Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Schuster, sehr geehrter Herr Bürgermeister Föll, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Dr. Eisenmann, sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem nun neben den Vorschlägen der Kulturbürgermeisterin, Frau Dr. Eisenmann, auch die Haushaltsanträge der Stuttgarter Gemeinderatsfraktionen für die Jahre 2010/2011 zur Diskussion vorliegen, wenden wir uns mit diesem Appell an Sie, der verbunden ist mit der dringenden Bitte, die Bereiche Bildung, Soziales und Kultur aus dem Kürzungs- und Sparprogramm der Stadt auszunehmen.Wie die aktuelle Situation zeigt, steht die Landeshauptstadt Stuttgart – sowohl was die wirtschaftliche Situation angeht, als auch was die gesellschaftliche Dimension betrifft – vor einschneidenden Veränderungen. Das Thema Mobilität wird in Zukunft möglicherweise weniger eine Frage des Autoverkehrs sein, als eine Frage der inneren Einstellung, der Flexibilität einer Gemeinschaft, aber auch ihrer Möglichkeiten, auf die neuen Herausforderungen, die sich stellen werden, zu reagieren. Um diese Anforderungen im Sinne einer offenen, wachen, innovativen Gesellschaft zu meistern, bedarf es gerade jener Bereiche städtischer Politik, die in Stuttgart eher zu den schwachen zählen: Soziales, Bildung und Kultur – alle drei eng miteinander verbunden und verknüpft.
In diesem Zusammenhang stellt sich für uns die grundlegende Frage, welche Vision von einer multinationalen Großstadt der Gemeinderat mit den aktuellen Kürzungen verfolgt und welche Rolle Kunst und Kultur für die Zukunft dieser Stadt, die als Landeshauptstadt Leuchtturmfunktion hat, spielen sollen. Als erhebliches Problem in dieser finanziell schwierigen Zeit erweist sich nun, dass die Stadt nie eine Kulturkonzeption entwickelt hat, die die wichtigsten inhaltlichen Entwicklungslinien
beschreibt und festlegt.
Trotzdem lassen sich bestimmte Kennzeichen feststellen: Traditionell vertritt die Landeshauptstadt Stuttgart einen eng gefassten Begriff von Kulturpolitik, der sich in den letzten Jahren – bis auf wenige Ausnahmen – darauf beschränkt hat, wohlwollend auf Initiativen von einzelnen Personen oder Gruppen aus der Kulturszene mit Förderungen zu reagieren. So ist in den letzten 25 Jahren eine einmalige Kulturlandschaft entstanden, in der neben den großen staatlichen oder städtischen Institutionen Projekte wie das Theaterhaus, die Bachakademie, das Literaturhaus oder etliche kleine Kunst-, Literatur-, Musik-, Film- und Theaterinitiativen entstehen und wachsen konnten. Zwar setzten der Oberbürgermeister mit dem Bau des Kunstmuseums und der Gemeinderat mit der Gründung von Innovationsfonds einige Akzente, eine gemeinsame Linie im Sinne einer kulturpolitischen Haltung war jedoch nicht festzustellen. Trotzdem konnte Stuttgart aufgrund des großen Engagements zahlreicher Kulturschaffender im nationalen Vergleich der deutschen Hauptstädte bei Umfragen zuletzt mehr und mehr punkten – gerade die Lebensqualität hatte sich aufgrund einer kreativen Atmosphäre sehr verbessert.
Spätestens ab dem Moment, ab dem die städtischen Gelder nicht mehr ausreichen, um den Erfordernissen aller Kulturinstitutionen zu folgen, wird der Mangel an Kohärenz dieser Politik nun aber sichtbar.
Die sachkundigen Bürgerinnen und Bürger im Kulturausschuss wünschen sich eine offene Diskussion mit den verantwortlichen Politikern dieser Stadt über eine übergreifende und kohärente Kulturpolitik, die sich dessen bewusst ist, dass „Kunst und Kultur Teile des Wandels von der Industrie- über die Dienstleistungs- zur Wissensgesellschaft sind“ (Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Deutscher Bundestag, Dezember 2007) und die daher für die Zukunft der Landeshauptstadt Stuttgart von essentieller Bedeutung sind.
Wir bitten Sie daher dringend zu prüfen, ob die Kürzungen im Bereich Kunst und Kultur im Verhältnis zu den gesamten Haushaltsmitteln und den neu aufzunehmenden Schulden abgewendet werden können und ob die Landeshauptstadt Stuttgart nicht vielmehr gerade in dieser Situation Akzente setzen sollte, die den Weg hin zu einer Wissensgesellschaft weisen. Der Schaden, der zu entstehen droht, ist größer als der im Haushalt eingestellte Sparbetrag.
Mit freundlichen Grüßen
Die sachkundigen Bürger im Kulturausschuss:
Heinz Baitinger, Petra Bewer, Renate Brosch, Siegfried Eipper, Marianne Gassner, Ronald Grätz, Andreas Hausmann, Dr. Ludger Hünnekens, Peter Jakobeit, Jean-Baptiste Joly, Bea Kießlinger, Bettina Klett, Franziska Kötz, Axel Meffert, Petra von Olschowski, Sandro Parrotta, Michael Preiswerk, Gabriele Röthemeyer, Ralf Schübel, Mini Schulz, Matthias Vosseler, Paul Woog