter-Reflex bezeichnen. Das magst Du als Verallgemienerung bezeichnen. Meine Sätze dazu im vorigen Beitrag sind das, was ich dazu meine. So vertstehe ich auch das Anliegen von Avram Berg, der aus diesem Opfer-Täter-Reflex heraus möchte, weil er die dadurch entstehende Konfliktverschärfung, bzw.-fixierung, die Pathologie thematisiert. Also bitte ich darum, wenn ich solche Argumente nierderschreibe, an den Gegenstand unserer Diskussion zu denken.

    Ich vermute mal, dies ist mein letzter Beitrag zu diesem Thema, denn ich finde, wir pflücken uns hier nur noch selber auseinander und verlieren das Thema aus den Augen. Dazu habe ich keine Lust.

    Gruß
    Kai

  15. Ich bin auf diese Webseite aufmerksam geworden, um in einer Suchmaschine Einträge auf den Namen Tilman Tarach zu finden. Als nichtstudierter Mensch, der von Beiträgen sozialistischer Israelhasser mit deren Vorliebe für jungewelt.de und Rote Armee Fraktion in unzähligen deutschen Internetforen angewidert ist, versuche ich als nichtstudierter nichtjüdischer deutscher Staatsbürger, der am 12.3.2009 eine hiesige Synagoge besuchte, mich in den linken sozialistischen Antizionismus hineinzudenken und Antisemitismus bzw. Antijudaismus dort zu entdecken, wo er vorhanden ist und von Linken kategorisch abgelehnt wird, weil es ja immer noch die Nazis gibt. Und ich auch ein Nazi sei, weil ich den Zionismus als geschichtliche Notwendigkeit des jüdischen Volkes akzeptiere und respektiere.

    Heute dem sonnigen 17.März 2010 war ich in einer riesigen hiesigen Buchhandlung, um eine Leseprobe im „Der ewige Sündenbock“ von Tilman Tarach vorzunehmen. Ich begab mich in die erste Etage, um die Rubrik „Politik und Geschichte“ aufzusuchen. Was mir als erstes augenscheinlich entgegenschlug, waren massenweise aufeinander gestapelte Bücher über Baader-Meinhoff und sozialistische Komplexe wie „über die Machenschaften des jüdischen Geheimdienstes Mossad“ oder so. Hoch oben im selben Regal Bücher über freimaurerische Geheimbünde und so ein Zeug. Hexen, Sabbat und auf Israel sich einen weg Vicksen. Aber erstaunlicherweise keine Bücher von Lenni Brenner, die es aber im Naziverlag gibt. Bücher dieser Art sind die Reißer des deutschen Volkes, wenn es um und gegen Israel geht. `Um´ ist langweilig, doch `gegen´ ist einfach revolutionär! Viva la Revolucion!

    Doch gab es dort auch einige wenige Lichtblicke: „Israel, um Himmels Willen, Israel“ vom ehrwürdigen deutschen Denker und Schriftsteller mit der Beethoven-Frisur und seiner Vorliebe für mediterrane Farben, der am 20.März 2010 seinen geburtstätigen Oldtimer fährt. Naja, es ist deswegen so, weil buntes Treiben der Stadtmenschen in riesigen Markthäusern auch viel Denken beflügelt. Wissen aus einem gewissenhaften Buch befähigt den Leser zum geistigen Kontakt mit dem Autor, da man durch Lesen den Autor kennenlernt und geistiges Potential von ihm in sich aufnimmt. Dies ist keine Macht, sondern des Lesens unwillkürliche Magie.

    Wie dem auch sei, so zweifelte ich aber am Suchen des Buches „Der ewige Sündenbock“ von Tilman Tarach, und so begab ich mich zum Informationsschalter der Buchhandlung auf der 1.Etage, um nach dem Buche nachzufragen. Ja, es sei jetzt erhältlich, die aktualisierte Fassung von 2010. Endlich. Immer wieder vergriffen. Diesmal werde ich das Buch nicht auf die lange Bank schieben, dafür ist die Macht gegen den Staat Israel innerhalb wie auch außerhalb seines zu groß. Der Gefahr zu widerstehen, sich vor Sozialisten mit ihren Argumenten gegen Israel, Judentum und Judenheit, zu beugen. Sich vor roten und braunen Büchern zu beugen, weil ich kein studierter Mensch bin, sondern nur ein mittelmäßiger Handwerker mit Abschluss der Mittleren Reife. Ich muss mich ertragen, da ich manche andere mehr zu ertragen verstehe als mich selbst.
    Morgen sei es ab 12 Uhr zu meiner Leseprobe bereit, begegnete mir die freundliche Bibliothekarin. Das trifft sich gut, morgen zur Philharmonie-Lunch, anschließend zur Mayerschen Buchhandlung, ergegnete ich ihr. Entgegen meiner Bestimmung, mich nach Hause zu begeben, beflügelte es mich, noch einmal die Abteilung für „Politik und Geschichte“ mir vor mein Gemüt zu führen. Bücher vom großen Friedrich, Könige und Kaiser des deutschen Reiches, braunes Geschmeiß in blauen Büchern verpackt. Geheimbünde der Freimaurer über Israel, aber ganz unten, unterstes Regal, ein Ralph Giordano. „Geheimtip über den Nahost-Konflikt“ steht als Schild davor. Ja, für wahr. Unterstes Regal. Armes Deutschland.

    Doch darum geht es nicht. Es geht um das Buch von Avraham Burg, „Hitler besiegen“. Ich gestehe es nicht gelesen zu haben. Wenn ich alles Geld in der Welt hätte, könnte ich mir alle Bücher leisten und Zeit haben zu lesen zwischen meinem Leben, würde ich die Buchhandlung aufkaufen und Bücher über Freimaurerei nicht über Israel, sondern in die Philosophie-Abteilung hineinsetzen.
    „Hitler besiegen“ bedeutet für das jüdische Volk in Israel, die Macht des braunen und roten Antisemitismus zu tolerieren und mit einem humanistischen Grinsen auf die Verbrechen gegen jüdische Menschen durch die Jahrhunderte zu pissen und zu scheißen, damit sich das jüdische Volk davon erhole, um sich in die antiisraelische Außenpolitik der internationalen Staaten endlich einmal einzugliedern, um nicht Verachtung gegen Palästinenser, sondern Liebe mit Taten zu bezahlen wie das gute alte grüne 68er Revolvertum. Kiffen macht schlau.

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